Jackie MTRK
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HAMBURG

„Erfundenes verwirre die Menschen.“

Metafiktionale Aspekte in Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt (2005).

 

 

 

│     Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Einleitung
  2. Methode: Metafiktion

2.1      Zum Begriff der Metafiktion

2.2      Zur Theorie der Metafiktion

2.3      Formen und Funktionen (Zimmermann 1996/Sprenger 1999)

  1. Der ErzÀhler: Geschichte im Konjunktiv

3.1      Die ErzÀhlerfigur

3.2      Fokalisierung und Stimme

3.3      GeschichtserzÀhlung vs. GeschichtenerzÀhlen

  1. Der Text: IntertextualitÀt, Parodie und Ironie

4.1      IntertextualitÀt: Von Goethe und dem magischen Realismus

4.2      Parodie: Die Vermessung und der historische Roman

4.3      Ironie: Vom Deutschsein

  1. Der Leser: „ich bin, was Du nicht sein kannst“

5.1      Doppelte Kommunikation

5.2      Unerwartete Wendungen

5.3      Leserfiguren und Zukunftsvisionen

  1. Schluss
  2. Literaturverzeichnis

 

 

│ Siglenverzeichnis

 

Unter Angabe der Seitenzahl werden fĂŒr die hĂ€ufiger angefĂŒhrten Werke folgende AbkĂŒrzungen verwendet:

 

Ä Wolf, Werner: Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der ErzĂ€hlkunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörenden ErzĂ€hlen. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1993.
DE Genette, Gérard: Die ErzÀhlung. 3., durchgesehene und korrigierte Auflage. Paderborn: Wilhelm Fink 2010.
DK Rickes, Joachim: Daniel Kehlmann und die lateinamerikanische Literatur. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2012.
EE Martinez, Matias; Scheffel, Michael: EinfĂŒhrung in die ErzĂ€hltheorie. MĂŒnchen: C. H. Beck 1999.
FE Scheffel, Michael: Formen selbstreflexiven ErzĂ€hlens. Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1997.
FFL Gass, William Howard: Fictions and the Figures of Life. 2. Auflage. Boston: Godine 1980.
FM Scholes, Robert: Fabulation and Metafiction. Urbana: University of Illinois Press 1979.
FS Wolf, Werner: Formen literarischer Selbstreferenz in der ErzĂ€hlkunst. Versuch einer Typologie und ein Exkurs zur ‚mise en cadre‘ und ‚mise en reflet/sĂ©rie‘. In: Helbig, Jörg (Hg.): ErzĂ€hlen und ErzĂ€hltheorie im 20. Jahrhundert. Festschrift fĂŒr Wilhelm FĂŒger. Heidelberg: UniversitĂ€tsverlag WINTER 2001, S. 49-84.
HM Hutcheon, Linda: Historiographic Metafiction. Parody and Intertextuality of History. In: O’Donnell, Patrick; Davis, Robert Con (Hgg.): Intertextuality and Contemporary American Fiction. Baltimore: Johns Hopkins University Press 1989, S. 3-32. Online verfĂŒgbar unter: http://hdl.handle.net/1807/10252. [Zuletzt abgerufen am 20. August 2015 um 11:58 Uhr.]
M Waugh, Patricia: Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction. London: Methuen 1984.
ME Sprenger, Mirjam: Modernes ErzÀhlen. Metafiktion im deutschsprachigen Roman der Gegenwart. Stuttgart: J. B. Metzler 1999.
MR Zimmermann, Jutta: Metafiktion im anglokanadischen Roman der Gegenwart. Trier: WVT 1996.
NN Hutcheon, Linda: Narcissistic Narrative. The Metafictional Paradox. New York: Methuen 1984.
PM Alter, Robert: Partial Magic. The Novel as a Self-Conscious Genre. Berkeley: University of California Press 1975.
V Kehlmann, Daniel: Die Vermessung der Welt. 12. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005.

 

 

1.     Einleitung

 

KĂŒnstler hielten Abweichungen fĂŒr eine StĂ€rke, aber Erfundenes verwirre die Menschen, Stilisierung verfĂ€lsche die Welt. BĂŒhnenbilder etwa, die nicht verbergen wollten, daß sie aus Pappe seien, englische GemĂ€lde, deren Hintergrund in Ölsauce verschwimme, Romane, die sich in LĂŒgenmĂ€rchen verlören, weil der Verfasser seine Flausen an die Namen geschichtlicher Personen binde.

Abscheulich, sagte Gauß.[1]

 

Einer der national und international erfolgreichsten Schriftsteller der Gegenwart ist der 1975 in MĂŒnchen geborene Daniel Kehlmann. Seit der Veröffentlichung seines ersten Romans (Beerholms Vorstellung, 1997) erscheinen regelmĂ€ĂŸig im Abstand von ein bis zwei Jahren neue ErzĂ€hlungen, die mit Begeisterung gelesen und analysiert werden. Von Öffentlichkeit und Forschung besonders gut angenommen worden ist sein 2005 erschienener Roman Die Vermessung der Welt, in dem von Humboldt und Gauß erzĂ€hlt wird.[2] Neben des Merkmals des ‚gebrochenen Realismus‘[3] stellten diverse Forschungsarbeiten, wie beispielsweise die von Bareis, fest: „FĂŒr die Poetik des Daniel Kehlmann ist [
] die Anwendung [
] metafiktionaler ErzĂ€hlstrategien von Anfang an grundlegend gewesen“[4], wie das einfĂŒhrende Zitat aus der Vermessung veranschaulicht.

Metafiktion, wie die SelbstreflexivitĂ€t in literarischen Werken seit den 1970er Jahren nicht nur in der nordamerikanischen, sondern vermehrt auch in der europĂ€ischen Literaturwissenschaft genannt wird, wird verstanden als „ErzĂ€hlliteratur, die ihre FiktionalitĂ€t gezielt und grundsĂ€tzlich offenlegt, bzw. entsprechende ErzĂ€hl- und Darstellungsstrategien“[5]. Diese seien, so zeigt Fludernik, in der deutschsprachigen Literatur „viel weniger ausgeprĂ€gt als in der englischen“[6] und „in den meisten Romanen so angelegt [
], dass sie nicht allzu deutlich zutage treten“[7]. Metafiktionale Aspekte in der Vermessung sind in der Forschung bisher zwar anerkannt, jedoch nicht eingehend untersucht worden. Fraunhofer merkt zwar an, dass das Hauptthema Kehlmanns die UnzuverlĂ€ssigkeit menschlicher RealitĂ€t sei,[8] wodurch, wie sich zeigen wird, eine Verbindung zum Forschungsbereich der Metafiktion hergestellt werden kann. Im Fokus der Forschung zur Vermessung standen bisher jedoch vor allem das VerhĂ€ltnis von Mathematik und Literatur,[9] die Gattung des Romans,[10] das VerhĂ€ltnis zur Postmoderne,[11] die Thematik des Deutschseins und der IdentitĂ€t,[12] sowie der historische Alexander von Humboldt als literarische Figur im Roman.[13] Vermehrt ist daneben auch auf Kehlmanns NĂ€he zum magischen Realismus hingewiesen worden.[14] FĂŒr diesen ist, basierend auf einer ursprĂŒnglich realistischen ErzĂ€hlweise, „das Verschmelzen von zwei kategorial verschiedenen Ordnungs- und ReprĂ€sentationssystemen zu einem dritten, neuen RealitĂ€ts- und Darstellungsmodus“[15] charakteristisch. MetafiktionalitĂ€t als jedoch wird umfassend nur in einer Monografie von GerstenbrĂ€un untersucht.[16]

Nicht nur die Tatsache, dass wenig umfassende Analysen der Vermessung in Bezug auf metafiktionale Aspekte vorliegen, lĂ€sst eine solche interessant werden. Mit Blick auf zukĂŒnftige Untersuchungen lassen sich aus solchen Einzelbetrachtungen vergleichende Analysen anstellen, und letztlich eine Gesamteinordnung erleichtern. Die Frage nach der MetafiktionalitĂ€t eines Textes wirft daneben auch zwangslĂ€ufig Fragen nach der FiktionalitĂ€t und somit nach den Konzepten von ErzĂ€hlen, Geschichte, Wahrheit und deren VerstĂ€ndnis im Text auf. In Bezug auf die auffĂ€llige Verbindung von Metafiktion und Postmoderne kann die Analyse metafiktionaler Aspekte bei Kehlmann fĂŒr literarhistorische Betrachtungen dazu beitragen zu klĂ€ren, ob sein Werk der Postmoderne zuzurechnen ist. Da Metafiktion ein transnationales PhĂ€nomen ist, wird die Betrachtung der Formen und Funktionen am Beispiel eines deutschsprachigen Gegenwartsromans besonders spannend.

Vor dem Hintergrund fehlender Einzeluntersuchungen zur Vermessung hat die vorliegende Arbeit zum Ziel, die Formen und Funktionen der metafiktionalen Aspekte im Roman zu untersuchen. Wenn MetafiktionalitĂ€t zu Kehlmanns grundlegenden ErzĂ€hlstrategien gehört, ist an dieser Stelle von Interesse, inwiefern sie in der Vermessung auftritt. Die vorliegende Arbeit versteht sich nicht als Forschungsbeitrag zum Bereich der Metafiktion, verfolgt also kein systematisches Erkenntnisinteresse. Stattdessen wird anhand der metafiktionalen Aspekte im Roman herausgearbeitet, wie das VerhĂ€ltnis von Fiktion und RealitĂ€t, die Problematiken historisierenden ErzĂ€hlens und das ErzĂ€hlen nach 1945 und der Stellenwert von Literatur in Kehlmanns Die Vermessung der Welt reflektiert werden. Die Fragestellung lautet also: Auf welche Art und Weise werden welche metafiktionale Strategien in der Vermessung eingesetzt und zu welchen Erkenntnissen sollen sie fĂŒhren? In Hinblick auf die Funktionen wird gefragt, in welchem Zusammenhang die metafiktionale Strategien mit dem gebrochenen Realismus stehen. Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit werden dabei einem close reading entnommen, also aus der genauen Untersuchung und Interpretation einzelner Textstellen. Die vom Autor zu diversen AnlĂ€ssen getĂ€tigten Äußerungen zu seinem Werk und zum Status von Literatur selbst werden aus diesem Grund fĂŒr diese Untersuchungen außen vor gelassen.[17]

Seit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989, der mit Rohde als „letzte grĂ¶ĂŸere ZĂ€sur“[18] der deutschen Literaturgeschichte betrachtet werden kann, zeichnen sich einige Trends und Tendenzen der deutschen Literatur ab. Dazu gehören unter anderem eine „signifikante HĂ€ufung von Erinnerungsthemen“[19], ein neuer Realismus,[20] „die neue Lesbarkeit“[21], Popliteratur und das PhĂ€nomen FrĂ€uleinwunder,[22] aber ebenso vermehrt Metafiktion[23] und eine Tendenz zu einer ironischen ErzĂ€hlhaltung[24]. Auch die „Problematik historisierenden ErzĂ€hlens“[25], zeigt Arnold, wird vermehrt zum Thema, denn in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur werden „verstĂ€rkt die Voraussetzungen von Geschichtsschreibung“[26] reflektiert.

Metafiktion und die Problematik historischen bzw. historisierenden ErzĂ€hlens sind auch bei Kehlmann zentrale Themen. Die bisher einzige Monografie zum PhĂ€nomen der MetafiktionalitĂ€t bei Kehlmann legt GerstenbrĂ€un vor.[27] Er untersucht Kehlmanns Romane Ruhm und Die Vermessung der Welt hinsichtlich ihrer MetafiktionalitĂ€t nach Struktur und Form, der verwendeten ErzĂ€hlstrategien, der IntertextualitĂ€t im Text sowie nach den Figuren. Dabei kommt er zu dem Schluss, es handle sich bei der Vermessung um eine historiografische Metafiktion. Die „Macht des Erfinders ĂŒber die Fiktion“[28] sei dabei zentral, ebenso wie Ironie und die Tradition des magischen Realismus. Die ironische Brechung, die fĂŒr GerstenbrĂ€un im Fokus der Untersuchung steht, gelinge in dem Roman durch die IntertextualitĂ€t als Strategie der AuthentizitĂ€tssteigerung ebenso wie durch die Figuren, die als Ironisierung des realen Autors zu verstehen seien. Im Gegensatz zu GerstenbrĂ€uns Analyse legt die vorliegende Arbeit den Schwerpunkt auf Die Vermessung der Welt und analysiert den Roman anhand der drei Konstituenten des literarischen Kommunikationsaktes, wobei sich vor allem von der These, Gauß fungiere als Sprachrohr des Autors, abgegrenzt wird. Bareis untersucht metafiktionales und metaleptisches ErzĂ€hlen in Daniel Kehlmanns Ruhm und kommt zu dem Ergebnis, dass Kehlmann „das Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, mit der illusionsschaffenden Macht und Kunst des ErzĂ€hlens, zu einer Grundlage seiner Poetologie gemacht [hat]“.[29] Im Zusammenhang der Diskussion um die enge Verbindung von Postmoderne und Metafiktion schlussfolgert Bareis, der Roman spiele mit den „Positionen und Möglichkeiten“[30] der Postmoderne, und stehe in der Tradition des magischen Realismus. Auch Herrmann geht in seinem Aufsatz zum fantastischen ErzĂ€hlen in der Vermessung auf die SelbstreflexivitĂ€t des Romans ein. Ausgehend von der Feststellung, die „PopulĂ€rkultur der Gegenwart“ werde dominiert von „magische[n] Welten, Zauberer[n], Vampire[n] und Raumschiffe[n]“[31], identifiziert er den Roman, sowie auch frĂŒhere Werke Kehlmanns als durchsetzt von fantastischen Elementen. Im Gegensatz zur Literatur der Postmoderne jedoch liege hier eine „selbstreflexive[] Transzendentalpoetik, wie sie bereits in der Romantik verfolgt wird“[32], zugrunde. Diese bezieht Herrmann auf ‚das Ganze‘, das sich dem Menschen entziehe, wodurch bei Kehlmann das zentrale Problem „‚moderner‘ Literatur nach 1800“[33] aufgegriffen werde. Auch Navratil untersucht das Fantastische bei Kehlmann: Ausgehend davon, dass es die Funktion der Verunsicherung habe,[34] argumentiert er, dass sich hierin „die UnzuverlĂ€ssigkeit des menschlichen Wahrnehmungsapparats“[35] zeige. Dem Vorliegen fantastischer Elemente ist jedoch nur bedingt zuzustimmen und eine genauere methodologische Untersuchung notwendig.

Abgesehen von den Untersuchungen von GerstenbrĂ€un, Bareis, Herrmann und Navratil ist das Metafiktionale bei Kehlmann bisher wenig ausfĂŒhrlich bearbeitet worden. Lediglich einzelne Merkmale der Metafiktion sind beachtet worden: Beispielsweise verweist Tetzlaff darauf, dass sich Gauß „immer wieder seinen Status als Figur prĂ€sent [macht]“[36], Anderson sieht in der Satire den „SchlĂŒssel zum Roman“[37], und Neuhaus erkennt im Roman punktuell auftretende Metafiktion,[38] mit der unter anderem Ironie und IntertextualitĂ€t verbunden sind.[39] Herrmann argumentiert zu recht, dass analog zu anderen Romanen Kehlmann auch in der Vermessung zwei verschiedene Möglichkeiten der Erkenntnis von Welt vorgestellt, als unzulĂ€nglich dargestellt und diesen „ein spezifisch Ă€sthetisches Erkenntnispotenzial“[40] entgegengehalten werden. Ruf letztlich zeigt auf, worum es Kehlmann eigentlich geht: Er behandle „das zentrale Sujet ‚Erinnerung‘ auf der Metaebene seiner Werke. Diese sind daher allem voran auch immer Fiktionen ĂŒber sich selbst: sie treffen reflexive Aussagen ĂŒber das Medium Literatur“[41].

Im Folgenden wird gezeigt, dass die Metafiktion in der Vermessung der Welt, „[a]bseits eines ‚kommerziellen Realismus‘“[42], wie Gerstenberger treffend formuliert hat, zur „resurgence of the storytelling so many critics demanded“ beitragen hat, aber auch als „sophisticated engagement with the function of the literary work and the role of the artist“[43] zu verstehen ist. Durch die spezifische ErzĂ€hlweise in der Vermessung bleibt „in der Schwebe, ob ‚vergangene RealitĂ€t‘ oder ‚heutige Fiktion‘: Es ist beides.“[44] Erreicht wird dies durch diverse metafiktionale Strategien. Ähnlich wie in der biografische Metafiktion auch, zeigen sich in Kehlmanns Roman „Spannungen zwischen Fiktion und Historie, zwischen Kunst und Wissenschaft“[45], die im Folgenden im Zentrum der Untersuchung stehen.

 

2.     Methode: Metafiktion

 

Zur Betrachtung der metafiktionalen Aspekte in Kehlmanns Vermessung wird zunĂ€chst der Begriff ‚Metafiktion‘ betrachtet, denn es „[besteht] durchaus noch KlĂ€rungsbedarf“[46]. Im Anschluss werden die Kernpunkte der gĂ€ngigsten Theorien von Scholes (1970), Gass (1970), Alter (1975), Hutcheon (1980), Waugh (1984) und Wolf (1993) vorgestellt. Abschließend werden die zentralen Formen und Funktionen nach Zimmermann (1996) und Sprenger (1999) herausgestellt und fĂŒr die anschließende Analyse brauchbar gemacht.

 

2.1    Zum Begriff der Metafiktion

Metafiktion ist gleichermaßen als Begriff und PhĂ€nomen komplex und umfangreich, was ein Nachschlagen in verschiedenen Literaturlexika bestĂ€tigt. Dem Literaturlexikon von Metzler zufolge meint Metafiktion zunĂ€chst „ErzĂ€hlliteratur, die ihre FiktionalitĂ€t gezielt und grundsĂ€tzlich offenlegt, bzw. entsprechende ErzĂ€hl- oder Darstellungsstrategien“ und „kann punktuell oder auf den ganzen Text angewandt werden“[47]. Metafiktion kann entweder explizit auf Figurenebene oder implizit auf struktureller Ebene vorliegen; IntertextualitĂ€t und Parodie sind einige metafiktionale Strategien, unklar sei jedoch, ob sie alle oder nur moderne oder postmoderne ErzĂ€hltexte betreffen kann.[48] Die Verbindung zur Postmoderne wird auch in der Routledge Encyclopedia of Narrative Theory deutlich, Metafiktion wird hier als „historical component of fiction and as a hallmark of postmodernism“[49] verstanden. Noch differenzierter und, im Vergleich zu anderen Definitionen, am detailliertesten fasst das Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie den Begriff. Darin beschreibt Wolf Metafiktion als von MetafiktionalitĂ€t geprĂ€gte ganze oder Teile von ErzĂ€hlungen, die zum Nachdenken ĂŒber FiktionalitĂ€t anregen, in verschiedenen Formen auftreten und diverse Funktionen haben können, und als seit Langem existierendes PhĂ€nomen, das in der HĂ€ufigkeit, abhĂ€ngig vom Kontext ihrer Gattung sowie der Epoche, variiert; dabei habe sich im Laufe der Zeit die historiografische Metafiktion als eine Form entwickelt.[50] Der von Hutcheon im Zuge der Diskussion um „postmodernism“ geprĂ€gte Begriff, erklĂ€rt NĂŒnning, meint „eine fiktionale Form der Reflexion ĂŒber Historiographie und Geschichtstheorie im Medium des Romans“[51]. Ähnlich wie metahistorische Romane evoziere auch historiografische Metafiktion „Geschichte [
] mit Hilfe eines dichten Netzes von intertextuellen Referenzen als Geschichtsbewußtsein“[52]. Nach NĂŒnning kann sie motiviert oder unmotiviert sein, abhĂ€ngig davon, ob die Figuren einen direkten Bezug zu historischer Forschung haben oder sie sich ohne Anlass ĂŒber entsprechende Fragestellungen unterhalten.[53]

Insgesamt lĂ€sst sich trotz der sich im Detail unterscheidenden Definitionen festhalten, dass es bei Metafiktionen immer darum geht, den Status des Kunstwerks als solches zu reflektieren. Neben dem Begriff der Metafiktion tauchen jedoch Ă€hnliche, teilweise synonym verwendete Begriffe auf. Bei Genette zĂ€hlt der Begriff der MetatextualitĂ€t zum „dritten Typus transtextueller Transzendenz [
]; dabei handelt es sich um die ĂŒblicherweise als ‚Kommentar‘ apostrophierte Beziehung zwischen einem Text und einem anderen, der sich mit ihm auseinandersetzt: [
] [d]ies ist die kritische Beziehung par excellence“[54]. In Die ErzĂ€hlung hingegen finden nur noch die metadiegetische ErzĂ€hlung und die Metalepse eine ErwĂ€hnung, ohne direkt mit MetatextualitĂ€t bzw. MetafiktionalitĂ€t in Verbindung gebracht zu werden. Am Rande verweist Genette aber auf einen Typus der metadiegetischen ErzĂ€hlung, bei dem verdeutlicht wird, „dass die Narration ein Akt ist, eine Handlung wie jede andere auch.“[55] FĂŒr die Metafiktionsforschung ist seine Hypothese interessant, dass die „narrativen Adressaten, d.h. Sie und ich, vielleicht auch noch zu irgendeiner ErzĂ€hlung gehören.“[56] Auch Zaiser diskutiert MetatextualitĂ€t, verstanden als „Oberbegriff fĂŒr alle Erscheinungsformen der literarischen Fiktion [
], die die Poetologie eines Textes in diesem selbst zum Gegenstand der Reflexion macht“[57]. Scheffel benutzt den Begriff der SelbstreflexivitĂ€t, wobei es sich um „Selbst- oder RĂŒckbezĂŒglichkeit einer ErzĂ€hlung als Ganzes“ bzw. um das „Sich-Selbst-Betrachten“ (FE 48) mittels vor allem intra- und intertextueller Verfahren handelt. SpĂ€ter fasst Scheffel den Begriff im Sinne Wolfs zu den Formen der Metaisierung.[58] Wolfs Begriff der Selbst- bzw. AutoreferentialitĂ€t „beinhaltet alle jene textuellen Erscheinungen, die sich [
] direkt oder indirekt auf Merkmale, Inhalte, Entstehungs- oder Rezeptionsbedingungen usw. des eigenen Systems beziehen“, die wichtig werden, wenn „sie zur Sinnkonstitution des Textes ĂŒber die bloße textsemantische KohĂ€renz hinausgehend beitragen“[59]. SelbstreferentialitĂ€t wird als Oberbegriff verwendet, Metafiktion ist ihm als Form der Metaliteratur untergeordnet (vgl. FS 70f.). Metaisierungen beschrĂ€nken sich nicht auf die Literatur, sondern sind auch in anderen Medien zu finden.[60] Ähnlich wie Wolf greift auch NĂŒnning den Begriff der ErzĂ€hlillusion bzw. deren Durchbrechung auf, um Metanarrationen zu untersuchen. Metanarration meint „the narrator’s commenting on the process of narration“[61] bzw. „eine Thematisierung des ErzĂ€hlens bzw. des ErzĂ€hlvorgangs“, wĂ€hrend es sich bei Metafiktion um „eine Bloßlegung der FiktionalitĂ€t des ErzĂ€hlten oder auch des ErzĂ€hlens“[62] handele. Fludernik schließt sich dem weitestgehend an.[63]

FĂŒr die vorliegende Arbeit wird der Begriff der Metafiktion genutzt, weil er international am gĂ€ngigsten ist, und, weil es, wie Wolf argumentiert, sinnvoll erscheint, Metafiktion als Unterkategorie von SelbstreferentialitĂ€t zu betrachten. Zudem wird sich zeigen, dass es sich bei der Vermessung im Sinne NĂŒnnings um Metafiktion handelt, die ihre FiktionalitĂ€t bloßlegt, nicht um Metanarration, da sich keine expliziten ErzĂ€hlerkommentare zum Prozess des ErzĂ€hlens finden lassen.

 

2.2    Zur Theorie der Metafiktion

Nach einfĂŒhrenden ErklĂ€rungen zum Begriff Metafiktion geben die Kernpunkte der Theorien von Scholes, Gass, Alter, Hutcheon, Waugh und Wolf im Folgenden einen Überblick ĂŒber zentrale Merkmale der Metafiktion.

 

2.2.1    Scholes (1970) und Gass (1970)

Im Jahr 1970 begann William H. Gass, die bisher als „anti-novels“ bezeichneten Werke unter „metafictions“[64] zu fassen, um so ErzĂ€hlungen, die kritische Betrachtungen in den fiktionalen Prozess integrieren, etwa die Werke von Jorge Luis Borges, John Barth und Flann O’Brien, prĂ€ziser beschreiben zu können. ErzĂ€hlliteratur, so seine These, beschĂ€ftigt sich mit Sprache, besteht aus Konzepten und vermag es, Welten zu erschaffen: „The esthetic aim of any fiction is the creation of a verbal world, or a significant part of such a world, alive through every order of its Being.“ (FFL 7) Der Autor könne sein Medium besser verstehen, da er nicht mehr vortĂ€usche, die empirische Welt narrativ wiederzugeben. Metafiktion bedeutet fĂŒr Gass den selbstbewussten und kritischen Einbezug philosophischer Ideen in die Konstruktion fiktionaler Werke. In der Metafiktion „[serve] the forms of fiction […] as the material upon which further forms can be imposed.“ (FFL 25)

Unter Metafiktion versteht Robert Scholes experimentelle ErzĂ€hlliteratur, die als solche eine wichtige Strömung darstelle. Schriftsteller metafiktionaler Werke nennt er „fabulators“[65], denen der Glaube an eine ultimative Ordnung der Welt abhanden gekommen sei. Ihre Literatur wende sich vom traditionellen Realismus ab, da dieser das ‚Reale‘ nicht fassen könne. Die Basis fĂŒr Metafiktion sieht Scholes im Fallibilismus, und in Metafiktion sieht er „an attempt to find more subtle correspondences between the reality which is fiction and the fiction which is reality“[66]. Metafiktion sei gekennzeichnet durch formale oder strukturelle Kritik, die in den fiktionalen Prozess integriert ist. ErzĂ€hlliteratur sei beeinflusst von Philosophie und Geschichte und ihr Inhalt fungiere als Medium fĂŒr die Vermittlung der Erfahrung, die die Bedeutung eines Textes hervorbringe. Diese Bedeutung mĂŒsse jeder Leser selbst erfahren, wodurch er gefordert und eingebunden wird. Durch die Rahmung von ErzĂ€hlungen durch Konventionen helfe der ErzĂ€hler dem Leser, sich zu orientieren, „but they also provide material for ironic or parodic scrutiny by the author, who manipulates the conventions with a certain amount of disdain.“ (FM 59) Im Gegensatz zum Historiker bemĂŒhe sich der Schriftsteller um die AnnĂ€herung an die Wahrheit durch Erfahrung jenseits des Faktischen und Dokumentarischen; sein Werk ist stets imaginĂ€r. Metafiktion tendiert zur KĂŒrze und ist darum bemĂŒht, die Gesetze von ErzĂ€hlliteratur zu bedrohen oder sogar zu ĂŒberschreiten (vgl. FM 107). Zu ihren Merkmalen und Strategien zĂ€hlt Scholes Allegorie, kritische Skepsis gegenĂŒber Mythen, „romance“, das Erotische, Ironie, Parodie und direkte Leseransprachen. SelbstreflexivitĂ€t ist fĂŒr Scholes eine narzisstische Art, der Aufgabe, den Menschen in Einklang mit dem Universum zu bringen, aus dem Weg zu gehen. Trotz der langen Tradition sieht Scholes Metafiktion als bald endenden Trend an, denn „not many people want to read this fiction.“ (FM 213)

 

2.2.2    Alter (1975)

In Partial Magic untersucht Alter das PhĂ€nomen der Metafiktion, noch ohne den Begriff explizit zu verwenden.[67] Bereits frĂŒhe selbstbezĂŒgliche Werke, wie die Odyssee, zeigen, dass ErzĂ€hlungen niemals die RealitĂ€t abbilden. Metafiktionale Literatur sei solche, die systematisch ihren Kunstcharakter zur Schau stelle und somit die problematische Beziehung zwischen realistischem Kunstwerk und RealitĂ€t bzw. zwischen RealitĂ€t und Fiktion generell untersuche. Fiktionale SelbstbezĂŒglichkeit könne punktuell oder gĂ€nzlich im Text auftreten.

Die Schriftsteller selbstbezĂŒglicher Literatur „do not constitute a school or a movement“[68]. Zu den grĂ¶ĂŸten Schriftstellern selbstbezĂŒglicher Literatur zu Beginn des Romans zĂ€hlt Alter Cervantes, Fielding, Sterne und Diderot. SelbstbezĂŒglichkeit in der Literatur versteht er als ausgeprĂ€gten exemplarischen Trend mit einer AffinitĂ€t zu historischem Setting und der Beziehung zu Ă€lteren Genres. Sie könne unterschiedlich stark ausgeprĂ€gt sein, sei jedoch bestimmt durch die formalen Grenzen des Genres und des Mediums. Nach Alter vermischt der selbstbezĂŒgliche Roman oft Fakt und Fiktion, beschĂ€ftigt sich mit Fragen nach der IdentitĂ€t und enthĂ€lt stets Literaturkritik: „Now, in the self-conscious novel the act of fiction always implies an act of literary criticism“ (PM 81). Literaturkritik könne sich in parodistischen oder satirischen Betrachtungen literarischer Konventionen, Genres oder eigener Verfahren, oder auch im Einsatz von Kommentaren oder Kommentatoren Ă€ußern, im Zentrum der Kritik stehe vielfach das Konzept der Mimesis. Ein wichtiges Merkmal selbstbezĂŒglicher Literatur sei das Paradoxon, dass „the reader is successively drawn into the suspense and interest that the characters themselves provide and is wrenched away from them to an awareness of the pen which controls them“ (PM 20f.). Zu den selbstbezĂŒglichen Strategien zĂ€hlt Alter u.a. (1) IntertextualitĂ€t, (2) eine spielerische Beziehung zwischen Leser und Autor, wodurch die Frage nach Sprache und ihrer ArbitraritĂ€t aufkommt, (3) Duplikate, die oftmals explizit parodistische Imitation sind, somit auch (4) Parodie, durch die alte Konventionen wiederaufgearbeitet werden. Weitere Charakteristika seien der prahlerische ErzĂ€hler, die eingeschobene ErzĂ€hlung und das Zur-Schau-Stellen vermeintlich naiver, aber tatsĂ€chlich findiger narrativer Verfahren, die den Leser daran erinnern, dass jede Abbildung der RealitĂ€t Stilisierung ist. Alter sieht in selbstbezĂŒglicher Literatur ein Bewusstsein fĂŒr die WillkĂŒrlichkeit narrativer Konventionen und die Tendenz, von traditionellen narrativen Strukturen abzuweichen.

 

2.2.3    Hutcheon (1984/1989)

2.2.3.1 Narcissistic Narrative (1984)

Im Zuge der Diskussionen um „postmodernism“ ist es das Anliegen Hutcheons, Metafiktion als Ausdruck des Postmodernen und allgegenwĂ€rtiges PhĂ€nomen zu beschreiben. Zwar trennt sie die Begriffe voneinander, sieht aber eine enge Verbindung.

Metafiktion sieht Hutcheon schon in Homers Odyssee und Cervantes’ Don Quijote. Der Begriff beschreibt fĂŒr sie „fiction about fiction – that is, fiction that includes within itself a commentary on its own narrative and/or linguistic identity.“[69] Metafiktionale Literatur „provides, within itself, a commentary on its own status of fiction and as language, and also on its own processes of production and reception.“ (NN xii) Sie stehe fĂŒr das BedĂŒrfnis nach einem erweiterten VerstĂ€ndnis von Mimesis und sei eine Aufarbeitung Aristotelischer Theorie, denn poiesis werde zum geteilten Akt von Leser und Autor. Wird dem Leser die KĂŒnstlichkeit literarischer Texte vor Augen gefĂŒhrt, so wĂŒrden seine Erwartungen parodiert und seine aktive Partizipation gefordert. Laut Hutcheon wird er so, wie der Autor, zum Kritiker. Eine didaktische Funktion habe Metafiktion, indem sie dem Leser Kenntnisse ĂŒber den ontologischen Status aller Fiktion sowie ĂŒber das Lesen vermittelt. Ihr Paradox sei, dass sie in narzisstischer Weise selbstreflexiv und somit nach außen gerichtet, und zugleich nach innen dem Leser zugewandt ist.

Vier wiederkehrende narrative Strukturen sind nach Hutcheon prĂ€destiniert fĂŒr die Metafiktion: 1. Die Detektivgeschichte[70], 2. Fantasyliteratur[71], 3. Strukturen des Spiels[72], und 4. das Erotische[73]. Metafiktion könne in vier Formen vorliegen: Als (1) diegetically self-conscious, (2) als sich ihrer linguistischen Verfassung bewusst, (3) als overt (offene bzw. explizite)[74] oder (4) als covert (verdeckte bzw. implizite) Form: „Overtly narcissistic texts reveal their self-awareness in explicit thematizations or allegorizations of their diegetic or linguistic identity within the texts themselves. In the covert form, this process is internalized, actualized; such a text is self-reflective but not necessarily self-conscious.“ (NN 7) Einige Techniken der offenen Form sind nach Hutcheon die „mise en abyme, allegory, metaphor, microcosm to shift the focus from the ‘fiction’ to the ‘narration’ by either making the ‘narration’ into the very substance of the novel’s content, or by undermining the traditional coherence of the ‘fiction’ itself, in the latter case.“ (NN 28) Ein anderes, wesentliches Mittel von Metafiktion sei Parodie: Sie decke veraltete literarische Traditionen auf, biete die Möglichkeit, neue Konventionen und literarische Codes zu etablieren, diene aber auch als Mittel zur defamiliarization. Parodie fordert nach Hutcheon den Leser zum aktiven Mitdenken und selbstverantwortlichen Interpretieren des Texts auf. Literarisch thematisiert wĂŒrden dann oft die UnfĂ€higkeit von Sprache, GefĂŒhle oder Gedanken adĂ€quat wiederzugeben, oder die ĂŒberwĂ€ltigende Macht von Sprache, fiktionale Welten zu erschaffen. In Verbindung damit könne auch IntertextualitĂ€t zum wichtigen Mittel werden, wenn intertextuell und parodistisch auf Stile, Inhalte oder Formen zurĂŒckgegriffen wird, um diese als veraltet darzustellen. Bei der verdeckten Form, so Hutcheon, wird die Beteiligung des Lesers am Schöpfungsprozess stillschweigend vorausgesetzt. Auf der Ebene der Sprache seien Wortspiele, Anagramme oder andere sprachliche Spiele Merkmale der verdeckten Form. Ein RĂ€tsel oder ein Witz beispielsweise lenken die Aufmerksamkeit auf die Doppelfunktion von Sprache: „Language can both convey and conceal meaning.“ (NN 34) Indem metafiktionale Texte explizit oder implizit literarische Prozesse thematisieren, werde immer die referentielle Illusion des literarischen Realismus aufgedeckt.

 

2.2.3.2 Historiographic Metafiction (1989)

In Anlehnung an ihre Bemerkung ĂŒber den „historiographic mode“ (NN xiv) von Metafiktion, argumentiert Hutcheon 1989, dass Metafiktion oftmals in (postmoderner) Literatur zu finden sei, jedoch dĂŒrfe nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Geschichte eine selbstbezĂŒgliche Tendenz hat. Unter „historiographic metafiction“ ist Literatur zu verstehen, „that is at once metafictional and historical in its echoes of the texts and contexts of the past.“[75] Die historiografische Metafiktion problematisiere nicht nur historische Genauigkeit, sondern auch „die eindeutige Unterscheidung von Historiographie und Literatur“, gleichzeitig wĂŒrden der „Anspruch der Geschichtsschreibung auf Wahrheit und ObjektivitĂ€t“[76] und ein naives Konzept realistischer Darstellung angezweifelt. Das Ziel sei, sich in den Diskurs von Geschichte einzuordnen und dabei den Status als ErzĂ€hlliteratur nicht zu verlieren.

 

2.2.4    Waugh (1984)

Einen wichtigen Beitrag zum Forschungsbereich der Metafiktion leistet auch Waugh. Sie sieht in Metafiktion einen neuen Begriff, als PhĂ€nomen existiere sie aber mindestens so lange wie der Roman selbst. Als Opposition zum realistischen Roman und als Tendenz in jeder ErzĂ€hlliteratur trete sie in der Literaturgeschichte jedoch besonders gehĂ€uft in Krisenzeiten auf. Metafiktion versteht Waugh als Form von Postmodernismus, die mit Rahmen und RahmenbrĂŒchen oder Konstruktion und Dekonstruktion von Illusion arbeitet. Zu bekannten Schriftstellern zĂ€hlt sie Borges und Nabokov. Metafiktion definiert auch Waugh als einen Begriff fĂŒr Literatur, die selbstbewusst und systematisch die Aufmerksamkeit auf ihren Status als Kunstwerk lenkt, um Fragen nach der Beziehung von Fiktion und RealitĂ€t aufzuwerfen. Metafiktion verdeutliche die Unmöglichkeit der ReprĂ€sentation von Welt, Autor und RealitĂ€t werden als konstruierte Konzepte aufgefasst. Zusammengefasst:

Metafiction explicitly lays bare the conventions of realism; it does not ignore or abandon them. Very often realistic conventions supply the ‘control’ in metafictional texts, the norm or background against which the experimental strategies can foreground themselves. More obviously, of course, this allows for a stable level of readerly familiarity [
]. What [metafiction] does is to re-examine the conventions of realism in order to discover – through its own self-reflection – a fictional form that is culturally relevant and comprehensible to contemporary readers. [
] [M]etafiction helps us to understand how the reality we live day by day is similarly constructed, simply ‘written’.[77]

Metafiktional sei ein Text bereits, wenn er die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Prozess der Konstruktion eines Textes lenkt, sodass die konventionellen Erwartungen des Lesers enttĂ€uscht werden. Thematisiert werden oft die Frustration darĂŒber, dass Sprache mehr konstruiert als dass sie das tĂ€gliche Leben widerspiegelt, sowie IdentitĂ€tsbildung. Der Autor von Metafiktionen verdeutlichen fĂŒr Waugh das Problem der Referenz: Eigennamen beispielsweise wĂŒrden gerne um ihrer ArbitraritĂ€t oder AbsurditĂ€t willen parodiert, weggelassen oder in eine besonders metaphorische Beziehung zu dem bezeichnenden Objekt gesetzt, sie zeigen die willkĂŒrliche Kontrolle des Schriftstellers und die WillkĂŒr von Sprache. Eine Unterkategorie metafiktionaler Romane beschĂ€ftige sich besonders mit Geschichte und indem reale historische Ereignisse oder Personen in offensichtlich fiktionale Kontexte eingefĂŒgt werden, suggerieren sie, dass Geschichte Ă€hnlich fiktiv ist wie fiktionale Welten. Geschichtsschreibung, so Waugh, erscheint als Illusion, denn immer werden die Personen und Ereignisse in einen neuen Kontext gebracht. In der Mitte der beiden Extreme minimaler/maximaler Metafiktion wird eine ausbalancierte Spannung zwischen „awareness of its literary-fictional condition and its desire to create imaginative realities, alternative worlds, in which the reader can still be absorbed“ (M 130) gehalten. In radikaler Metafiktion lassen sich nach Waugh einige Strategien gehĂ€uft auffinden: nicht aufgelöste WidersprĂŒche, das Paradox (als Form des Widerspruchs), objets trouvĂ©s,[78] oder intertextuelles Übermaß.

Merkmale der Metafiktion sind nach Waugh u.a. absurde Listen, unendlicher Regress, ein ĂŒber die Maßen aufdringlicher oder sogar offen erfindender ErzĂ€hler, „Chinese-box structures“, der komplette Zusammenbruch zeitlicher und rĂ€umlicher Organisation der Narration, selbstreflexive Bilder wie Spiegel, Irrgarten oder Akrosticha, kritische Diskussionen der erzĂ€hlten ErzĂ€hlung, Ironie, andauernde Untergrabung fiktionaler Konventionen, Nutzung beliebter Genres oder explizite Parodie vorangegangener Texte, also intertextuelle Verfahren. Parodie sei eine wichtige literarische Strategie der Metafiktion, da durch sie neuen literarischen Konventionen der Weg bereitet werden kann. Metafiktion breche nicht radikal mit literarischen Konventionen, sondern lege sie offen, um innovative Wege einzuschlagen.

 

2.2.5    Wolf (1993/2001)

2.2.5.1 Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der ErzĂ€hlkunst (1993)

Wolf befasst sich in seiner Habilitationsschrift Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der ErzĂ€hlkunst mit zwei parallel verlaufenden Traditionen, der „Tradition illusionistischer Narrativik“ und der minoritĂ€ren „Tradition illusionsstörenden ErzĂ€hlens“[79]. Unter illusionsstörendem ErzĂ€hlen versteht er „ein ErzĂ€hlen, das auf der Basis der illusionistischen Narrativik als Spiel mit ihr, als deren Kritik oder gar Negation auftritt“ (Ä 2). Metafiktion ist nach Wolf eins der vier Charakteristika illusionsstörender Narrativik.

Metafiktion bezieht sich nach Wolf auf ErzĂ€hltexte. Das zentrale Prinzip der Metafiktion sei AutoreferentialitĂ€t, die er in drei Formen unterteilt: (1) Eigenmetafiktion, also die „unmittelbare[] Auseinandersetzung mit dem eigenen Text“, (2) Fremdmetafiktion, „auf spezifische Fremdtexte bezogen[]“, (3) Allgemeinmetafiktion, „auf die Literatur allgemein eingehend[]“ (Ä 225). Vermittelt werden können die jeweiligen Formen entweder explizit, im Modus des telling, oder implizit, im Modus des showing. Wolf unterscheidet eine weite und eine enge Definition von Metafiktion. Die explizite Form der Metafiktion entspricht der engen Definition, seine weite Definition lautet wie folgt:

Metafiktional sind binnenfiktionale metaĂ€sthetische Aussagen und alle autoreferentiellen Elemente eines ErzĂ€hltextes, die [
] als SekundĂ€rdiskurs ĂŒber nicht ausschließlich als histoire bzw. (scheinbare) Wirklichkeit begriffene Teile des eigenen Textes, von fremden Texten und von Literatur allgemein den Rezipienten in besonderer Weise PhĂ€nomene zu Bewußtsein bringen, die mit der Narrativik als Kunst und namentlich ihrer FiktionalitĂ€t [
] zusammenhĂ€ngen. (Ä 228)

Implizite Metafiktion mĂŒsse sich immer anderer Mittel der Illusionsdurchbrechung bedienen, um erkannt zu werden, sei aber auch die „potentiell radikalere“, da durch sie „ein ganzer Text ohne Rest als unglaubwĂŒrdig und fiktional bloßgestellt werden [kann].“ (Ä 234f.) Die Illusion stören oder durchbrechen metafiktionale Passagen besonders dann, wenn sie zentral positioniert sind, da der Kontrast zur vorangegangenen Illusion vergleichsweise hoch sei. Den Formen auf inhaltlicher Ebene, Eigen-, Fremd- und Allgemeinfiktion sowie kritische, neutrale und affirmative Metafiktion, sei der Abstand zur Diegese gemein, der den Leser zum Mitdenken auffordert. In Verbindung mit Metafiktion kann nach Wolf auch Komik auftreten. Sie könne die Illusionsstörung verstĂ€rken oder gar auslösen. In jedem Fall schaffe Komik eine Ambivalenz „aus Bindung und Distanz“ (Ä 442). Liegt beispielsweise eine Verbindung von (Fremd-)Metafiktion und Komik vor, handele es sich um Parodie, und auch Ironie und explizite Metafiktion seien in der Literatur hĂ€ufig. Wenn „sich die Ironie gegen Elemente der discours-Ebene richtet, in denen sie sich also [
] gegen das ErzĂ€hlen selbst wendet“ (Ä 448), sei die illusionsstörende Wirkung am höchsten. Auf histoire-Ebene soll Ironie didaktische Funktion haben. Zusammenfassend erklĂ€rt Wolf „Betonung der Differenz zwischen RealitĂ€t und Kunst“ zum generellen Ziel illusionsstörenden ErzĂ€hlens, „Unwahrscheinlichkeit (vs. Wahrscheinlichkeit), Bloßlegen von KĂŒnstlichkeit (vs. ihr VerhĂŒllen) und uninteressante Gestaltung der Fiktionswelt (vs. Erwecken von Interesse fĂŒr sie)“ (Ä 469f.) seien die drei Unterziele. Zu hinterfragen ist allerdings, ob Metafiktion tatsĂ€chlich stets illusionsstörend ist.

 

2.2.5.2 Formen literarischer Selbstreferenz in der ErzÀhlkunst (2001)

In einem spĂ€teren Aufsatz ordnet Wolf Metafiktion und andere Referenzen dem Oberbegriff Metaisierung zu. Metawerke trennt er von Metagattungen, wobei Metafiktion als „Bezeichnung aller Metaformen der ErzĂ€hlkunst“ (FS 37) genutzt wird. Nach Wolf ist die Metafiktion also eine Art von Metaliteratur, nĂ€mlich solche, die in ErzĂ€hltexten auftritt.

Über diverse Systematisierungsversuche hinaus fasst Wolf auch die Funktionen von literarischer SelbstreferentialitĂ€t zusammen. Abgesehen von der Offenlegung der KĂŒnstlichkeit eines Kunstwerks, könne Selbstreferenz einen Ă€sthetischen Mehrwert an Sinn produzieren, Ă€sthetisches VergnĂŒgen bereiten oder „das ErzĂ€hlte und seine Wahrheit oder den ErzĂ€hler und seine Kunstfertigkeit durchaus auch feiern“ (FS 79).

 

2.2.6    Definition

FĂŒr die folgende Analyse von Kehlmanns Vermessung wird Metafiktion wie folgt verstanden: Metafiktion wird als „ahistorische Schreibweise“ begriffen, „die nicht notwendigerweise an die Postmoderne gebunden ist, auch wenn sie sich fĂŒr deren Problembewußtsein und deren Fragestellungen als Ausdrucksmittel in besonderem Maße anzubieten scheint.“[80] Mit dem Ziel der „deconstruction of the concept of representation“[81] beschreibt Metafiktion im Sinne Waughs eine Schreibweise, die selbstbezĂŒglich ihren Status als Kunstwerk reflektiert und durch die Kritik der eigenen Methoden die grundlegenden Strukturen von Narration untersucht (vgl. M 2). Metafiktionale Texte „draw the reader’s attention to the storytelling process and undermine the realism of the narrative.“[82] Metafiktionale Aussagen sind solche, die „Auskunft ĂŒber die Eigenschaften fiktionaler Werke oder der Objekte, die ihnen entstammen, [
] erteilen.“[83] Metafiktionale Werke reflektieren ihren Entstehungsprozess und die „Relation von Fiktion und Wirklichkeit innerhalb des literarischen Werkes.“ (MR 25) In Abgrenzung zum Realismus wird der Leser in Metafiktionen in besonderer Weise gefordert und ist am Schöpfungsprozess beteiligt, „die TĂ€tigkeit des Lesens wird tatsĂ€chlich mit der des Schreibens identisch. Metafiktionale Werke zeichnen sich im Unterschied zu anderen literarischen Texten dadurch aus, daß sie diese Leerstellen thematisieren bzw. in den Vordergrund rĂŒcken.“[84] Sie können implizit oder explizit metafiktional sein, und in den drei Formen Fremd-, Eigen- und Allgemeinmetafiktion vorliegen (vgl. Ä 225). Zu den Funktionen von Metafiktion gehören „Schaffen poetologischer ReflexionsrĂ€ume; Ă€sthetische Selbst- oder Fremdkommentierung und Bereitstellung von Verstehenshilfen, v.a. bei innovativen Werken; Feier des ErzĂ€hlten oder des ErzĂ€hlers; spielerisches Ausloten der Möglichkeiten des Mediums.“[85]

 

2.3    Formen und Funktionen (Zimmermann 1996/Sprenger 1999)

Es ist nicht die Literatur, die die Wirklichkeit abbildet,

sondern die Literatur lenkt und determiniert unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. (MR 12)

 

Die Arbeiten von Zimmermann (1996) und Sprenger (1999) befassen sich mit Metafiktion in deutscher bzw. kanadischer Literatur. Sie begreifen das PhĂ€nomen in Ă€hnlicher Weise und gehen von Ă€hnlichen PrĂ€missen und der Trias von ErzĂ€hler, ErzĂ€hltem bzw. Textebene und Leser aus. Im Gegensatz zu Sprenger teilt Zimmermann metafiktionale Strategien nach eben dieser Trias auf und nutzt diese Aufteilung als Ausgangspunkt fĂŒr ihre Untersuchung. Im Folgenden wird diese auch der Untersuchung von Kehlmanns Roman dienen.

Sprenger setzt bei dem wandelnden VerstĂ€ndnis von „Wahrheit und Wahrhaftigkeit, von Mythos und Geschichte, von RealitĂ€t und Fiktion“[86] an. Metafiktion sei eine ahistorische Tendenz in der Literatur, und keine eigenstĂ€ndige Gattung. Zu den zentralen metafiktionalen Verfahren zĂ€hlt sie IntertextualitĂ€t, vor allem das intertextuelle Spiel mit Mythen, „das Motiv der falschen Zitate und Verweise“ (ME 50), Leseranreden, BrĂŒche in der Syntax beispielsweise durch Gedankenstriche, Sprachskepsis, innovatives ErzĂ€hlen, Leerstellen im Text, Infragestellen der ErzĂ€hlerinstanz, Ironie, Parodie, labyrinthische Strukturen zur Desorientierung des Lesers. Dem Leser kommt eine aktive Rolle zu; wird sein Erwartungshorizont gestört, wirken metafiktionale Strategien erst. Auf Seiten des ErzĂ€hlers ist eine Strategie wie etwa die Verwendung des Konjunktivs, wie bei Thomas Bernhard, insofern Merkmal metafiktionalen ErzĂ€hlens, da so die RealitĂ€tsbezĂŒge „immer nur Möglichkeiten aufzeigen“ (ME 321), die den Leser alleine lassen. Merkmal metafiktionalen ErzĂ€hlens ist es, dass „die eigene ArtifizialitĂ€t zum Gegenstand im Bewußtstein der Figuren wird.“ (ME 109)

Mittels Metafiktion werden ĂŒberholte ErzĂ€hlstrategien aufgedeckt und innovativ bearbeitet. Es wird aber auch deutlich, dass „Fiktion keine empirische Wirklichkeit abbildet, sondern lediglich eine der Fiktion selbst immanente Wirklichkeit erzeugen kann.“ (ME 309) Metafiktion, so Zimmermann, kann implizit oder explizit vorliegen, und „bezieht sich auf fiktionale Werke, die ihren eigenen Entstehungsprozeß thematisieren und die ‚das VerhĂ€ltnis von Kunst und RealitĂ€t neu [
] bestimmen‘“ (MR 2). Durch Metafiktionen werden „[t]eleologische und evolutionĂ€re Geschichtsmodelle [
] ebenso als Fiktionen entlarvt wie der Gedanke eines autonomen und selbstbestimmten Subjekts“ (MR 7f.). Als besonderes Merkmal metafiktionaler Literatur gilt der auktoriale ErzĂ€hler, der den Leser zur kritischen Reflexion auffordert. Zu den wichtigsten Merkmalen metafiktionalen ErzĂ€hlens zĂ€hlt Zimmermann folgende:

IdentitĂ€tsspaltung, die regionale Aufsplitterung, die Überschreitung traditioneller Gattungsgrenzen, die starke ReprĂ€sentanz weiblicher Autoren, die Infragestellung traditioneller europĂ€ischer und amerikanischer Mythen und Literaturformen, die Beliebtheit der Parodie, die enge VerknĂŒpfung zwischen literarischer Praxis und Theorie, das Mißtrauen gegenĂŒber MetaerzĂ€hlungen, die BeschĂ€ftigung mit Geschichte und Geschichtsschreibung, die aktive Rolle, die dem Leser in dieser Art von Literatur zugewiesen wird, die Auseinandersetzung mit realistischen Konventionen. (MR 273f.)

Zimmermann unterscheidet fĂŒr die Beschreibung der zentralen metafiktionalen Techniken und Verfahren die „drei Konstituenten des literarischen Kommunikationsaktes“  (MR 36): 1. Autor – ErzĂ€hler – Point of View, 2. Textebene – Struktur des Textes, 3. Die Rolle des Lesers.[87]

 

2.3.1    Autor – ErzĂ€hler – Point of View

Zu den hĂ€ufigsten expliziten Strategien gehört der Einsatz eines rollenbewussten ErzĂ€hlers, bei dem es sich um einen fiktionalen Autor handelt, der sich seiner schriftstellerischen TĂ€tigkeit bewusst ist und somit „auf die Thematisierung des kĂŒnstlerischen Prozesses abzielt“ und „die herkömmliche Ansicht von einer Korrespondenz zwischen Wirklichkeit und Fiktion in Frage stellt“ (MR 37f.). In der impliziten Form treten rivalisierende ErzĂ€hler auf und der „kommunikative Akt zwischen Autor und Leser [
] wird durch die LektĂŒre des Textes aktualisiert.“ (MR 38) Dabei kommt dem Leser eine aktive Rolle zu, denn durch die Zweifel an der „Möglichkeit einer objektiven Darstellung“ (MR 39) ist der Leser gezwungen, alle Perspektiven zu betrachten und gegeneinander abzuwĂ€gen. In der historiografischen Metafiktion stellen sie so beispielsweise „das offizielle Geschichtsbild, das aufgrund historischer Fakten, Dokumente und Zeugnisse Anspruch auf absolute Wahrheit und ObjektivitĂ€t erhebt, in Frage“ (MR 39).

 

2.3.2    Textebene – Struktur des Textes

Zu den impliziten Verfahrensweisen auf der Textebene gehören IntertextualitĂ€t, Parodie und das Verwenden von Mythen. Intertextuelle Verweise zĂ€hlen dazu, wenn sie â€žĂŒber fiktionale Prozesse reflektieren, indem sie Texte in erster Linie in ihrer Beziehung und ihrer AbhĂ€ngigkeit zu anderen Texten darstellen und dem Leser somit diese AbhĂ€ngigkeiten vor Augen fĂŒhren.“ (MR 40) Parodie als Form von IntertextualitĂ€t ist bezogen auf literarische Stile, Einheiten, einen Einzeltext oder eine Textgattung, und ihre Definition ist epochenspezifisch. Parodie setzt sich stets „mit literarischen Konventionen auseinander“ (MR 42) und setzt somit gewisse Kenntnisse beim Leser voraus. Dadurch wird eine implizite Kommunikation zwischen Leser und ErzĂ€hler hergestellt. Zumeist dient die Verwendung der Parodie der kritischen Auseinandersetzung mit literarischen Konventionen, aber auch mit damit zusammenhĂ€ngenden gesellschaftlichen, ideologischen und politischen Aspekten. Eine zweite Form der IntertextualitĂ€t ist die Verwendung von Mythen und anderen archetypischen ErzĂ€hlmustern, die in der Regel nicht parodistisch ist. Mythen „bring[en] den Bruch realistischer Konventionen mit sich, biete[n] dem Leser aber dennoch die Möglichkeit des Wiedererkennens von Bekanntem“ (MR 49). Im metafiktionalen Roman wird deutlich, „daß es sich bei [dem] Werk in Analogie zu den Mythen um ein sprachliches Konstrukt handelt, welches Ordnung in eine chaotisch anmutende Wirklichkeit bringen soll.“ (MR 51) Explizit metafiktional ist die Verwendung der mise en abyme. Der Roman im Roman, eine Unterkategorie, dient dazu, den Kunstcharakter hervorzuheben und die Entstehungsbedingungen des Schreibens, den Schreibprozess sowie dabei auftretende Probleme abzuhandeln. Durch die Schaffung verschiedener narrativer Rahmen wird deutlich, dass es sich bei allen erzĂ€hlten Ebenen um Fiktionen handelt.

 

2.3.3    Die Rolle des Lesers

Als Ziel aller metafiktionaler Verfahren sieht Zimmermann die aktive Mitwirkung des Lesers an der „Konkretisierung des Werks“ (MR 57) an. Im Sinne Wolfgang Isers und Gerald Princes wird ein nicht mit dem realen Leser gleichzusetzender impliziter Leser vorausgesetzt. Im metafiktionalen Roman ist seine Rolle eine aktive, da ihm „nur die Mittel an die Hand“ gegeben werden, „mit denen er dann seinen eigenen imaginativen Raum entstehen lassen kann.“ (MR 58) Zu den explizit erwĂ€hnten Lesertypen gehören 1. diejenigen, die direkt oder indirekt vom ErzĂ€hler angesprochen werden, 2. diese, „die die Rolle eines Zuhörers oder Lesers ein[nehmen]“ und zumeist eine ironische Distanz zum ErzĂ€hler haben, und 3. die, die in Werken, „die sich auf den ersten Blick an niemanden zu wenden scheinen“ (MR 60) an den sich im Hintergrund haltenden ErzĂ€hler gekoppelt sind. Bei dem implizit in den Text inkorporierten Leser wird der Leser nicht direkt angesprochen. Stattdessen kann der Autor 1. durch den Bruch mit Konventionen und der EnttĂ€uschung von Lesererwartungen „neue und außergewöhnliche Strukturen herausfordern“ (MR 60), 2. seine Kunstmittel versuchen zu verdecken, wodurch der Leser die den Text konstituierenden Elemente ausmachen muss, oder 3. auf eine Strukturierung des Textes komplett verzichten, wobei das VerhĂ€ltnis von RealitĂ€t und Fiktion von Anfang an als nicht gegeben vorausgesetzt wird.

 

2.3.4    Schematische Zusammenfassung

Schematisch dargestellt und nach expliziter und impliziter beziehungsweise nach den drei Konstituenten des literarischen Kommunikationsaktes und ihrer Verfahren geordnet, erhÀlt man nach Zimmermann folgende Unterteilung:

Konstituenten: Explizite Metafiktion Implizite Metafiktion
1. Autor – ErzĂ€hler – Point of View: Rollenbewusster ErzĂ€hler Rivalisierende ErzĂ€hler

 

2. Textebene – Struktur des Textes: Mise en abyme bzw. die Unterkategorie der Roman-im-Roman-Technik IntertextualitĂ€t: Parodie, Verwendung von Mythen und archetypischen ErzĂ€hlmustern
3. Die Rolle des Lesers: Leseransprachen

Leserfigur als Zuhörer

(An den sich im Hintergrund haltenden ErzÀhler gekoppelte Leserfigur)

Neue und außergewöhnliche Strukturen

Verdecken der Kunstmittel

(Kompletter Verzicht auf Strukturierung des Texts)

Die eingeklammerten Merkmale sind fĂŒr Zimmermann bereits nicht mehr metafiktional. Im Folgenden orientiert sich die Analyse der Vermessung an dieser Zusammenfassung der Formen und Funktionen nach Sprenger und Zimmermann, sowie an den zuvor dargestellten Forschungsergebnissen von Scholes, Gass, Alter, Waugh, Hutcheon und Wolf.

 

3.     Der ErzÀhler: Geschichte im Konjunktiv

 

Aus dem Gesagten ergibt sich auch, daß es nicht Aufgabe des Dichters ist mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit Mögliche. Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt – man könnte ja auch das Werk Herodots in Verse kleiden, und es wĂ€re in Versen um nichts weniger ein Geschichtswerk als ohne Verse –; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit.[88]

 

In der Vermessung der Welt trifft der Leser auf einen ErzĂ€hler, der sich verschiedener Mittel bedient, um sich metafiktional ĂŒber (deutsche) Literatur, literarische Konventionen, aber auch ĂŒber Geschichte und Geschichtsschreibung zu Ă€ußern. Um herauszufinden, ob der ErzĂ€hler unter die explizite oder implizite Form der Metafiktion fĂ€llt, wird dieser in einem ersten Schritt nach Martinez und Scheffel narratologisch untersucht. Im Anschluss werden vor allem die Fokalisierung und die Stimme des ErzĂ€hlers betrachtet, um herauszustellen, ob es sich um einen rollenbewussten oder um rivalisierende ErzĂ€hler handelt. Zum Abschluss wird das VerhĂ€ltnis von Fakt und Fiktion bzw. von Geschichten- und GeschichtserzĂ€hlung betrachtet. Wie das vorangestellte Zitat von Aristoteles sowie die Ansicht Wilhelm von Humboldts, die „Aufgabe des Geschichtsschreibers“ sei die „Darstellung des Geschehenen“[89], zeigen, ist die Frage nach der Unterscheidung von Geschichte- und GeschichtenerzĂ€hlen eine alte. Besonders in der Metafiktion wird eine solche Fragestellung vermehrt aufgegriffen. Da die Vermessung historische Persönlichkeiten zu Figuren macht und sich, wie sich zeigen wird, parodistisch mit dem Genre des historischen und des biografischen Romans auseinandersetzt, wird auch in der Vermessung die Problematik von Geschichte, Geschichtsschreibung und historisierendem Schreiben aufgeworfen.

 

3.1    Die ErzÀhlerfigur

Der ErzĂ€hler strukturiert den Text und lenkt je nach ErzĂ€hlverfahren den Leser und seine Erwartungen. Die Vermessung der Welt beginnt mit dem Kapitel „Die Reise“, in der die beiden Protagonisten Professor Carl Gauß und Alexander von Humboldt vorgestellt werden. Es deutet sich bereits im ersten Abschnitt des Kapitels an, dass die LebenslĂ€ufe dieser beiden Figuren in Verbindung stehen. Im Tempus des PrĂ€teritums wird von der Reise des Professors im Jahr 1828 erzĂ€hlt, die ihn auf DrĂ€ngen Humboldts nach Berlin fĂŒhren soll. Der erste Satz liest sich zunĂ€chst als sachlicher Bericht: „Im September 1828 verließ der grĂ¶ĂŸte Mathematiker des Landes zum erstenmal seit Jahren seine Heimatstadt, um am Deutschen Naturforscherkongreß in Berlin teilzunehmen.“ (V 7) Auf den zweiten Blick verrĂ€t das wertende Adjektiv „grĂ¶ĂŸte“, dass keinesfalls eine sachlich-faktische ErzĂ€hlung folgen wird.

ErzĂ€hlt wird ĂŒberwiegend, im Sinne Genettes[90], in einer Anachronie, die zumeist in der Form von Analepsen auftritt. Begegnet der Leser den beiden Forschern im ersten Kapitel als bereits Ă€lteren Herren im Jahr 1828, fĂŒhrt die ErzĂ€hlung den Leser bereits im zweiten Kapitel, „Das Meer“, in die Kindheit Alexander von Humboldts, im dritten Kapitel, „Der Lehrer“, in die Kindheit des Professors Gauß. Die in den darauffolgenden Kapiteln geschilderten Ereignisse geschehen zeitlich nach den erzĂ€hlten Kindheiten, finden jedoch noch vor dem Treffen der beiden Forscher im Jahr 1828 statt. Scheint es zuerst, als wĂŒrde es im folgenden Verlauf der ErzĂ€hlung um die Ereignisse auf dem eingangs erwĂ€hnten Naturforscherkongress in Berlin gehen, zeigt sich jedoch, dass die im ersten Kapitel geschilderte Handlung erst nach neun weiteren Kapiteln, im elften Kapitel, „Der Sohn“ wieder aufgegriffen wird. Innerhalb dieser neun Kapitel wird abwechselnd von Humboldt und Gauß erzĂ€hlt, wobei die Reisen Humboldts im Fokus stehen. Eugen, der bereits im ersten Kapitel als Figur eingefĂŒhrt wird, kommen zwei Kapitel zu, das zwölfte, „Der Vater“, und das sechzehnte und letzte, „Der Baum“. Dass die Handlung im elften Kapitel wieder an die im ersten Kapitel eingefĂŒhrten Ereignisse anschließt, wird nicht nur durch das Zusammensitzen der MĂ€nner, sondern auch durch die Ortsangabe Berlin deutlich. Nach der langen Unterbrechung der Handlung durch RĂŒckblicke endet die ErzĂ€hlung letztlich mit Eugens Aufbruch nach Amerika. Das bedeutet, dass sich sieben der 16 Kapitel gleichsam als Rahmung fĂŒr die RĂŒckblicke in die Vergangenheit der MĂ€nner lesen lassen.

Nicht nur die chronologische Ordnung der erzĂ€hlten Ereignisse wird nicht eingehalten, auch die zeitliche Dauer der ErzĂ€hlung variiert. Der Text wechselt von kurzen, fast sachlichen Berichten, beispielsweise von der Umgebung (vgl. V 72) zu kurzen Figurenbeschreibungen (vgl. V 14), durch die die Handlung stetig kurzzeitig pausiert wird, bis hin zu zeitraffenden Berichten von Ereignissen (vgl. V 113). Dazwischen ĂŒberwiegen szenische Darstellungen, die sich jedoch durch indirekte Rede auszeichnen. An dieser Stelle kann bereits von gebrochenem Realismus gesprochen werden, dem Begriff, der in der Forschung von Kehlmann selbst ĂŒbernommen worden ist. Beachtet werden muss beim Begriff Realismus, dass dieser durchaus komplex ist, da er bisher noch nicht eindeutig definiert wurde und sich auf Verschiedenes bezieht.[91] FĂŒr den Roman wurde der Realismus im 19. Jahrhundert bestimmend, denn im Vordergrund stand die Frage der „Darstellbarkeit und der Umgang mit der ‚Wirklichkeit‘“ (ME 91), wobei der ErzĂ€hler eine zentrale Rolle einnahm. Seit dem 20. Jahrhundert schließlich stehen weniger die Abbildung von Wirklichkeit oder die Vermittlung von Wahrheit im Vordergrund und der ErzĂ€hler „maßt sich nicht lĂ€nger an, eine empirische Wirklichkeit, also allgemeingĂŒltige Wahrheiten zu prĂ€sentieren.“ (ME 100) Wird also davon ausgegangen, dass es beim Realismus um die Darstellbarkeit der Wirklichkeit geht, so kann bei den szenischen Darstellungen in indirekter Rede von gebrochenem Realismus gesprochen werden. Zwar erhöht sich einerseits die Unmittelbarkeit der ErzĂ€hlung, die fehlende Markierung der Rede mittels AnfĂŒhrungszeichen und die Vermittlung in indirekter Rede lassen andererseits keine komplette Unmittelbarkeit zu. Ebenfalls wird der Leser an diversen Stellen in der Schwebe gehalten, wenn teilweise auf verba dicendi verzichtet wird:

Vielleicht sei ihm aufgefallen, daß Braunschweig noch keine Sternwarte habe.

Beizeiten, sagte Gauß.

Was?

Es sei ihm aufgefallen.

Nun frage er sich, ob die Stadt nicht eine bekommen mĂŒsse. Und Doktor Gauß, trotz seiner Jugend, solle ihr erster Direktor sein. Der Herzog stemmte die HĂ€nde in die Seiten. Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten LĂ€cheln. Das ĂŒberrasche ihn, nicht wahr?

Er wolle einen Professorentitel dazu, sagte Gauß. (V 145)

Beispielhaft fĂŒr diverse andere Textstellen wird in obigem Zitat nicht stets eindeutig markiert, ob es sich um indirekte Rede ohne verba dicendi handelt oder sogar um eine Darstellung von Gedanken. Durch indirekte Rede „kann im Prinzip alles Gesagte dargestellt werden, es fehlt jedoch die Wörtlichkeit“ (EE 52). Das bedeutet aber auch, „daß eine narrative Instanz hier die Rede eines anderen in die eigene Rede integriert“, wodurch „der individuelle Stil der Figurenrede [
] verloren [geht].“ (EE 52) Folglich wird „einerseits die Illusion einer gewissen Unmittelbarkeit erweckt, die Figurenrede andererseits aber nahezu durchgĂ€ngig durch den Filter eines ErzĂ€hlers prĂ€sentiert“ (EE 54). Obgleich die Rede dabei eigentlich an IndividualitĂ€t verlieren mĂŒsse, verĂ€ndert der ErzĂ€hler partiell leicht den Stil der indirekten Rede, beispielsweise durch dem restlichen Stil der ErzĂ€hlung widersprechende lĂ€ngere SĂ€tze oder gewisse Wortwahl. Dies zeigt sich beispielsweise an der Figur Goethes:

[Alexander von Humboldt] war der jĂŒngere von zwei BrĂŒdern. Ihr Vater, ein wohlhabender Mann von niederem Adel, war frĂŒh gestorben. Seine Mutter hatte sich bei niemand anderem als Goethe erkundigt, wie sie ihre Söhne ausbilden solle.

Ein BrĂŒderpaar, antwortete dieser, in welchem sich so recht die Vielfalt menschlicher Bestrebungen ausdrĂŒcke, wo also die reichen Möglichkeiten zu Tat und Genuß auf das vorbildlichste Wirklichkeit geworden, das sei in der Tat ein Schauspiel, angetan, den Sinnen mit Hoffnung und den Geist mit mancherlei Überlegung zu erfĂŒllen.

Diesen Satz verstand keiner. (V 19)

Nicht nur typografisch wird die Schilderung von Goethes Aussage abgesetzt, indem ihr ein eigener Absatz zugestanden wird. Im Vergleich zu den unmittelbar voran- und nachgestellten SĂ€tzen fĂ€llt ein stilistischer Unterschied auf, der vor allem in der LĂ€nge der Antwort Goethes, der im Druck sechs Zeilen umfasst, liegt. Ist der ErzĂ€hlstil sonst vorwiegend klar und prĂ€gnant, und zumeist durch kĂŒrzere SĂ€tze gekennzeichnet, wird in der Antwort Goethes der Stil der Figur, nicht der des ErzĂ€hlers ĂŒbernommen. Das Spiel mit der Mittelbarkeit wird also in der Übernahme eines anderen Stils fortgefĂŒhrt, da die Distanz der indirekten Rede so relativiert wird. Zugleich wird an dieser, wie an diversen anderen Stellen im Text, dem ErzĂ€hler als erfindender Instanz subtil eine Machtstellung zugewiesen, da die gesamte ErzĂ€hlung durch die indirekte Rede seine Worte, nicht die der Figuren ist.

Daneben erweckt „der Gebrauch von Zeitadverbien wie ‚schon‘, ‚nun‘ und ‚jetzt‘, die sich eindeutig auf den Wahrnehmungsort der erlebenden Figur beziehen, die Illusion einer geringen Distanz zu der Figur und ihren GefĂŒhlen.“ (EE 58) Solche Zeitadverbien werden vielfach in die ErzĂ€hlung integriert und sie markieren zumeist einen Wechsel der Perspektive oder ein neues Ereignis:

Monatelang hatte [der grĂ¶ĂŸte Mathematiker des Landes] sich geweigert, aber Alexander von Humboldt war hartnĂ€ckig geblieben, bis er in einem schwachen Moment und in der Hoffnung, der Tag kĂ€me nie, zugesagt hatte.

Nun also versteckte sich Professor Gauß im Bett. Als Minna ihn aufforderte aufzustehen, die Kutsche wartete und der Weg sei weit, klammerte er sich ans Kissen und versuchte seine Frau zum Verschwinden zu bringen, indem er die Augen schloß. Als er sie wieder öffnete und Minna noch immer da war, nannte er sie lĂ€stig, beschrĂ€nkt und das UnglĂŒck seiner spĂ€ten Jahre. (V 7)

Die Verbindung von indirekter Rede und dem Gebrauch von Zeitadverbien bewirkt einen steten und schnellen Wechsel der Distanz zum erzĂ€hlten Geschehen. Auf einen kurzen Dialog in indirekter Rede von Gauß und seinem Sohn Eugen, der zugleich Distanz fördert und verringert, folgt ein Blick auf Eugen: „Eugen gab ihm das, welches er gerade aufgeschlagen hatte: Friedrich Jahns Deutsche Turnkunst. Es war eines seiner LieblingsbĂŒcher.“ (V 8) Im Anschluss daran werden der Gebrauch von Zeitadverbien und Metafiktion verbunden:

Gauß versuchte zu lesen, sah jedoch schon Sekunden spĂ€ter auf und beklagte sich ĂŒber die neumodische Lederfederung der Kutsche; da werde einem ja noch ĂŒbler, als man es gewohnt sei. Bald, erklĂ€rte er, wĂŒrden Maschinen die Menschen mit der Geschwindigkeit eines abgeschossenen Projektils von Stadt zu Stadt tragen. Dann komme man von Göttingen in einer halben Stunde nach Berlin.

Eugen wiegte zweifelnd den Kopf.

Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel fĂŒr die erbĂ€rmliche ZufĂ€lligkeit der Existenz, daß man in einer bestimmten Zeit geboren und ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einen zum Clown der Zukunft.

Eugen nickte schlÀfrig.

Sogar ein Verstand wie der seine, sagte Gauß, hĂ€tte in frĂŒhen Menschheitsaltern oder an den Ufern des Orinoko nichts zu leisten vermocht, wohingegen jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich ĂŒber ihn lustig machen und absurden Unsinn ĂŒber seine Person erfinden könne. (V 8f.)

Dem Adverb „bald“ folgt eine Zukunftsprognose des Professors, die humoristisch gelesen werden kann: Die Angst der Figur in der Fiktion, durch einen „Dummkopf in zweihundert Jahren“ zum „Clown der Zukunft“ (V 9) gemacht zu werden, ist eine eindeutige Referenz auf die ErzĂ€hlung selbst und somit metafiktional. Selbstironisch wird hier ein weiterer Hinweis darauf gegeben, dass es sich bei der Vermessung eindeutig um eine Fiktion handelt, die kreativ mit historischen Figuren und Ereignissen umgeht. Nicht nur Gauß werden Aussagen zugeschrieben, die auf die Gegenwart des realen Lesers zutreffen:

Auf dem Heimweg sahen die BrĂŒder eine zweite, nur wenig grĂ¶ĂŸere Silberscheibe neben dem gerade aufgegangenen Mond. Ein Heißluftballon, erklĂ€rte der Ă€ltere. PilĂątre de Rozier, der Mitarbeiter der Montgolfiers, weile zur Zeit im nahen Braunschweig. Die ganze Stadt rede davon. Bald wĂŒrden alle Menschen in die Luft steigen.

Aber sie wĂŒrden es nicht wollen, sagte der JĂŒngere. Sie hĂ€tten zuviel Angst. (V 28)

Zwar ist die Wahl des fliegenden Transportmittels des zeitgenössischen realen Lesers der Vermessung nicht der Heißluftballon, sondern eher das Flugzeug, trotzdem lĂ€sst sich die Voraussage auf die Gegenwart des Lesers beziehen. Hierdurch wird unter anderem wiederum eine Distanz zu den Figuren geschaffen, da sich deren Lebenswelt in dieser Hinsicht deutlich von der des realen Lesers der Vermessung unterscheidet. Gleichzeitig wird die Distanz eben durch das Verlassen des Kontexts des 19. Jahrhunderts und den Bezug auf die Gegenwart des realen Lesers verringert.

Die Verbindung von erzĂ€hltem Geschehen im PrĂ€teritum und indirekter Figurenrede kann als weiteres Merkmal gebrochenen Realismus und als implizite metafiktionale Verfahrensweise gesehen werden: Erweckt das Tempus PrĂ€teritum in Kombination mit der Fiktionalisierung historischer Figuren den Eindruck einer im Rahmen der Fiktion wirklich geschehenen und somit den Eindruck realistisch erzĂ€hlter Handlung, wird dieser Realismus durch die indirekte Rede durchbrochen. Zugleich wird dem ‚tatsĂ€chlichen‘ Wortlaut der Figuren wenig Wert beigemessen und dadurch Skepsis an Sprache deutlich. Durch die indirekte Rede treten aber auch der ErzĂ€hler und das ErzĂ€hlen in den Vordergrund, und in Kombination mit der fiktionalen Auseinandersetzung mit historischen Persönlichkeiten wird ein alternatives GeschichtsverstĂ€ndnis erprobt bzw. die Darstellbarkeit historischer Ereignisse kritisch hinterfragt.

Die durchgĂ€ngige Nutzung indirekter Rede und die punktuelle Unsicherheit darĂŒber, welche Instanz oder Figur spricht, hauptsĂ€chlich ausgelöst durch fehlende verba dicendi, sind Hauptmerkmale der ErzĂ€hlung. Durch die Literarisierung und Fiktionalisierung historischer Ereignisse und Figuren allerdings wird somit aber auch auf die Notwendigkeit, die Praktiken der und den Umgang mit Geschichte und Geschichtsschreibung kritisch zu hinterfragen, hingewiesen.

Das erste Kapitel der Vermessung, das einleitend von der Reise Gauß’ nach Berlin erzĂ€hlt, endet schließlich mit seiner Ankunft und der ersten Begegnung mit Humboldt. Dieser Moment der Begegnung wird auf doppelte Weise festgehalten. Zugleich wird von der Begegnung und von dem Prozess der medialen Fixierung des Moments erzĂ€hlt: Herr Daguerre, „[e]in SchĂŒtzling von [Humboldt]“, versucht mittels eines GerĂ€ts, „den Augenblick auf eine lichtempfindliche Silberjodidschicht [zu] bannen und der fliehenden Zeit [zu] entreißen“ (V 15), also ein Foto zu machen. Der etwa fĂŒnfzehnminĂŒtige Prozess wird von einem Polizisten und Gauß’ Ungeduld unterbrochen und wie folgt reflektiert:

Gauß stöhnte und riß sich los.

Ach nein, rief Humboldt.

Daguerre stampfte mit dem Fuß auf. Jetzt sei der Moment fĂŒr immer verloren!

Wie alle anderen, sagte Gauß ruhig. Wie alle anderen.

Und wirklich: Als Humboldt noch in derselben Nacht, wĂ€hrend Gauß im Nebenzimmer so laut schnarchte, daß man es in der ganzen Wohnung hörte, die belichtete Kupferplatte mit einer Lupe untersuchte, erkannte er darauf gar nichts. Und erst nach einer Weile schien ihm ein Gewirr gespenstischer Umrisse darin aufzutauchen, die verschwommene Zeichnung von etwas, das aussah wie eine Landschaft unter Wasser. Mitten darin eine Hand, drei Schuhe, eine Schulter, der Ärmelaufschlag einer Uniform und der untere Teil eines Ohres. Oder doch nicht? Seufzend warf er die Platte aus dem Fenster und hörte sie dumpf auf den Boden des Hofes schlagen. Sekunden spĂ€ter hatte er sie, wie alles, was ihm je mißlungen war, vergessen. (V 16f.)

Wie sich zeigt, kann das dargestellte Medium, die Fotografie, den Moment weder adĂ€quat noch realitĂ€tsgetreu wiedergeben oder festhalten, denn Humboldt „erkannte [
] darauf gar nichts“ (V 16f.). Gleichzeitig werden hier Fotografie und Literatur parallel gefĂŒhrt und voneinander abgegrenzt. Es wird bereits hier angedeutet, dass in der Vermessung die Möglichkeiten und BeschrĂ€nkungen realitĂ€ts- bzw. wahrheitsgetreuer Abbildung sowie, damit zusammenhĂ€ngend, das VerhĂ€ltnis von Literatur zu anderen Medien und deren jeweiligen Möglichkeiten ausgelotet werden. WĂ€hrend das Medium Fotografie nicht imstande ist, den Moment festzuhalten, beweist die ErzĂ€hlung, dass Literatur mit seinen spezifischen Mitteln eben dazu in der Lage ist. Zugleich aber wird, Ă€hnlich wie in der Fotografie nur „ein Gewirr gespenstischer Umrisse“ (V 17) zu erkennen ist, auch in der Literatur nicht lediglich abgebildet, was ‚wirklich‘ geschehen ist. „Oder doch nicht?“ (V 17) – das ist die leitende Frage in der Vermessung, denn stets lĂ€sst der Text offen, ob die Schilderungen der Ereignisse, GesprĂ€che und Gedanken als zuverlĂ€ssig zu betrachten sind. Somit werden historische Genauigkeit und die Möglichkeit wahrheitsgetreuer Abbildung infrage gestellt, und zugleich ein anderer Zugang zu Wahrheit eröffnet. Indem Fotografie und Literatur parallel gefĂŒhrt werden, wird deutlich, dass die empirische Welt weder narrativ wiedergegeben wird, wie Gass ĂŒber die Metafiktion herausgestellt hat, noch kann das ‚Reale‘ gefasst werden, wie schon Scholes beobachtet hat. Indem Literatur fasst, was die Fotografie nicht zu fassen vermag, wird – und hierin wird die Verbindung zum Historiker im Sinne von Scholes deutlich – in der Literatur die Welt jenseits des Faktischen und Dokumentarischen, als dessen Ausdruck die Fotografie auf den ersten Blick gelten kann, erfahren. Somit wird also ein naives Konzept realistischer Darstellung angezweifelt, was nach Hutcheon eine Konsequenz metafiktionaler Strategien ist.

Nicht nur durch die indirekte Rede, auch durch KapitelĂŒberschriften, SeitenumbrĂŒche und Blickwechsel wird die ErzĂ€hlung als ErzĂ€hlung markiert und deren Mittelbarkeit verringert. Nicht nur hierin ist ein Indiz dafĂŒr zu sehen, dass der ErzĂ€hler keine Figur des erzĂ€hlten Geschehens ist.

 

3.2    Fokalisierung und Stimme

Wie bereits festgehalten, handelt es sich bei dem Einsatz eines rollenbewussten ErzÀhlers um eine explizit metafiktionale Strategie, und bei rivalisierenden ErzÀhlern um eine implizite Verfahrensweise. Diese sind zwei der hÀufigsten und vor allem am eindeutigsten zu identifizierenden Möglichkeiten der Metafiktion auf der Ebene des ErzÀhlers, jedoch durchaus nicht die einzigen (vgl. MR 36).

Es stellt sich nun also zunĂ€chst die Frage, aus welcher Sicht das ErzĂ€hlte vermittelt wird, also nach der Fokalisierung. Im Anschluss an Genette unterscheiden Martinez und Scheffel drei Typen der Fokalisierung: „1. Nullfokalisierung: [
] der ErzĂ€hler weiß bzw. sagt mehr, als irgendeine der Figuren weiß bzw. wahrnimmt“, „2. Interne Fokalisierung: [
] der ErzĂ€hler sagt nicht mehr, als die Figur weiß“ und „3. Externe Fokalisierung: [
] der ErzĂ€hler sagt weniger, als die Figur weiß“ (EE 64). Zwar kann die Fokalisierung fest sein, also durchgĂ€ngig eingehalten werden, aber auch variabel oder multipel. Ist sie variabel, wird beispielsweise der Blick zwischen den Figuren gewechselt, es handelt sich also um „Allwissenheit mit partiellen EinschrĂ€nkungen des Feldes“ (DE 124). Andere ErzĂ€hlungen können gekennzeichnet sein von „PolymodalitĂ€t, also das Nebeneinander von verschiedenen Fokalisierungstypen“ (EE 67). Bei der multiplen ErzĂ€hlung wird „ein und dasselbe Ereignis von mehreren [
] Figuren mit je eigenem point of view geschildert oder interpretiert“ (EE 121). In der Vermessung scheint es sich nicht um rivalisierende ErzĂ€hler zu handeln. Die Bestimmung der Fokalisierung erweist nicht hingegen als nicht so eindeutig. Bereits Genette hĂ€lt fest, dass sich „bisweilen nur schwer zwischen variabler Fokalisierung und Nullfokalisierung unterscheiden [lĂ€sst], da die unfokalisierte ErzĂ€hlung sehr hĂ€ufig als eine ad libitum multifokalisierte ErzĂ€hlung betrachtet werden kann, nach dem Prinzip wer mehr kann, kann auch weniger“ (DE 123). Damit hĂ€ngen seine Betrachtungen zur internen Fokalisierung zusammen, dass diese

nur selten in aller Strenge praktiziert wird. Denn im Prinzip impliziert dieser narrative Modus ja, dass die lokale Figur ungenannt bleibt, nie von außen beschrieben wird, und dass der ErzĂ€hler ihre Gedanken oder Wahrnehmungen nie objektiv analysiert. [
] Hingegen ist die Fokalisierung [
] perfekt, die sich damit begnĂŒgt zu beschreiben, was ihr Held sieht [
]. [
] Jean Pouillon arbeitet dieses Paradox sehr schön heraus, wenn er schreibt, dass die Figur in der „Mitsicht“ nicht in „ihrem Innenleben [gesehen wird], denn dann mĂŒĂŸten wir aus ihr heraustreten, wĂ€hrend wir doch völlig in ihr aufgehen, sondern in dem Bild, das sie sich von den anderen macht und durch das sie gewissermaßen hindurchscheint. [
]“ Restlos verwirklicht wird die interne Fokalisierung nur im „inneren Monolog“ [
]. (DE 123)

Erscheint etwas lediglich als gegeben, so sieht Genette dies als eindeutiges Zeichen fĂŒr eine externe Fokalisierung.[92] Die gesamten Geschehnisse in der Vermessung werden jedoch von einer narrativen Instanz in der dritten Person und im PrĂ€teritum erzĂ€hlt. Die wiederholt verwendeten Zeit- und Raumadverbien beziehen sich zwar unmittelbar auf die Wahrnehmung der Figuren („Er wusste inzwischen, daß Bartels die ersten zwei NĂ€chte nach ihrer Begegnung wachgelegen [
] hatte“, V 84), in vielen FĂ€llen nimmt der ErzĂ€hler jedoch Informationen ĂŒber die Figuren vorweg, die diese selbst zum Zeitpunkt der geschilderten Ereignisse noch nicht haben können:

Bartels hatte nicht verstanden. [
] Bartels hatte eine Weile geschwiegen, bevor er mit einer Verachtung, fĂŒr die er sich spĂ€ter schĂ€mte, gefragt hatte, ob sie denn nicht wisse, daß ihr Sohn der grĂ¶ĂŸte Wissenschaftler der Welt sei. Sie hatte sehr geweint, es war furchtbar peinlich gewesen. Gauß hatte es nie ganz geschafft, Bartels zu verzeihen. (V 85)

Die AuskĂŒnfte ĂŒber die erst in der Zukunft aufkommende Scham Bartels und die UnfĂ€higkeit des Professors Gauß zu verzeihen sind Vorgriffe des ErzĂ€hlers, also Prolepsen. Sofern es sich nicht um prophetische TrĂ€ume oder Intervention des ÜbernatĂŒrlichen handelt, gilt fĂŒr die Prolepse, dass sie stets „die ErkenntnisfĂ€higkeiten des Helden ĂŒbersteigen“ (DE 131). Es kann sich demnach nicht um eine interne Fokalisierung handeln, sondern um eine Nullfokalisierung. Somit, und wegen der Verwendung des Indikativs, ist die Aussage, „es war furchtbar peinlich gewesen“ (V 85), als Kommentar des ErzĂ€hlers zum Geschehen zu lesen. Derartige wertende EinschĂ€tzungen des ErzĂ€hlers finden sich in der ErzĂ€hlung wieder und wieder, bleiben dabei jedoch sehr subtil, da sie durch den steten Wechsel von Indikativ und Konjunktiv erst durch genaues Lesen erkannt werden. Auch an anderer Stelle erhĂ€lt der Leser eine Auskunft ĂŒber Humboldt, die in aller Konsequenz ebenfalls nur vom ErzĂ€hler aus der Nullfokalisierung erteilt werden kann:

Seufzend warf er die Platte aus dem Fenster und hörte sie dumpf auf den Boden des Hofes schlagen. Sekunden spĂ€ter hatte er sie, wie alles, was ihm je mißlungen war, vergessen. (V 16f.)

Die detaillierte Beschreibung des „Gewirr[s] gespenstischer Umrisse“ (V 17) auf der Fotografie stehen im Gegensatz zur Aussage, die Figur Humboldt hĂ€tte diese vergessen. Wie im vorigen Zitat auch, zeigt sich hierin die Dominanz der Nullfokalisierung. Zwar fokussiert der ErzĂ€hler den Blick ĂŒberwiegend auf die Figuren Gauß und Humboldt, derartige subtile Hinweise verweisen jedoch darauf, dass der Blick nie vollstĂ€ndig in eine andere Figur gewechselt wird. Wie bereits zuvor bereits festgestellt, spielt der ErzĂ€hler jedoch auch in dieser Hinsicht mit dem Leser, indem punktuell unentscheidbar bleibt, wer spricht und aus welcher Sicht gesprochen wird:

Eugen tat beeindruckt, obgleich er wußte, daß die Geschichte nicht stimmte. Sein Bruder Joseph hatte sie erfunden und verbreitet. Inzwischen mußte sie dem Vater so oft zu Ohren gekommen sein, daß er angefangen hatte, sie zu glauben. (V 13)

Der ErzĂ€hler gewĂ€hrt einen Einblick in die GefĂŒhls- und Gedankenwelt Eugens. Letztlich jedoch bleibt unklar, ob es sich um letztere Aussage um die Vermutungen Eugens, oder um eine eindeutige Aussage des ErzĂ€hlers handelt. Es wird also einerseits der ErzĂ€hler als lenkende und leitende Figur gezeigt, die ĂŒber die GefĂŒhls- und Gedankenwelt sowie ĂŒber sich in der Zukunft ereignende Geschehnisse informiert ist. Andererseits wird durch solche Unsicherheit ĂŒber die UnzuverlĂ€ssigkeit der Eindruck interner Fokalisierung erweckt: „Ob er verstehe? So ungefĂ€hr, sagte Eugen mĂŒde und sah auf seine Taschenuhr. Sie ging nicht sehr genau, aber es mußte zwischen halb vier und fĂŒnf Uhr morgens sein.“ (V 13). Dadurch wird zwar die Distanz zu der Figur verringert, aber zugleich der Eindruck erweckt, der ErzĂ€hler könne am Geschehen beteiligt sein. Neben Einblicken in die GefĂŒhls- und Gedankenwelt der Figuren gibt der ErzĂ€hler auch schriftliche Erzeugnisse, zumeist Briefe, gleichsam als ErzĂ€hlung in indirekter Rede wieder. So beginnt beispielsweise das achte Kapitel, „Der Berg“, mit der Schilderung von Bonplands Schreibversuchen: „Beim Licht einer Ölfunzel, wĂ€hrend der Wind immer mehr Schneeflocken vorbeitrug, versuchte AimĂ© Bonpland, einen Brief nach Hause zu schreiben.“ (V 163) Im Folgenden gibt der ErzĂ€hler die Erlebnisse der vergangenen Monate aus der Sicht Bonplands wieder, die sich gleichsam als Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse von Humboldt und Bonpland lesen lassen. Dabei wird wiederum die Distanz zu den Figuren verringert: „Morgen, schrieb Bonpland weiter, wollten sie den Chimborazo bezwingen.“ (V 163) Somit wird erneut der Eindruck von Unmittelbarkeit erweckt.

In welcher Beziehung steht nun der ErzĂ€hler zu den Figuren und dem erzĂ€hlten Geschehen? FĂŒr den Zeitpunkt des ErzĂ€hlens lĂ€sst sich eine Mischform aus ĂŒberwiegend spĂ€terem und punktuellem frĂŒheren ErzĂ€hlen feststellen. Jedoch belegt nicht der Verweis auf das Jahr 1828 das spĂ€tere ErzĂ€hlen, sondern die Verwendung des epischen PrĂ€teritums. Der zeitliche Abstand bleibt dabei jedoch unbestimmt, da wenige RĂŒckschlĂŒsse auf den ErzĂ€hler gezogen werden können. Lediglich durch die metafiktionalen Aussagen von Gauß und seinen Traumsequenzen kann vermutet werden, dass die zeitliche Distanz nicht gering sein kann. Das frĂŒhere ErzĂ€hlen findet, wie bereits herausgestellt, zumeist in der indirekten Rede der Figuren statt. Der dadurch verwendete Konjunktiv, so hat Sprenger gezeigt, ist insofern als metafiktionale Strategie zu verstehen, als somit immer nur Möglichkeiten aufgezeigt werden und wiederum die Darstellbarkeit von Wirklichkeit, aber auch des Wissens des kulturellen GedĂ€chtnisses, also Geschichte, infrage gestellt wird. Es hat sich ebenfalls gezeigt, dass es vereinzelt so scheint, als könne der ErzĂ€hler eine Figur des erzĂ€hlten Geschehens sein. Innerhalb des erzĂ€hlten Geschehens tritt die narrative Instanz jedoch weder explizit als Figur auf, noch wird sie von den Figuren angesprochen, einbezogen oder beschrieben. Der ErzĂ€hler stellt, wenn auch subtil, seine Stellung als ErzĂ€hler des Geschehens, nicht als Beteiligter, wiederholt zur Schau. UnterstĂŒtzt wird dies vor allem durch die diversen Blickwechsel, aber auch typografisch durch SeitenumbrĂŒche, KapitelĂŒberschriften, diese sogar in einer anderen Schriftart. Die zuvor angemerkten Briefe öffnen dabei kaum merklich neue ErzĂ€hlebenen: „Neben einer mĂŒndlichen ErzĂ€hlung oder einem Brief können schließlich auch ein vorgelesenes oder zitiertes Buch, ein Manuskript, ein Traum oder sogar ein Bild oder ein Bilderzyklus eine neue ErzĂ€hlebene öffnen.“ (EE 77) Diese intradiegetischen ErzĂ€hlungen fungieren dabei zumeist als intratextuelle Referenz, da sie bereits Geschehenes zusammenfassen, reflektieren, aus einem anderen Blick beurteilen, und der ErzĂ€hlung gleichzeitig eine weitere Dimension geben. Allerdings kann auch von gebrochenem Realismus gesprochen werden, da die Erwartungen des Lesers durchbrochen werden: Statt der ‚wirklichen‘ Worte des Schreibers zu lesen, werden diese wieder lediglich in der indirekten Rede wiedergegeben.

Der ErzĂ€hler schildert also Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen und macht auf verschiedene Weise deutlich, dass er die Kontrolle ĂŒber die ErzĂ€hlung innehat. Da es sich bei der Vermessung um eine ErzĂ€hlung handelt, in der „der ErzĂ€hler nicht zu den Figuren seiner Geschichte gehört“ und in der „dementsprechend die dritte Person dominiert (in diesem Fall gibt es kein erlebendes, sondern nur das erzĂ€hlende, als leibliche Person womöglich gar nicht faßbare Ich des Sprechers der ErzĂ€hlrede)“ (EE 81), liegt nach Martinez und Scheffel ein heterodiegetischer ErzĂ€hler vor.

Letztlich bleibt offen, wem erzĂ€hlt wird. Anders als ErzĂ€hler in den Romanen von beispielsweise Diderot (Jacques le Fataliste, 1773-75), Sterne (Tristram Shandy, 1759) oder Wieland, in denen ein selbstbewusster ErzĂ€hler „Reflexionen ĂŒber sich, sein ErzĂ€hlen und seine Geschichte anstellt und sich in einem steten GesprĂ€ch mit seinen Lesern befindet“ (EE 86), steht der ErzĂ€hler in der Vermessung nicht in einem offenen Dialog mit dem Leser. Anstelle von expliziten Leseranreden, wie man sie mitunter in der Romantik hĂ€ufig findet,[93] ist die Vermessung durch in den Text eingebaute metafiktionale Strategien gekennzeichnet. Indem der Text real-historische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, vor allem Schriftsteller des 18. und 19. Jahrhunderts fiktionalisiert und als Figuren auftreten lĂ€sst, wird mitunter durch die Abgrenzung zum ĂŒbermĂ€ĂŸig selbstbewussten ErzĂ€hler eine Distanz geschaffen. Besonders an einer Stelle jedoch spielt der ErzĂ€hler deutlich mit dieser Rolle, was dabei eng mit den fehlenden verba dicendi, die sich an diversen anderen Textstellen finden lassen, verbunden ist. Der erste Absatz des vorletzten Kapitels der Vermessung, „Die Steppe“, setzt sich stilistisch vom Rest der ErzĂ€hlung ab. Nicht nur wird zweimal die Ansprache „meine Damen und Herren“ (V 263) verwendet, auch variiert erneut die SatzlĂ€nge, wie es bereits bei der Aussage Goethes der Fall war. Zuvor, im Kapitel „Der Äther“, wird bereits von einer anderen Rede erzĂ€hlt:

Mit halbgeschlossenen Augen sprach Humboldt von Sternen und Strömen. Seine Stimme war leise, aber im ganzen Saal zu hören. Er stand vor der riesigen Kulisse eines Nachthimmels, auf dem sich Sterne zu konzentrischen Kreisen ordneten: Schinkels BĂŒhnenbild zur Zauberflöte, fĂŒr diesen Anlaß noch einmal aufgespannt. (V 235)

Nach fast dreiseitiger Wiedergabe von Humboldts Eröffnungsansprache (vgl. V 225) beim Naturforscherkongress in indirekter Rede, wird zunĂ€chst der Blick auf Gauß gerichtet, der die Veranstaltung verlĂ€sst. Wird im Folgenden das Aufeinandertreffen von Gauß und Humboldt in dessen Haus geschildert, wird in der „Steppe“ unvermittelt im Indikativ gesprochen:

Was, meine Damen und Herren, ist der Tod? Im Grunde nicht erst das Verlöschen und die Sekunden des Übergangs, sondern schon das lange Nachlassen davor, jene sich ĂŒber Jahre dehnende Erschlaffung; die Zeit, in der ein Mensch noch da ist und zugleich nicht mehr und in der er, ist auch seine GrĂ¶ĂŸe lange dahin, noch vorgeben kann, es gĂ€be ihn. So umsichtig, meine Damen und Herren, hat die Natur unser Sterben eingerichtet! (V 263)

Ohne weitere ErklĂ€rung, erneut ohne verba dicendi und ohne eindeutige Markierung, wer spricht, wird der Tod thematisiert, ein Thema, das die gesamte ErzĂ€hlung hindurch wiederholt aufkommt. Dadurch, dass im Folgenden berichtet wird, wie Humboldt das Podium verließ,[94] und vor allem, da das Thema Tod im Folgenden aufgegriffen wird, kann vermutet werden, es handle sich um unmarkierte direkte Rede Humboldts. Durch die fehlenden verba dicendi und die fehlende eindeutige Markierung des Sprechers, kann es sich jedoch an dieser Stelle potenziell um direkte Rede des ErzĂ€hlers handeln. An derartigen Textstellen, die Unsicherheiten markieren, zeigt sich der viel zitierte gebrochene Realismus.

Zusammenfassend zeigt sich: In der Vermessung liegen weder rivalisierende noch ein explizit rollenbewusster ErzĂ€hler vor. Es ist bereits festgehalten worden, dass der Einsatz dieser ErzĂ€hler als implizite bzw. explizite metafiktionale Verfahrensweise zwar die eindeutigsten, jedoch nicht die einzigen Möglichkeiten sind. Wie beispielhaft an diversen Textstellen herausgearbeitet, werden, in eher explizit metafiktionaler Art, die Ereignisse um Gauß und Humboldt von einem ErzĂ€hler erzĂ€hlt, der zwar den Blick zwischen verschiedenen Figuren schweifen lĂ€sst, dabei jedoch stets seine Stellung als ErzĂ€hler deutlich markiert. Dies geschieht dabei allerdings nicht, wie beispielsweise in selbstbewussten Romanen der Romantik, durch gezielte Leserlenkung mittels gehĂ€ufter Leseransprachen.

 

3.3    GeschichtserzÀhlung vs. GeschichtenerzÀhlen

Es gebe eine oberflÀchliche Wahrheit und eine tiefere, sagte Ehrenberg,

gerade als Deutscher wisse man das. (V 279)

 

In der Vermessung wird in humoristischem und ironischem Ton ausschnittsweise aus den Leben der Forscher Carl Gauß und Alexander von Humboldt erzĂ€hlt. Dabei werden das VerhĂ€ltnis und die Unterscheidung von Geschichte- und GeschichtenerzĂ€hlen beleuchtet und schließlich jenseits des Vermessens, also des Faktischen und Dokumentarischen, und der reinen Vernunft „ein spezifisch Ă€sthetisches Erkenntnispotential von Literatur“[95] aufgezeigt.

Bereits durch die ersten zwei SĂ€tze der Vermessung wird die Verbindung von Geschichte und Geschichten aufgemacht: Wie bereits betrachtet, beginnt die ErzĂ€hlung zwar in sachlich-faktischem Ton, der den Eindruck historischen ErzĂ€hlens erweckt und an das Genre des historischen Romans erinnert. Doch bereits durch die Beschreibung des Professors als der „grĂ¶ĂŸte Mathematiker des Landes“ (V 7) zeigt, dass sich die ErzĂ€hlung einer einfachen Einordnung zum historischen Roman entzieht. Der Vermessung geht es nicht darum, detail- und ‚wahrheits‘-getreu die LebenslĂ€ufe zweier Forscher nachzuziehen, wenngleich sie zwei Figuren zeigt, dessen Bilder als Konstrukt von Geschichtsschreibung und Literatur dem kollektiven GedĂ€chtnis angehören. Diese Bilder sind jedoch ebenso konstruiert wie Geschichte selbst und in einem Prozess entstanden – dass dieser Prozess jedoch nicht abgeschlossen ist, beweist die ErzĂ€hlung, denn „verhandelt werden auch immer die fraglichen Relationen von Zeitgeschichte und Gegenwart“[96]. In der ErzĂ€hlung werden stets Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknĂŒpft. Vor allem Gauß ist diese Verbindung bewusst; er weiß um den technischen Fortschritt, aber auch darum, dass, geprĂ€gt durch die Vergangenheit, jegliche Bereiche des menschlichen Lebens beeinflusst werden:

Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel fĂŒr die erbĂ€rmliche ZufĂ€lligkeit der Existenz, daß man in einer bestimmten Zeit geboren und ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einen zum Clown der Zukunft.

Eugen nickte schlÀfrig.

Sogar ein Verstand wie der seine, sagte Gauß, hĂ€tte in frĂŒhen Menschheitsaltern oder an den Ufern des Orinoko nichts zu leisten vermocht, wohingegen jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich ĂŒber ihn lustig machen und absurden Unsinn ĂŒber seine Person erfinden könne. (V 9)

Vor dem Hintergrund der AufklĂ€rung, des Glaubens an die Vernunft, aber auch der Weimarer Klassik, werden neben dem VerstĂ€ndnis von Welt als vernĂŒnftiger und messbarer und somit erklĂ€rbarer Einheit weitere Möglichkeiten, die Welt zu erklĂ€ren, angeboten. Durch die Erfahrungen von Humboldt und Gauß wird deutlich, dass erst ein Nebeneinander von ErklĂ€rungsmodellen die Möglichkeit bietet, der Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen. Schließlich vermögen weder Gauß noch Humboldt, die Vermessung der Welt abzuschließen und die Welt und Wirklichkeit so umfassend zu beschreiben. Auf den Konstruktcharakter von RealitĂ€t weisen Humboldt und Gauß explizit hin (vgl. V 135f., V 268). So konstruieren auch Bonpland und Humboldt ihre RealitĂ€t. Bei der Besteigung des Chimborazo wĂ€gen die MĂ€nner die ‚wirklichen‘ Geschehnisse ab:

Man könnte, sagte Bonpland, auch einfach behaupten, man wÀre oben gewesen.

Humboldt sagte, er wolle das nicht gehört haben. [
]

ÜberprĂŒfen könne es ja keiner, sagte Humboldt nachdenklich.

Eben, sagte Bonpland.

Er habe das nicht gesagt, rief Humboldt.

Was gesagt, fragte Bonpland. (V 177f.)

Sie beide, sagte Humboldt, hÀtten den höchsten Berg der Welt bestiegen. Das werde bleiben, was auch immer in ihrem Leben noch geschehe.

Nicht ganz bestiegen, sagte Bonpland.

Unsinn!

Wer einen Berg besteige, erreiche die Spitze. Wer die Spitze nicht erreiche, habe den Berg nicht bestiegen. (V 179)

Und tatsĂ€chlich, anstatt zu berichten, was ‚wirklich‘ geschehen war, akzeptiert Humboldt die konstruierten Gegebenheiten als wahr: „In der Nacht schrieb Humboldt [
] zwei Dutzend Briefe, in denen er Europa die Mitteilung machte, daß von allen Sterblichen er am höchsten gelangt sei.“ (V 180) Somit wird auch auf den Konstruktcharakter von Geschichte hingewiesen, da Humboldts Briefe spĂ€ter in der Zeitung veröffentlicht und gelesen werden (vgl. V 87, 151f.). Sieht sich Humboldt jedoch PhĂ€nomenen oder Erscheinungen ausgesetzt, fĂŒr die er keine vernĂŒnftige ErklĂ€rung finden kann, hat er eine ganz eigene Art, damit zu umzugehen:

Er beschloß, nichts darĂŒber aufzuschreiben. (V 45)
Er entschied, die Ereignisse [
] so zu beschreiben, wie sie sich hĂ€tten abspielen sollen [
]. (V 108)

Humboldt versucht nicht, eine ErklĂ€rung zu finden. Eine andere Verbindung zum Thema Geschichte stellt Schilling her. Er sieht in der „ironisierte[n] Rolle der Realhistorie fĂŒr die Figuren“ eine „Brechung der historischen Illusion“[97]: Vor allem Gauß ist sich der historischen Ereignisse nicht bewusst, was nach Schilling „zur Distanzierung von der Realhistorie und somit von der historischen Illusion des traditionellen oder populĂ€ren historischen Romans bei[trĂ€gt]“[98]. Und wirklich, wie im Kapitel zur Parodie dargestellt werden wird, spielt die Vermessung unter anderem mit den Konventionen des historischen Romans. Die ErzĂ€hlung bettet die Geschehnisse jedoch ins 19. Jahrhundert ein, und bietet somit eine KontrastflĂ€che, vor der das ErzĂ€hlen im 21. Jahrhundert reflektiert werden kann. Vor dem Hintergrund fiktionalisierter historischer Figuren und fiktiver Ereignisse geht es in der Vermessung nicht darum, Geschichte und Geschichtsschreibung radikal zu kritisieren. Vielmehr geht es darum, ĂŒber Überlegungen der Darstellung und Darstellbarkeit geschichtlicher Figuren und Ereignisse zu Reflexionen ĂŒber Literatur zu gelangen, und die Möglichkeiten des ErzĂ€hlens im 21. Jahrhundert auszuloten. Beide Forscher, Gauß und Humboldt, zeichnen sich durch eine „ErzĂ€hlfeindlichkeit“[99] aus, zumindest ist ihnen das ErzĂ€hlen fremd. WĂ€hrend Gauß sich zu verschiedenen Zeitpunkten explizit dazu Ă€ußert, wird es bei Humboldt vor allem durch seine eigenen ErzĂ€hlversuche verdeutlicht. Humboldt, „[i]hm selbst habe Literatur ja nie viel gesagt“ (V 221), und seine ErzĂ€hlungen finden beim Publikum keinen Anklang:

[Humboldt] erzĂ€hlte gut, bloß verlor er sich immer wieder in Fakten: Er berichtete so detailliert ĂŒber Ströme und Druckschwankungen, ĂŒber das VerhĂ€ltnis von Höhenlage und Vegetationsdichte, ĂŒber die feinen Unterschiede der Insektenarten, daß mehrere Damen zu gĂ€hnen begannen. Als er sein Notizbuch hervorholte und anfing, Meßergebnisse vorzutragen, versetzte Bonpland ihm unter dem Tisch einen Tritt. (V 212)

Sein lang erwarteter Reisebericht habe das Publikum enttĂ€uscht: Hunderte Seiten voller Meßergebnisse, kaum Persönliches, praktisch keine Abenteuer. Ein tragischer Umstand, der seinen Nachruhm schmĂ€lern werde. Ein berĂŒhmter Reisender werde nur, wer gute Geschichten hinterlasse. Der arme Mann habe einfach keine Ahnung, wie man ein Buch schreibe! Jetzt sitze er in Berlin, baue eine Sternwarte, habe tausend Projekte und gehe dem ganzen Stadtrat auf die Nerven. (V 239)

Auch in SĂŒdamerika wird deutlich, dass Humboldts VerstĂ€ndnis von ‚ErzĂ€hlen‘ nicht mit dem der anderen Mitreisenden ĂŒbereinstimmt:

Mario bat Humboldt, auch einmal etwas zu erzÀhlen.

Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt und schob seinen Hut zurecht, den der Affe umgedreht hatte. Auch möge er das ErzĂ€hlen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische ĂŒbersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den BĂ€umen kein Wind zu fĂŒhlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein.

Alle sahen ihn an.

Fertig, sagte Humboldt.

Ja wie, frage Bonpland.

Humboldt griff nach dem Sextanten.

Entschuldigung, sagte Julio. Das könne doch nicht alles gewesen sein.

Es sei natĂŒrlich keine Geschichte ĂŒber Blut, Krieg und Verwandlungen, sagte Humboldt gereizt. Es komme keine Zauberei darin vor, niemand werde zur Pflanze, keiner könne fliegen oder esse einen anderen auf. [
] Und wenn er sich nicht irre, sagte Humboldt, habe jeder auf diesem Boot Arbeit genug! (V 127f.)

Wie der ErzĂ€hler kommentiert, „erzĂ€hlte [er] gut“ (V 212), das Problem seines ErzĂ€hlens liegt jedoch in seinem VerstĂ€ndnis von ErzĂ€hlen begrĂŒndet: Vom Publikum in Europa wie von der geselligen Runde in SĂŒdamerika wird nach (kreativer) Ausgestaltung der bloßen Fakten verlangt. Sein ‚ErzĂ€hlen‘ ist dokumentarisch und faktisch und wird so nicht als (gutes bzw. fesselndes) ErzĂ€hlen angenommen. DemgegenĂŒber steht die ErzĂ€hlung, die Vermessung, selbst: Es sind keine „Hunderte Seiten voller Meßergebnisse, kaum Persönliches, praktisch keine Abenteuer“ (V 239), sondern das Gegenteil. Die Vermessung ist eine kurze ErzĂ€hlung, die durch kleinere Abenteuer und Ausschnitte aus dem persönlichen Leben der Figuren und von den Unternehmungen der Forscher erzĂ€hlt. Auch das GesprĂ€ch zwischen Humboldt und Pater Zea ĂŒber das sĂŒdamerikanische ErzĂ€hlen beweist eine unterschiedliche Auffassung darĂŒber, was ErzĂ€hlen sein und können soll:

Durch das Fenster hörten sie die durcheinanderredenden Stimmen der Ruderer, die sich ĂŒber den Verlauf der Geschichte nicht einigen konnten.

Er habe den Eindruck, sagte Humboldt, hier werde ununterbrochen erzÀhlt. Wozu dieses stÀndige Herleiern erfundener LebenslÀufe, in denen noch nicht einmal eine Lehre stecke?

Man habe alles versucht, sagte Pater Zea. Erfundene Geschichten aufzuschreiben sei in allen Kolonien verboten. Aber die Leute seien hartnÀckig, und auch die heilige Macht der Kirche kenne Grenzen. Es liege am Land. (V 114)

Auch Gauß hat seine eigenen Vorstellungen davon, was Literatur und der KĂŒnstler leisten sollten. Gauß, der sich „immer wieder wie eine nicht ganz gelungene Erfindung“ (V 282) vorkam, ist nicht nur wenig begeistert von dem Gedanken, dass „[sich] jeder Dummkopf in zweihundert Jahren [
] ĂŒber ihn lustig machen und absurden Unsinn ĂŒber seine Person erfinden könne“ (V 9), vielmehr noch vergĂ€ĂŸen KĂŒnstler seiner Ansicht nach ihre Aufgabe:

das Vorzeigen dessen, was sei. KĂŒnstler hielten Abweichungen fĂŒr eine StĂ€rke, aber Erfundenes verwirre die Menschen, Stilisierung verfĂ€lsche die Welt. BĂŒhnenbilder etwa, die nicht verbergen wollten, daß sie aus Pappe seien, englische GemĂ€lde, deren Hintergrund in Ölsauce verschwimme, Romane, die sich in LĂŒgenmĂ€rchen verlören, weil der Verfasser seine Flausen an die Namen geschichtlicher Personen binde.

Abscheulich, sagte Gauß. (V 221)

Von einer Feier des ErzĂ€hlens kann hier kaum gesprochen werden – stattdessen wĂŒnscht sich Gauß Klarheit und Eindeutigkeit, eben „das Vorzeigen dessen, was sei.“ (V 221) Dieser Forderung nach klarer Darstellung der Welt entspricht auch sein BedĂŒrfnis, die Welt zu vermessen. Die Welt zu begreifen bedeutet fĂŒr die Forscher, sie mittels Zahlen auszurechnen und zu vermessen, um sie so erklĂ€ren zu können. Schließlich erweist sich die menschliche Wahrnehmung als unzuverlĂ€ssig, wie nicht nur die Besteigung des Chimborazos beweist, sondern auch Humboldt selbst zu verstehen gibt: „Nichts sei zuverlĂ€ssig, sagte [Humboldt] zu dem ihn aufmerksam beobachtenden Hund. Die Tabellen nicht, nicht die GerĂ€te, nicht einmal der Himmel.“ (V 129) Keinesfalls, so wird dem Leser, nicht aber den Figuren deutlich, ist „die Vermessung der Welt fast abgeschlossen“ (V 238), wie Humboldt erklĂ€rt. Mittels der ErklĂ€rungsmuster der Figuren lĂ€sst sich nicht alles erklĂ€ren, die Vermessung der Welt nicht abschließen. Letzten Endes mĂŒssen Gauß, wie auch Humboldt, ahnen, dass ihre RealitĂ€t eine konstruierte ist. WĂ€hrend Humboldt erst spĂ€t eine Ahnung ĂŒber seinen Status als Figur entwickelt, wird sie bei Gauß von Anfang an deutlich:

Warum er traurig war? [
] Weil die Welt sich so enttĂ€uschend ausnahm, sobald man erkannte, wie dĂŒnn ihr Gewebe war, wie grob gestrickt die Illusion, wie laienhaft vernĂ€ht ihre RĂŒckseite. Weil nur Geheimnis und Vergessen es ertrĂ€glich machten. Weil man es ohne den Schlaf, der einen tĂ€glich aus der Wirklichkeit riß, nicht aushielt. (V 59)

Neben der Ahnung von der Welt als Illusion betont Gauß vielfach, er fĂŒhle sich „in die Welt geschickt“ (V 98), und als „hatte [man] sich ĂŒber ihn lustig machen wollen“ (V 98). Es wird die Macht des ErzĂ€hlers ĂŒber ihn und ĂŒber seine ‚RealitĂ€t‘ erahnt. Deutlich wird das vor allem durch folgendes Zitat:

Bald wĂŒrde all das eine Kleinigkeit sein. [
] Aber ihm half das nicht, er mußte es jetzt tun, mit Maßband, Sextant und Theodolit, in lehmigen Stiefeln, mußte dazu noch Methoden finden, auf dem Weg reiner Mathematik die Ungenauigkeiten der Messung auszugleichen [
]. (V 191)

Letzterer Satz liest sich gleichsam wie eine Anweisung des ErzĂ€hlers an die Figur. Wieder lĂ€sst der Text wegen der fehlenden verba dicendi und des PrĂ€teritums die Auslegung offen, es könnte sich hierbei um eine Aussage des ErzĂ€hlers handeln. Bevor schließlich Humboldt und Gauß miteinander ĂŒber rĂ€umliche Distanzen kommunizieren, begreift auch Humboldt allmĂ€hlich:

Ihm fiel ein, daß Gauß von einer absoluten LĂ€nge gesprochen hatte, einer Geraden, der nichts mehr hinzugefĂŒgt werden konnte und die sich, wiewohl endlich, so weit dehnte, daß jede mögliche Distanz nur ein Teil von ihr war. FĂŒr ein paar Sekunden, im Zwischenreich von Wachen und Schlaf, hatte er das GefĂŒhl, daß diese Gerade etwas mit seinem Leben zu tun hatte und alles hell und deutlich wĂ€re, wenn er nur begriffe, was. Die Antwort schien nahe. (V 280)
Gerede und GeschwĂ€tz, flĂŒsterte Humboldt in Ehrenbergs Ohr, keine Wissenschaft. Er mĂŒsse Gauß unbedingt sagen, daß er jetzt besser verstehe.

Ich weiß, daß Sie verstehen, antwortete Gauß. Sie haben immer verstanden, armer Freund, mehr, als Sie wußten. [
] Also hat er mich doch nach all den Jahren ĂŒberflĂŒgelt, sagte er, und ihm war, als antwortete nicht Minna, sondern der bereits in einer Schnellkutsche nach Sankt Petersburg rasende Humboldt: Die Dinge sind, wie sie sind, und wenn wir sie erkennen, sind sie genauso, wie wenn es andere tun oder keiner. (V 290f.)

Schließlich kommunizieren die beiden Figuren miteinander, obwohl sie rĂ€umlich getrennt sind. Hierdurch demonstriert die ErzĂ€hlung Gauß’ These ĂŒber den Raum und Parallelen, dass es diese nĂ€mlich vielleicht nicht gebe: „Vielleicht lasse der Raum auch zu, daß man, habe man eine Linie und einen Punkt neben ihr, unendlich viele verschiedene Parallelen durch diesen einen Punkt ziehen könne. Nur eines sei sicher: Der Raum sei faltig, gekrĂŒmmt und sehr seltsam.“ (V 95f.) Die bisher weitgehend parallel gefĂŒhrten ErzĂ€hlungen werden in dem Augenblick verbunden, in dem Humboldt zu begreifen beginnt. Diese Kommunikation endet in der Erkenntnis Gauß’ ĂŒber das Ende der ErzĂ€hlung:

Dieser Bonpland, hĂ€tte ihm der Professor wohl geantwortet, hatte allerdings Pech, aber können wir beide uns beklagen? Kein Kannibale hat Sie gegessen, kein Ignorant mich totgeschlagen. Hat es nicht etwas BeschĂ€mendes, wie leicht uns alles fiel? Und was jetzt geschieht, ist nur, was einmal geschehen mußte: Unser Erfinder hat genug von uns. (V 292)

Hierdurch rĂŒckt wiederum der ErzĂ€hler ins Blickfeld, dessen Machtstellung immer wieder verdeutlicht wird:

Man hatte ihn in die Welt geschickt, mit einem Verstand, der fast alles Menschliche unmöglich machte, in eine Zeit, da jede Unternehmung noch schwer, anstrengend und schmutzig war. Man hatte sich ĂŒber ihn lustig machen wollen. (V 98)

Da nicht eindeutig markiert wird, wer spricht – „Man hatte sich ĂŒber ihn lustig machen wollen“ (V 98) – bleibt es offen, ob der ErzĂ€hler kommentiert oder die Gedanken oder Worte der Figur wiedergibt. Der Text lĂ€sst beide Möglichkeiten zu und die Aussage kann doppelt gelesen werden: Entweder zeigt sich hierin erneut Gauß’ Bewusstsein ĂŒber seinen Status als Figur, oder der ErzĂ€hler bestĂ€tigt Gauß’ anfĂ€nglich geĂ€ußerte Sorgen. Letztere Auslegung wĂŒrde die Macht des ErzĂ€hlers spiegeln, Gauß in diese schwere, anstrengende und schmutzige Zeit zu schicken.

Indem der ErzĂ€hler seine Figuren erahnen lĂ€sst, dass sie einer fiktiven RealitĂ€t angehören, „ob man wolle oder nicht“ (V 9), zeigt er eine Alternative zum realistisch-faktischen ErzĂ€hlen, das seine Figuren vertreten und fordern. Literatur, darin besteht ihr Potential, besitzt „eine Offenheit, die der KomplexitĂ€t von Welt entspricht“[100]. Indem ein alternatives ErzĂ€hlkonzept zum Realismus vorgestellt wird, das einen anderen Zugang zur Welterschließung bieten, und vor dem Hintergrund der metafiktionalen Anspielungen auf das Schreiben im 21. Jahrhundert, wird eine RĂŒckkehr zum ErzĂ€hlen gefordert.

 

 

4.     Der Text: IntertextualitÀt, Parodie und Ironie

 

Bei der zweiten Konstituente des literarischen Kommunikationsaktes, dem Text, können metafiktionale Strategien explizit als mise en abyme und Roman im Roman, oder implizit durch intertextuelle Verweise auftreten. Letztere können sowohl in der Form von Parodie und Ironie vorliegen, als auch in Form der Verwendung von Mythen und anderen archetypischen ErzĂ€hlmustern. In der Vermessung werden nicht nur diverse historische Persönlichkeiten zu Figuren, darĂŒber hinaus finden sich im Roman vielfĂ€ltige intertextuelle Verweise. Diese liegen als direkte Referenz auf andere Texte vor, aber auch in Form von Parodie und Ironie. WĂ€hrend sich die Parodie vor allem auf die Gattung des historischen Romans und die Biografie beziehen, werden vor allem der Titel des Romans, ‚das‘ Deutschsein und die AufklĂ€rung ironisch betrachtet. Auch hierbei wird wiederum das VerhĂ€ltnis von Geschichte- und GeschichtenerzĂ€hlen thematisiert.

 

4.1    IntertextualitÀt: Von Goethe und dem magischen Realismus

Metafiktional sind intertextuelle Verweise, wenn sie â€žĂŒber fiktionale Prozesse reflektieren, indem sie Texte in erster Linie in ihrer Beziehung und ihrer AbhĂ€ngigkeit zu anderen Texten darstellen und dem Leser somit diese AbhĂ€ngigkeiten vor Augen fĂŒhren.“ (MR 40) IntertextualitĂ€t meint den „Bezug zwischen einem Text und anderen Texten“[101], der sich auf die Trias Text, Autor und Leser stĂŒtzt.[102] Um es mit Broich und Pfister noch einmal detaillierter zu beschreiben: IntertextualitĂ€t ist ein

Oberbegriff fĂŒr jene Verfahren eines mehr oder weniger bewußten und im Text selbst auch in irgendeiner Weise konkret greifbaren Bezugs auf einzelne PrĂ€texte, Gruppen von PrĂ€texten oder diesen zugrundeliegenden Codes und Sinnsystemen, wie sie die Literaturwissenschaft unter Begriffen wie Quellen und Einfluß, Zitat und Anspielung, Parodie und Travestie, Imitation, Übersetzung und Adaption bisher schon behandelt hat und wie sie nun innerhalb des neuen systematischen Rahmens prĂ€gnanter und stringenter definiert und kategorisiert werden sollen.[103]

FĂŒr die metafiktionale QualitĂ€t intertextueller Verweise hĂ€lt Hutcheon fest, dass IntertextualitĂ€t zugleich Kontext schafft und untergrĂ€bt (vgl. HM 8), und auch der Leser wird wieder gefordert: „The reader is forced to acknowledge not only the inevitable textuality of our knowledge of the past, but also both the value and the limitation of that inescapably discursive form of knowledge, situated as it is ‘between presence and absence’ (Barilli).“ (HM 8)

Die Vermessung erzĂ€hlt auf inhaltlicher Ebene nicht nur von der Vermessung der Welt mittels wissenschaftlicher Methoden, die Gauß und Humboldt auf verschiedene Weisen vornehmen, sondern kann auf metafiktionaler Ebene auch als eine Vermessung der deutschen und internationalen Literatur(geschichte) gesehen werden. Diese geschieht vor allem mittels unterschiedlicher intertextueller Verweise, die den gesamten Text durchziehen. Bevor zwei wichtige intertextuelle Verweise nĂ€her betrachtet werden, soll an dieser Stelle zunĂ€chst auf verschiedene andere Intertexte hingewiesen werden, deren Betrachtung allein sicherlich eine eigene Arbeit fĂŒllen können. Aus dem US-amerikanischen Sprachraum werden vor allem zwei Intertexte hervorgehoben. Tippelskirch verweist auf Parallelen bzw. „direct correspondences“ zwischen E. L. Doctorows Ragtime (1975) und der Vermessung: „By the same token, Kehlmann’s two protagonists display variations on the same theme.“[104] Eine andere augenfĂ€llige Beziehung bestehe, so bemerken u.a. Ireton und Petras, zu Mason & Dixon (1997) von Thomas Pynchon: „Die Vermessung der Welt rekurriert in Figurenkonstellation und Thematik auf Thomas Pynchons Mason & Dixon.“[105] Abgesehen davon kritisiere die Vermessung in Ă€hnlicher Weise wie Pynchons „metafictional history“, so legt Ireton dar, „eighteenth-century instrumental reason, which manifests itself in the urge to measure, chart, and demarcate the world.“[106] Daneben liest Tippelskirch in der Vermessung eine Antwort auf Walter Benjamin, indem Kehlmann die Tradition der mĂŒndlichen ErzĂ€hlung wieder aufleben lĂ€sst, und zwar „by using a rare literary technique extensively; the dialogues between the novel’s protagonists are presented in indirect speech.“[107] Das „mathematische Denken ĂŒber Raum und Zeit“[108] in der Vermessung erinnert Anderson an Kafka, und auch zu Musil sieht er eine Verbindung. Abgesehen vom ErzĂ€hlton und dem Ausdruck, erinnere auch die Auswahl der Hauptfiguren an Musil, denn diese wĂŒrden „die RealitĂ€t als einen nicht abgeschlossenen Bereich von Möglichkeiten sehen und stĂ€ndig versuchen, ihre Wahrnehmungs- und Ausdrucksgrenzen zu erweitern.“[109]

Der erste explizite intertextuelle Verweis findet sich im Kapitel „Das Meer“, wenn Klopstocks Der Eislauf (1764) erwĂ€hnt wird. Humboldt und sein Ă€lterer Bruder „gingen durch den Schloßpark“ (V 23) zu einem Teich. Nachdem der Ältere seine Sorgen um den Bruder mitteilt – „[s]eine schweigsame Art, seine Verschlossenheit. Die schleppenden Erfolge im Unterricht“ (V 24) –, macht er ihn auf die Eisschicht auf dem Teich aufmerksam. Auf dem Weg zur Mitte des Sees, kurz bevor Humboldt einbricht, â€žĂŒberlegte [er], ob er Klopstocks Eislaufode rezitieren sollte.“ (V 24) Wie unter anderem auch Eichinger anmerkt,[110] sind folgende Strophen der Ode Klopstocks besonders relevant:

Sonst spÀht dein Ohr ja alles; vernim,

Wie der Todeston wehklagt auf der Flut!

O, wie tönts anders! wie hallts, wenn der Frost

Meilen hinab spaltet den See!

ZurĂŒck! laß nicht die schimmernde Bahn
Dich verfĂŒhren, weg vom Ufer zu gehn!
Denn wo dort Tiefen sie deckt, strömts vielleicht,
Sprudeln vielleicht Quellen empor.

Den ungehörten Wogen entströmt,
Dem geheimen Quell entrieselt der Tod!
Glittst du auch leicht, wie dieß Laub, ach dorthin;
SĂ€nkest du doch, JĂŒngling, und stĂŒrbst![111]

Mit Blick auf Humboldts Einbruch in das Eis und seinem knappen Überleben, hĂ€tte die Ode ihm als Warnung dienen können. Es bleibt jedoch offen, warum Humboldt die Ode nicht rezitiert und ob die Rezitation ihn gerettet hĂ€tte. Deutlich wird jedoch, dass Humboldt sein gewonnenes Wissen seiner Ausbildung nicht zu nutzen weiß.

Der nĂ€chste vielfach bemerkte explizite intertextuelle Verweis findet sich im sechsten Kapitel des Buchs, „Der Fluß“. In Bezug auf den Umfang ist es das lĂ€ngste Kapitel, was auf seine Wichtigkeit hindeutet. Humboldt und Bonpland treffen in SĂŒdamerika nicht nur auf die vier Ruderer, die nachfolgend nĂ€her betrachtet werden, sondern auch auf Pater Zea. Hier treffen verschiedene Konzepte des ErzĂ€hlens und der Kultur des ErzĂ€hlens aufeinander. Ein expliziter intertextueller Verweis findet sich gegen Ende des Kapitels. Dort heißt es:

Mario bat Humboldt, auch einmal etwas zu erzÀhlen.

Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt und schob seinen Hut zurecht, den der Affe umgedreht hatte. Auch möge er das ErzĂ€hlen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische ĂŒbersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den BĂ€umen kein Wind zu fĂŒhlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein.

Alle sahen ihn an.

Fertig, sagte Humboldt.

Ja wie, frage Bonpland.

Humboldt griff nach dem Sextanten.

Entschuldigung, sagte Julio. Das könne doch nicht alles gewesen sein.

Es sei natĂŒrlich keine Geschichte ĂŒber Blut, Krieg und Verwandlungen, sagte Humboldt gereizt. Es komme keine Zauberei darin vor, niemand werde zur Pflanze, keiner könne fliegen oder esse einen anderen auf. [
] Und wenn er sich nicht irre, sagte Humboldt, habe jeder auf diesem Boot Arbeit genug! (V 127f.)

Mit dem „schönste[n] deutsche[n] Gedicht“ (V 128) ist Ein Gleiches aus dem Jahr 1780 gemeint, verfasst von Johann Wolfang von Goethe. Dieses liest sich in GegenĂŒberstellung zur zitierten Textstelle wie folgt:

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

SpĂŒrest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.[112]

Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den BĂ€umen kein Wind zu fĂŒhlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein. (V 127f.)

Gasser argumentiert, diese Textstelle zeige, dass „das ErzĂ€hlen [
] verhasst [ist]“[113]. Auf metafiktionaler Ebene geschieht jedoch mehr. Rickes hat auf die Technik der ‚doppelten Optik‘ in den Werken Kehlmanns hingewiesen, was „den gleichzeitigen Bezug auf sehr unterschiedliche Lesergruppen, auf die breite Leserschaft wie die wenigen Kenner, die z.B. philosophisch, musiktheoretisch oder kunsthistorisch versiert sind“[114], meint. Dies zeigt sich an obigem Zitat: Auf einer ersten Ebene wird hier humoristisch ein stereotypes Bild vom langweiligen Deutschen gezeichnet, der nicht in der Lage ist, unterhaltend zu erzĂ€hlen. Auf einer darĂŒber liegenden Ebene wird der Rezipient mit seinem Wissen gefordert. Durch die indirekte Rede verliert das Gedicht im Text bereits seine Spezifika, sodass der Text offen lĂ€sst, ob Humboldts Zuhörer wegen des Gedichts an sich oder wegen Humboldts Art des Vortragens irritiert sind. Hier treffen drei Kulturen aufeinander: Deutschland, Frankreich und SĂŒdamerika; fĂŒr das ErzĂ€hlen scheint jeweils ein unterschiedliches VerstĂ€ndnis vorzuliegen. Daneben jedoch wird mittels des Gedichts wiederum die Thematik des Todes aufgeworfen, die Humboldt und Gauß die gesamte ErzĂ€hlung hindurch beschĂ€ftigt, denn beide MĂ€nner sind mit dem Prozess des Alterns konfrontiert und finden unterschiedliche Wege, damit umzugehen.

Einerseits bewirkt der Einsatz dichter intertextueller Verweise, wie GerstenbrĂ€un argumentiert, eine Steigerung der „AuthentizitĂ€t der diegetischen Wirklichkeit.“[115] Dem aufgerufenen historischen Kontext wird somit eine unterliegende Tiefe mit Verbindungen zur Historie gegeben. Andererseits wird mittels der Referenz auf zwei Gedichte, die von den historischen Persönlichkeiten Goethe und Klopstock verfasst worden sind, auf die Gemachtheit des Textes verwiesen, insbesondere da ersterer als Figur im Roman auftritt.

In demselben Kapitel wird aber nicht nur auf Goethe verwiesen, sondern auch auf einen weiteren wichtigen Einfluss fĂŒr Kehlmanns Werke, auf vier Vertreter sĂŒdamerikanischer Literatur, vor allem des magischen Realismus. Wie in der Forschung bereits mehrfach herausgestellt worden ist, sind die vier Ruderer Carlos, Gabriel, Mario und Julio (vgl. V 106), die Humboldt und Bonpland auf ihrer Reise behilflich sind, als Referenz auf die Schriftsteller Carlos Fuentes (*1928), Gabriel GarcĂ­a MĂĄrquez (*1927), Mario Vargas Llosa (*1936), Julio CortĂĄzar (*1914 †1984) zu verstehen.[116] Unter magischem Realismus versteht man

jene EigentĂŒmlichkeit der lateinamerikanischen Literatur, das Wunderbare vollkommen natĂŒrlich in die Wirklichkeit zu integrieren und – meist in begrenztem Umfang – z.B. Verwandlungen in Tiere oder Pflanzen, Geistererscheinungen oder GedankenĂŒbertragungen ohne sog. Markierung in das Handlungsgeschehen einzubeziehen. (DK 73)

Neben den diversen Geistererscheinungen im Roman (vgl. u.a. V 74), die nicht ohne Humor erzĂ€hlt werden, deutet sich bei Humboldt und Gauß aber auch eine GedankenĂŒbertragung an, die im vorletzten Kapitel des Buchs stattfindet. Eingeleitet wird das durch Humboldts Gedanken wĂ€hrend seines Aufenthalts in Russland:

Er stand auf, doch wĂ€hrend seiner etwas konfusen Tischrede dachte er an Gauß. Dieser Bonpland, hĂ€tte ihm der Professor wohl geantwortet, hatte allerdings Pech, aber können wir beide uns beklagen? Kein Kannibale hat Sie gegessen, kein Ignorant mich totgeschlagen. Hat es nicht etwas BeschĂ€mendes, wie leicht uns alles fiel? Und was jetzt geschieht, ist nur, was einmal geschehen mußte: Unser Erfinder hat genug von uns. (V 292)

Die indirekte Rede geht in eine direkte Ansprache ĂŒber, die wiederum nicht eindeutig markiert wird. Im Anschluss an diese Passage wird der Blick auf Gauß gerichtet:

Er dachte an Humboldt. Gern hĂ€tte er ihm eine gute RĂŒckkehr gewĂŒnscht, aber am Ende kam man nie gut zurĂŒck, sondern jedesmal ein wenig schwĂ€cher, und zuletzt gar nicht mehr. Vielleicht gab es ihn ja doch, den lichtlöschenden Äther. Aber natĂŒrlich gebe es ihn, dachte Humboldt und seiner Kutsche, er habe ihn ja dabei, in einem der Fuhrwerke, nur erinnere er sich nicht mehr, wo, es seien Hunderte Kisten, und er habe den Überblick verloren. (V 292)

Wie Rickes herausstellt, zeigt sich an derartigen Passagen Kehlmanns gebrochener Realismus, indem „eine – mitunter kaum merkliche – Markierung der Ungewissheit“ (DK 87) vorgenommen wird, wodurch sich der Text einer eindeutigen Zuordnung zum magischen Realismus verweigert. Im Text wird die Möglichkeit von GedankenĂŒbertragung Gauß vermittelt:

Die Wahrheit sei sehr unheimlich: Der Satz, daß zwei gegebene Parallelen einander niemals berĂŒhrten, sei nie beweisbar gewesen, nicht durch Euklid, nicht durch jemand anderen. Aber er sei keineswegs, wie man immer gemeint habe, offensichtlich! Er, Gauß, vermute nun, daß der Satz nicht stimme. Vielleicht gebe es keine Parallelen. Vielleicht lasse der Raum auch zu, daß man, habe man eine Linie und einen Punkt neben ihr, unendlich viele verschiedene Parallelen durch diesen einen Punkt ziehen könne. Nur eines sei sicher: Der Raum sei faltig, gekrĂŒmmt und sehr seltsam. (V 95f.)

In der Vermessung werden in den Kapiteln zwei bis zehn parallel zueinander die LebenslĂ€ufe der Figuren Humboldt und Gauß erzĂ€hlt. Im Laufe der ErzĂ€hlung jedoch, parallel zu Gauß’ Entdeckungen zum Raum, werden auch die bisher parallel gefĂŒhrten, wenn auch losen, HandlungsstrĂ€nge zusammengefĂŒhrt und enden schließlich in oben zitierter GedankenĂŒbertragung. Auf der Ebene der ErzĂ€hlung wird also die These des Professors anhand der Figuren Humboldt und Gauß ausgetestet. Daneben ist es interessant, die vier Schriftsteller genauer zu betrachten, vor allem in Hinblick auf die metafiktionalen Aspekte in der Vermessung und den Einbezug von Aspekten des magischen Realismus. Fuentes’ ErzĂ€hlungen zeichnen sich durch „die IntentionalitĂ€t barocker, geradezu monstruöser IntertextualitĂ€t“[117], „Fragmenttechnik und den variablen ErzĂ€hlerstandpunkt“[118] aus, wĂ€hrend bei Vargas Llosa „RealitĂ€t – auch die selbst erlebte – [
] durch den Akt des Schreibens vernichtet [wird], um im fertigen Werk neu geschaffen zu werden.“[119] Diese Tendenz zeigt sich auch in der Vermessung. Auch lĂ€sst sich bei Vargas Llosa seit La tĂ­a Julia y el escribidor (1977) „eine steigende Tendenz zur erzĂ€hlerischen ReflexivitĂ€t“[120] feststellen. GarcĂ­a MĂĄrquez, „der gegenwĂ€rtig als der weltweit meistgelesene spanischsprachige Autor seit Cervantes gilt“, „verarbeitet das Erbe des Criollismo und des Magischen Realismus, löst den Konflikt zwischen prĂ€modernen Formen der MĂŒndlichkeit und modernen Schrifttraditionen“[121]. CortĂĄzar letztlich, der als der „wichtigste[] Vertreter der phantastischen Kurzgeschichte in der Generation nach Borges“[122] gilt, reagierte „auf den Wandel der kulturellen Werte mit neuen Formen der Wirklichkeitsdarstellung [
]. [
] Ein weiteres Leitmotiv dieses Zeitraums war der Zweifel an der sprachlichen Vermittelbarkeit von Wirklichkeit.“[123] Rickes, der die Beziehung von Kehlmann zur sĂŒdamerikanischen Literatur untersucht hat, sieht vor allem zu CortĂĄzar eine enge Verbindung: „Bei CortĂĄzar wie Kehlmann geht es um das VerhĂ€ltnis von dargestellter RealitĂ€t und Fiktionalisierung, um die Ungewissheit darĂŒber, was Wirklichkeit und was Fiktion ist.“ (DK 19) Die Referenz auf diese Schriftsteller beschrĂ€nkt sich also nicht nur auf den magischen Realismus, sondern auch auf die erzĂ€hltechnischen Mittel, die in der Vermessung selbst angewandt werden, wie etwa IntertextualitĂ€t oder die Auseinandersetzung mit der Relation von Fakt und Fiktion. Mit der Referenz auf die Schriftsteller weist der Text also auf seine eigenen Techniken hin. Die GegenĂŒberstellung sĂŒdamerikanischer und deutscher ErzĂ€hlweisen verweist jedoch noch auf einen anderen Aspekt. Humboldt bewegt sich souverĂ€n auf dem Fluss und auf dem Meer, benötigt jedoch die Hilfe der erfahrenen Ruderer. In konsequenter Übertragung lĂ€sst sich festhalten: Wenn in den Ruderern realhistorische Schriftsteller zu erkennen sind, wird auf einer Metaebene deutsche Literatur thematisiert: Humboldt, der exemplarisch fĂŒr eine Richtung der deutschen Literatur steht, weiß zwar in beinahe sachlichem Ton ein Gedicht vorzutragen, aber seine Vorstellungskraft nicht zu nutzen, um zu erzĂ€hlen. Zwar scheint er nicht wenig ĂŒber Literatur und ErzĂ€hltechniken zu verstehen,[124] kann sie jedoch nicht schöpferisch in eigene ErzĂ€hlungen umsetzen. Zusammengenommen erinnert dieses fast faktische ErzĂ€hlen in Abgrenzung zum magischen Realismus an das realistische ErzĂ€hlen der Literatur nach 1945, von der sich also in diesem Sinne abgegrenzt wird: Mit Rickes kann Humboldt als Vertreter deutscher Literatur verstanden werden, eine

faktenorientierte, Realismus-versessene, phantasie- und erzĂ€hlfeindliche deutsche Literatur [
]. Insofern erweist sich die EinfĂŒhrung des Schriftsteller-Pendants Humboldt als wohldurchdacht und lĂ€sst zugleich eine kritische Sicht auf die jĂŒngere deutsche Literatur erkennen. SchĂ€rfer formuliert, wird im sechsten Kapitel von ‚Die Vermessung der Welt‘ poetisch Gericht gehalten ĂŒber die Fehlentwicklung der deutschen Literatur nach 1945. Das Urteil fĂ€llt eindeutig negativ aus: [
] insgesamt [
] hat die Realismus-fixierte Nachkriegsliteratur in zweifacher Hinsicht den Anschluss verloren. Zum einen fehlt ihr die erzĂ€hlerische Kraft der großen Autoren Lateinamerikas, zum anderen ist der Zugang zum eigenen literarischen Erbe verloren gegangen. (DK 76f.)

Ähnlich wie Eugen Deutschland verlĂ€sst, um, wenn auch nicht allzu freiwillig, sein GlĂŒck in Amerika zu finden, muss sich auch, so zeigt die Vermessung, die deutsche Literatur von der Abkehr vom ErzĂ€hlen hin zum ErzĂ€hlen bewegen.

Analog zu den dichten intertextuellen Verweisen zeichnet sich der Text durch ebenso zahlreich gestreute intratextuelle Verweise aus. Sicherlich kann GerstenbrĂ€un zugestimmt werden, wenn er argumentiert, IntratextualitĂ€t diene in der Vermessung der UnterstĂŒtzung der Plotentwicklung und der Steigerung der AuthentizitĂ€t der Diegese.[125] Daneben jedoch wird durch die intratextuellen Verweise vielfach eine Verbindung der Leben von Gauß und Humboldt hergestellt. So beispielsweise Ă€ußern Humboldt wie Gauß ihre Ansichten zum Gedanken vom Menschen als Maschine:

Ein Buch, das ihr der jĂŒngere geschenkt hatte, kam ungelesen zurĂŒck: L’homme machine von La Mettrie. [
] Es sei ein bemerkenswertes Buch. Der Autor behaupte ernstlich, der Mensch sei eine Maschine, ein automatisch agierendes Gestell von höchster Kunstfertigkeit. [
]

Nein, widersprach der JĂŒngere. Mit Seele. Mit Ahnungen und poetischem GespĂŒr fĂŒr Weite und Schönheit. Doch sei diese Seele selbst nur ein Teil, wenn auch der komplizierteste, der Maschinerie. Und er frage sich, ob das nicht der Wahrheit entspreche.

Alle Menschen Maschinen?

Vielleicht nicht alle, sagte der JĂŒngere nachdenklich. Aber wir. (V 23)

Lange hatte er gemeint, daß die Leute Theater spielten oder einem Ritual anhingen, das sie verpflichtete, immer erst nach einer kurzen Pause zu sprechen oder zu handeln. Manchmal konnte er sich anpassen, dann wieder war es nicht auszuhalten. Erst allmĂ€hlich kam er dahinter, daß sie diese Pausen brauchten. Warum dachten sie so langsam, so schwer und mĂŒhevoll? Als wĂŒrden Gedanken von einer Maschine hervorgebracht, die man zuvor anwerfen und in Gang kurbeln mußte, als wĂ€ren sie nicht lebendig und bewegten sich von selbst. Ihm fiel auf, daß man sich Ă€rgerte, wenn er die Pausen nicht einhielt. Er tat sein Bestes, aber oft gelang es ihm nicht. (V 54)

Es wird deutlich, dass Humboldt und Gauß als Konstrastfigur zum jeweils anderen konzipiert sind. Humboldt Ă€ußert den Gedanken im GesprĂ€ch mit seinem Bruder, worin womöglich ein Verweis auf sein straffes Bildungsprogramm liegt. WĂ€hrend es ihn nachdenklich stimmt, er aber den Gedanken vom Menschen als Maschine durchaus nicht abzulehnen scheint, scheint es bei Gauß das Gegenteil zu sein. Die dichten intratextuellen Verweise in der Vermessung unterstĂŒtzen daneben aber auch vielfach Gauß’ Theorie, „[d]aß alle Parallelen einander berĂŒhrten.“ (V 67) So sind die Leben von Humboldt und Gauß bereits frĂŒh miteinander in BerĂŒhrung gekommen:

Auf dem Heimweg sahen die BrĂŒder eine zweite, nur wenig grĂ¶ĂŸere Silberscheibe neben dem gerade aufgegangenen Mond. Ein Heißluftballon, erklĂ€rte der Ă€ltere. PilĂątre de Rozier, der Mitarbeiter der Montgolfiers, weile zur Zeit im nahen Braunschweig. Die ganze Stadt rede davon. Bald wĂŒrden alle Menschen in die Luft steigen.

Aber sie wĂŒrden es nicht wollen, sagte der JĂŒngere. Sie hĂ€tten zuviel Angst. (V 28)

Vor Jahren habe er den ersten Ballon ĂŒber Deutschland gesehen, sagte Humboldt. GlĂŒcklich, wer damals geflogen sei. Als es gerade kein Wunder mehr gewesen sei und noch nichts Irdisches. Wie die Entdeckung eines neuen Sterns. (V 199)

Bald darauf kam PilĂątre de Rozier in die Stadt. Gemeinsam mit dem Marquis d’Arland war er in einem Korb, welchen die Montgolfiers an einem mit Heißluft gefĂŒllten Beutel befestigt hatten, fĂŒnfeinhalb Meilen ĂŒber Paris geflogen. (V 63)

Am nĂ€chsten Morgen klopfte jemand an seine TĂŒr. Ein Junge stand draußen, sah mit aufmerksamen Augen zu ihm auf und fragte, ob er mitfliegen dĂŒrfe. [
] Das sei sonst nicht seine Art [
]. Aber sein Name sei Gauß, er sei nicht unbekannt, und in KĂŒrze werde er so große Entdeckungen machen wie Isaac Newton. [
] [PilĂątre] ĂŒberlegte eine Weile. Na gut, sagte er schließlich, wenn es um die Sterne gehe! (V 64f.)

Nie mehr hinab. Hinauf und weiter hinauf, bis kein Land mehr unter ihnen wĂ€re. Eines Tages wĂŒrden das Menschen erleben. Dann wĂŒrde jeder fliegen, als wĂ€re es normal, aber dann wĂŒrde er tot sein. (V 66)

Zwar werden in beiden FĂ€llen Zukunftsprognosen getroffen, die auf dasselbe zielen („Bald wĂŒrden alle Menschen in die Luft steigen“, V 28; „Dann wĂŒrde jeder fliegen“, V 66), im ersten Fall jedoch ist es Humboldts Ă€lterer Bruder, der die Vermutung Ă€ußert. So werden erneut die Ansichten Humboldts und Gauß’ kontrastiert. An anderer Stelle liest Gauß von Humboldt, dessen Brief es tatsĂ€chlich in die Zeitung, die Göttinger Gelehrten Anzeigen, geschafft hat:

Mit Bonpland bewohnte er ein weißes Holzhaus am Rand der erst kĂŒrzlich von einem Beben beschĂ€digten Stadt. [
] Abends aßen sie beim Gouverneur, danach wurde gebadet. StĂŒhle wurden ins Flußwasser gestellt, in leichter Kleidung setzte man sich in die Strömung. (V 69)

HÀufig kamen Frauen zu Besuch: Humboldt zÀhlte die LÀuse in ihren geflochtenen Haaren. (V 70)

In einer Mission lebten getaufte Indianer in Selbstverwaltung. [
] Sie waren nackt, trugen nur einzelne KleidungsstĂŒcke [
]. (V 71)

Es kĂ€men große Tage, sagte Humboldt. Vom Orinoko zum Amazonas. [
] Zur angekĂŒndigten Nachmittagsstunde verlosch die Sonne. (V 79)

Er aß ein StĂŒck trockenen Kuchen und las in den Göttinger Gelehrten Anzeigen den Bericht eines preußischen Diplomaten ĂŒber dessen Bruders Aufenthalt in Neuandalusien. Ein weißes Haus am Rand der Stadt, abends kĂŒhlte man sich im Fluß, Frauen kamen hĂ€ufig zu Besuch, damit man ihre LĂ€use zĂ€hlte. In unbestimmter Erregung blĂ€tterte er um. Nackte Indianer in der Kapuzinermission, in Höhlen lebende Vögel, die mit ihren Stimmen sahen wie andere Wesen mit dem Augenlicht. Die große Sonnenfinsternis, dann der Aufbruch zum Orinoko. Der Brief des Mannes war eineinhalb Jahre unterwegs gewesen, nur Gott mochte wissen, ob er noch lebte. [
] Dieser Mann, sagte er, beeindruckend! (V 87)

Der Bericht in der Zeitung ist als Zusammenfassung der vorher geschilderten Ereignisse zu lesen, verleiht der ErzĂ€hlung von Humboldts Reisen jedoch auch einmal mehr AuthentizitĂ€t. Indem die Schilderung des ErzĂ€hlers mit dem gelesenen Bericht ĂŒbereinstimmt, untermauert der ErzĂ€hler zugleich seine GlaubwĂŒrdigkeit. Die Verbindung zwischen Gauß und Humboldt zeigt sich erneut an anderen Stellen:

[Gauß] hĂ€tte seine Seele dafĂŒr gegeben, in hundert Jahren zu leben, wenn es Mittel gegen den Schmerz geben wĂŒrde und Ärzte, die diesen Namen verdienten. Dabei war es gar nicht schwer: Man brauchte bloß die Nerven am richtigen Ort zu betĂ€uben, am besten mit kleinen Dosen von Gift. Das Curare mußte besser erforscht werden! Es gab eine Flasche davon im chemischen Institut, er wĂŒrde sich das einmal ansehen. (V 83f.) Sie wußten nun, wie Curare angefertigt wurde, gemeinsam hatten sie nachgewiesen, daß man eine erstaunliche Menge durch den Mund zu sich nehmen konnte, ohne Schlimmeres zu erleiden als ein wenig Schwindel und optische ChimĂ€ren, daß einem aber schon bei einem winzigen Quantum, eingetropft ins Blut, die Sinne schwanden und bereits das FĂŒnftel eines Gramms reichte, einen kleinen Affen zu töten, den man jedoch retten konnte, wenn man ihm mit Gewalt Atemluft ins Maul blies, solange das Gift seine Muskeln lĂ€hmte. (V 132)

WĂ€hrend Gauß der Meinung ist, „[d]as Curare mußte besser erforscht werden“ (V 84), sind parallel dazu Humboldt und Bonpland in SĂŒdamerika genau damit beschĂ€ftigt. Nicht nur ist erneut ein Verbindungspunkt der beiden gekennzeichnet, auch hierin liegt gleichsam eine GedankenĂŒbertragung: Hatte Gauß erst die Erforschung gefordert, tut Humboldt eben dies an einem anderen Fleck der Erde.

Ein letzter intratextueller Verweis bezieht sich schließlich nicht mehr auf die Verbindung von Humboldt und Gauß, sondern allein auf Humboldt. WĂ€hrend die als Kind gelesene Geschichte ĂŒber Aguirre Humboldt dazu bewegt, „zum Orinoko zu ziehen“ (V 263), thematisiert Humboldt eben diese Geschichte in SĂŒdamerika in einem GesprĂ€ch mit den Ruderern:

Einmal stießen sie auf eine Geschichte ĂŒber Aguirre den Wahnsinnigen, der seinem König abgeschworen und sich selbst zum Kaiser ernannt hatte. In einer Alptraumfahrt ohnegleichen waren er und seine MĂ€nner den Orinoko entlanggefahren, an dessen Ufern das Unterholz so dicht war, daß man nicht an Land gehen konnte. Vögel schrien in den Sprachen ausgestorbener Völker, und wenn man aufblickte, spiegelte der Himmel StĂ€dte, deren Architektur offenbarte, daß ihre Erbauer keine Menschen waren. Noch immer waren kaum Forscher in diese Gegend vorgedrungen, und eine verlĂ€ĂŸliche Karte gab es nicht.

Aber er werde es tun, sagte der jĂŒngere Bruder. Er werde dorthin reisen.

Sicherlich, antwortete der Ältere.

Er meine es ernst!

Das sei ihm klar, sagte der Ältere und rief einen Diener, um Tag und Stunde zu bezeugen. Einmal werde man froh sein, diesen Augenblick fixiert zu haben. (V 21f.)

Der Fluß, sagte Julio, dulde keine Menschen. Bevor Aguirre sich hierhin aufgemacht habe, sei er bei Verstand gewesen. Erst hier sei es ihm eingefallen, sich zum Imperator zu erklĂ€ren.

Ein verrĂŒckter Mörder, sagte Bonpland, der erste Erforscher des Orinoko! Das ergebe Sinn.

Dieser traurige Mann habe gar nichts erforscht, sagte Humboldt. Ebensowenig erforsche ein Vogel die Luft oder ein Fisch das Wasser. (V 111)

Ob er sich noch an den Abend erinnere, fragte der Ältere schließlich, als sie die Geschichte von Aguirre gelesen hĂ€tten und er beschlossen habe, zum Orinoko zu ziehen? Das Datum sei fĂŒr die Nachwelt bezeugt! (V 263)

WĂ€hrend die Geschichte ĂŒber Aguirre, die Humboldt als Kind hört, keine GrĂŒnde fĂŒr Aguirres Beinamen, den Wahnsinnigen, liefert, klĂ€rt Julio ĂŒber die Eigenart des Landes auf, die er fĂŒr Aguirres Wahnsinn verantwortlich macht. Dadurch wird wieder auf die Vermittlung von Geschichte bzw. Geschichten verwiesen, und eine kritische Auseinandersetzung mit dieser bzw. diesen gefordert.

Durch die dichten intertextuellen Verweise wird nicht nur das Wissen des Lesers vermessen, sondern auch eine Einordnung in einen literarhistorischen Kontext vorgenommen. Neben den vielfachen Verweisen auf deutsche und deutschsprachige Literatur, lassen sich aber auch EinflĂŒsse der US-amerikanischen und sĂŒdamerikanischen Literatur finden. Analog zu den intertextuellen Verweisen endet das Buch schließlich mit Eugens Aufbruch nach Amerika, wĂ€hrend Humboldt auf seinen Reisen in SĂŒdamerika immer wieder mit einem anderen Konzept von ErzĂ€hlen konfrontiert ist. DarĂŒber hinaus integriert der Text in eigener und kreativer Weise selbst Elemente des magischen Realismus. Hierdurch wird nicht nur das rein rationale Denken Humboldts und Gauß’ abgelehnt, sondern auch eine Hinwendung zum ErzĂ€hlen gefordert.

 

4.2    Parodie: Die Vermessung und der historische Roman

Wie eingangs festgehalten wurde, ist die Definition von Parodie epochenspezifisch. Gleichwohl geht es bei der Parodie stets um eine Auseinandersetzung mit literarischen Konventionen, die, um wirken zu können, beim Leser als bekannt vorausgesetzt werden. Hierbei wird eine implizite Kommunikation zwischen dem ErzĂ€hler und dem Leser geschaffen, bei der zumeist eine kritische Auseinandersetzung mit eben diesen literarischen Konventionen auf Seiten des ErzĂ€hlers suggeriert wird und letztlich beim Leser erfolgen soll. FĂŒr Hutcheon ist Parodie „one of the major forms of modern self-reflexivity; it is a form of inter-art discourse.“[126] BegrĂŒndet liegt das darin, dass diese „[i]n ihrer literarischen AusprĂ€gung [
] auf Gattungen, Redeweisen, Stile und deren Rezeption [reagiert].“[127] Vor allem fĂŒr die Metafiktion ist Parodie besonders wichtig: Indem in der Parodie auf bereits bestehende literarische Traditionen referiert wird, diese aber aus einer kritischen Distanz betrachtet werden, kann hierin das Potential fĂŒr eine Weiterentwicklung liegen. Parodie fungiert als

a method of inscribing continuity while permitting critical distance. It can, indeed, function as a conservative force in both retaining and mocking other aesthetic forms; but it is also capable of transformative power in creating new syntheses, as the Russ[i]an formalists argued.[128]

Dabei „steht die Referenz auf fiktionale Texte [
], nicht der Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit [im Vordergrund]“ (MR 42). In der Vermessung findet die Parodie in der Auseinandersetzung mit verschiedenen literarischen Gattungen statt. Dabei steht vor allem der historische Roman im Fokus. BegrĂŒndet ist das vor allem in der genauen zeitlichen Verortung und der Wahl der Figuren – Gauß, Humboldt, Goethe, Georg Forster, La Mettrie und andere –, deren Namen historischen Persönlichkeiten der vornehmlich deutschen Geschichte entliehen sind. Der historische Roman wird zunĂ€chst definiert als „Romantypus, in dem eine (partiell) fiktive Handlung als Teil eines als Geschichte bekannten Geschehens erzĂ€hlt wird“[129], Fakt und Fiktion werden also grundsĂ€tzlich vermischt. Dabei gilt: „Die Imaginationslizenz der literarischen Fiktion gilt nur eingeschrĂ€nkt; Änderungen historischer Fakten und fiktive ErgĂ€nzungen dĂŒrfen nicht mit dem historischen Wissen der Rezipienten kollidieren, es sei denn, dass ein Verfremdungseffekt erzielt werden soll.“[130] Im historischen Roman wird also historisches Wissen des Rezipienten abgerufen und vor diesem Hintergrund eine (partiell) fiktive Handlung entfaltet, wobei in dieser die historischen Daten in der Regel nicht zu stark verĂ€ndert sind. Aust argumentiert:

‚Historisches ErzĂ€hlen‘ bedeutet, Geschichten zu erzĂ€hlen, die wiederum erkennbare Geschichte voraussetzen. Es stellt dar, was bereits geschehen ist (genauer: was bereits als geschehen mitgeteilt wurde), es berichtet, was trotz Geschichtswissens unbekannt geblieben oder sich nur verderbt erhalten hat, erinnert einerseits an Bedeutendes, andererseits an Vergessenes oder VerdrĂ€ngtes und vergegenwĂ€rtigt, was grundsĂ€tzlich abwesend bleibt, weil es bereits ‚gewesen‘ ist. Hinter diesen erzĂ€hlerischen Aufgaben stehen verschiedene Interessen und Absichten, und demnach unterscheiden sich auch die angewandten Mittel.[131]

Erkennbare Geschichte ist also ein Merkmal des historischen ErzĂ€hlens. Mit einem Hinweis auf die diversen Erscheinungsformen des historischen Romans, wie sie beispielsweise von NĂŒnning kategorisiert worden sind, erklĂ€rt Scholz allerdings: „Die gegenwĂ€rtige Forschung behandelt den historischen Roman [
] kaum noch als homogenes Genre.“[132] In der Forschung zur Vermessung gehen die Meinungen darĂŒber, ob es sich bei dem Roman um einen historischen Roman handelt, auseinander. WĂ€hrend einige Forscher die ErzĂ€hlung eindeutig als (postmodernen) historischen Roman klassifizieren,[133] argumentieren andere, der Roman spiele lediglich mit den Konventionen des Genres.[134] ZunĂ€chst ordnen nur die singulĂ€r explizit genannte Jahreszahl 1828 zu Beginn der ErzĂ€hlung, vor allem aber die Figuren, die historischen Persönlichkeiten der Zeit nachempfunden sind, das Geschehen in einen historischen Kontext ein. Die Figuren sind durchaus keine Randfiguren, vielmehr sind es bekannte Persönlichkeiten der ĂŒberwiegend deutschen Geschichte, insofern ist hier ein geschichtlicher Bezug unzweifelhaft erkennbar. Es kann davon ausgegangen werden, dass dem Rezipienten zumindest der Großteil der Namen gelĂ€ufig ist. In Bezug auf die Ereignisse jedoch verhĂ€lt es sich nicht mehr ganz so eindeutig: Es ist offen und durchaus fraglich, ĂŒber wie viel Kenntnis der Rezipient ĂŒber die Ereignisse in Humboldts und Gauß’ Leben und ĂŒber deren wissenschaftlichen Leistungen verfĂŒgt. Vielmehr wird ein historischer Kontext aufgerufen, eine Zeit des Umbruchs, der Entwicklung, vor dem einerseits das VerhĂ€ltnis von Fiktion und RealitĂ€t, andererseits die ReprĂ€sentation von und der Umgang mit Geschichte ausgelotet wird. Kaiser argumentiert, Kehlmanns

VerhĂ€ltnis zur Geschichte ist dialektisch. Kehlmann erfindet seine Figuren, aber aus exakten historischen Daten; es sind seine Gestalten, welche die Namen Humboldt, Gauß, Goethe usw. fĂŒhren. Trotzdem verschĂ€rft er durch Selektion und Stilisierung des gegebenen Materials die historische Signifikanz [
]. Dabei fĂŒhrt Kehlmann im Zuge seiner ErzĂ€hlung noch eine dritte Weise der Welterschließung vor, die dichterische, die sich nicht in einer Hauptfigur darstellt, sondern als Medium fungiert, in dem sich alles bewegt. [
] WĂ€hrend die Romanhandlung den epochalen Wandel zur Geltung bringt, triumphiert hinterrĂŒcks die Überlebenskraft des poetischen ErzĂ€hlens [
].[135]

Wie die Forschung zur Vermessung verdeutlicht, ruft der Roman unweigerlich die Frage nach dem Genre und der Zuordnung auf. Dabei vermisst er das Wissen der Leser, und die Grenze zwischen Fakt und Fiktion bleibt verwischt. Bereits beim ersten Aufschlagen des Buchs scheinen die Lesererwartungen enttĂ€uscht, oder der Leser wenigstens irritiert zurĂŒckgelassen zu werden: ZunĂ€chst lassen der Titel, sowie die Markierung als Roman, keine Vermutungen auf einen historischen Roman zu. Ist von Seiten des Rezipienten also ein fiktionales Werk zu erwarten, ruft der erste Absatz des Romans zunĂ€chst die Konventionen des historischen Romans auf, mit denen jedoch letztlich gespielt wird. Passagen, in denen AuszĂŒge aus Briefen entweder zitiert (vgl. V 265f.) oder in indirekter Rede wiedergegeben werden (vgl. V 163ff.), dienen jedoch nicht Untermauerung von Fakten. Da sie fiktiv sind, ebenso wie der gesamte Roman, dienen sie vielmehr der AuthentizitĂ€tssteigerung des ErzĂ€hlers, der Ausgestaltung der Figuren, aber auch der Verunsicherung des Lesers. „Ob wir uns wiedersehen oder nicht, jetzt sind es wieder, wie im Grunde immer schon, nur wir beide“ (V 265) – wiederum sind es die fehlenden verba dicendi, durch die sich der Rezipient einen Moment lang persönlich angesprochen fĂŒhlen kann. Historische Ereignisse spielen also, um es mit GerstenbrĂ€un zu sagen, eine „absolut untergeordnete Rolle“[136]. Vor allem aber durch den faktisch-sachlichen Ton zu Beginn der Vermessung, der nur durch das Adjektiv „grĂ¶ĂŸte“ an ObjektivitĂ€t einbĂŒĂŸt, wird vielmehr die ReprĂ€sentation von Wissen und Geschichte infrage gestellt. Die kritische Auseinandersetzung mit den literarischen Konventionen des historischen Romans wirft eben diese Frage auf; was die Vermessung suggeriert, ist nicht nur eine UnzuverlĂ€ssigkeit der menschlichen Wahrnehmung, sondern auch ein notwendiges Hinterfragen des Wissens jedes Einzelnen. So verlĂ€sst sich Humboldt zwingend darauf, dass das, was er zu wissen glaubt, auch tatsĂ€chlich wahr sein muss: „Menschen flögen nicht, sagte Humboldt. Selbst wenn er es sĂ€he, wĂŒrde er es nicht glauben. Und das sei dann Wissenschaft? Ja, sagte Humboldt, genau das sei Wissenschaft.“ (V 138)

TatsĂ€chlich weigert sich Humboldt mehrfach, Gegebenheiten, die seinem rationalen Wissen widersprechen, als ‚wahr‘ anzuerkennen. Besonders deutlich wird das in seinen TagebucheintrĂ€gen. Auf der Schiffsreise nach Teneriffa sichtet die Schiffsbesatzung ein Seeungeheuer, „ein Schlangenweib [
] mit im Fernrohr deutlich erkennbaren Edelsteinaugen“ (V 45), doch Humboldt „beschloß, nichts darĂŒber aufzuschreiben“ (V 45). Was fĂŒr Humboldt rational nicht zu erklĂ€ren ist, verschweigt er.

Wenngleich der Roman nicht primÀr darauf abzielt, mit den Konventionen des Tagebuchs zu spielen, so werden diese doch am Rande reflektiert. Dem Metzler Lexikon Literatur zufolge ist das Tagebuch eine

Form der Selbstthematisierung bzw. der Aufzeichnung eigener Erlebnisse, Erfahrungen und Gedanken, deren grundlegende Struktureinheit der ‚Tag‘ ist. – [
] Strukturprinzip ist die (selten lĂŒckenlose) chronologische Reihung einzelner, je aus einer subjektiven, momentanen Sicht heraus verfassten EintrĂ€ge. Praxis und Gegenstand des Tagebuch-Schreibens variieren erheblich [
]. [
] Der Roman nutzt die Form des fingierten Tagebuchs, sei es als ErzĂ€hleinlage [
] oder als strukturell bestimmendes Moment [
].[137]

Das Tagebuch ist also eigentlich ein Medium zur Fixierung des Subjektiven und Momentanen. Humboldt jedoch entscheidet sich bewusst gegen das Festhalten des Momentanen und dafĂŒr, es als Medium der beinahe heroischen Selbstdarstellung zu nutzen. Dabei lĂ€sst der ErzĂ€hler erahnen, dass die EintrĂ€ge Humboldts, der schließlich als Gesandter Goethes unterwegs ist, fast poetisch anmuten:

Zum GlĂŒck, schrieb er in sein Tagebuch, sei er niemals seekrank. Dann mußte er sich ĂŒbergeben. Auch das war eine Willensfrage! Mit Ă€ußerster Konzentration, und nur manchmal unterbrechend, um sich ĂŒber die Reling zu beugen, schrieb er drei Seiten ĂŒber das GefĂŒhl des Aufbruchs, die ĂŒbers Meer sinkende Nacht und die im Dunkel verschwindenden KĂŒstenlichter. (V 44f.)

Damit verbunden sind andere Bedenken Humboldts, die vor allem seinen Ruhm betreffen:

Nach einigen Stunden entdeckte Humboldt, daß sich Flöhe in die Haut seiner Zehen gegraben hatten. [
]

Pulex penetrans, der gewöhnliche Sandfloh. Er werde ihn beschreiben, aber nicht einmal im Tagebuch werde er andeuten, daß er selbst befallen worden sei.

Daran sei doch nichts Schlimmes, sagte Bonpland.

Er habe, sagte Humboldt, viel ĂŒber die Regeln des Ruhmes nachgedacht. Einen Mann, von dem bekannt sei, daß unter seinen ZehennĂ€geln Flöhe gelebt hĂ€tten, nehme keiner mehr ernst. Ganz gleich, was er sonst geleistet habe. (V 111f.)

Ruhm und Wissenschaft bestimmen Humboldts Leben so, dass er nicht einmal im Tagebuch die tatsĂ€chlichen Erlebnisse festhĂ€lt. Verwandt mit dem Tagebuch ist der Reisebericht, der in diversen Formen vorliegen kann. Etwa als Tagebucheintrag, Brief, -sammlung, Gedicht oder auch als Teil einer Autobiografie kann er sich „durch unterschiedliche Grade an LiterarizitĂ€t auszeichnen“[138], aber mit ihm verbindet sich jedoch zumeist ein AuthentizitĂ€tsanspruch und er reflektiert gleichzeitig eher die MentalitĂ€t und Deutungen des Eigenen mehr als die des Fremden.[139] Humboldts TagebucheintrĂ€ge fungieren ĂŒberwiegend als Reiseberichte. Diese sind allerdings wenig authentisch – stattdessen wird hier auf die SubjektivitĂ€t und SelektivitĂ€t der EintrĂ€ge verwiesen und deutlich, dass die RealitĂ€t, oder zumindest das, was als RealitĂ€t, als geschehen prĂ€sentiert wird, lediglich konstruiert wird. Somit wird der Bogen zum historischen Roman gespannt, da wiederum Geschichte und Geschichtsschreibung, sowie die Funktionsweise und Konstruktion des kollektiven GedĂ€chtnisses reflektiert werden, aber auch, da TagebucheintrĂ€ge durchaus als Quellen der Geschichtswissenschaft genutzt werden. Auch der Historiker „arbeitet [
] auf der Grundlage von Texten“, denn „[s]chließlich entsteht die Geschichtswissenschaft als kollektives Unternehmen der Historiker erst durch den Austausch von Texten (zumeist publizierten, daneben auch gesprochenen).“[140] Somit, argumentiert Scholz, verwandelt sich so aber auch

[d]ie traditionelle Geschichtsschreibung, die sich als strikt mimetisch versteht, [
] zurĂŒck in einen konstruktiven Akt, der keine ewigen Wahrheiten ans Licht fördert, sondern Geschichten aus den Materialien der eigenen Gegenwart bastelt, denen der geschulte Beobachter die Signatur des Autors und seiner Zeit ebenso ansieht wie den Bauwerken ihre Architekten und Entstehungsdaten.[141]

Das zeigt aber auch, dass „Geschichtsschreibung nicht nur aus Fakten besteht“[142]. Auch diese Erkenntnis vermittelt der Roman.

Da in der Vermessung vorrangig die Ereignisse im Leben der Figuren Gauß und Humboldt erzĂ€hlt werden, weist die ErzĂ€hlung auch eine NĂ€he zum biografischen Roman auf. Wiederum wird dies zunĂ€chst nicht durch den Titel markiert, sondern durch den Verlauf der ErzĂ€hlung, in dem aus den Leben der Forscher erzĂ€hlt wird. Die Figuren erhalten dabei jedoch keine besondere psychische Tiefe. Der biografische Roman wird dem Metzler Literatur Lexikon zufolge verstanden als

1. ErzĂ€hlung des Lebens einer historischen Persönlichkeit in romanhafter, Ă€sthetisch-fiktionaler Form oder 2. (weniger gebrĂ€uchlich) fiktionale Imitation der Biographie im Sinne einer Lebensbeschreibung eines fiktiven Helden. – In beiderlei Sinne kennzeichnet den biographischen Roman eine eigentĂŒmliche Spannung zwischen faktualen Anteilen bzw. Wahrheitsanspruch der Biographie und Fiktion: Ob eine Figur oder ein Geschehen historisch verbĂŒrgt oder fingiert ist, lĂ€sst sich aus dem Text selbst nicht unbedingt erschließen; gerade diese mögliche Unbestimmtheit der Gattungszugehörigkeit nutzt der biographische Roman bis zur (kalkulierten) IrrefĂŒhrung des Lesers [
]. Im Falle der Transposition einer historischen Persönlichkeit in einen fiktionalen Rahmen ist die ErzĂ€hlung nicht an das Schema der Biographie gebunden und formal variabel. Der biographische Roman kann das Leben anschaulicher gestalten, die Hauptfigur als ReprĂ€sentanten einer bestimmten Epoche, Kunstrichtung oder sozialen Lage herausstellen; er kann ĂŒber die Grenzen des biographisch Rekonstruierbaren hinausgehen und das psychische Innenleben der Figur ausmalen, ihr Handeln aus der psychischen Struktur ableiten, alternative Geschehen durchspielen und ĂŒber die Möglichkeiten von Biographie reflektieren.[143]

Die Vermessung ist weniger eine Lebensbeschreibung eines fiktiven Helden, vielmehr weist sie eine große NĂ€he zu ersterer Art des biografischen Romans auf. Auch die Vermessung kennzeichnet, wie bereits festgehalten, eine Spannung zwischen Fakt und Fiktion. Humboldt und Gauß reprĂ€sentieren dabei ihre Epoche und dienen als Figuren dazu, die Möglichkeiten des Romans gegenĂŒber anderen Gattungen herauszustellen.

 

4.3    Ironie: Vom Deutschsein

Wie sich in der Betrachtung der theoretischen Grundlagen bereits abgezeichnet hat, ist Ironie ein wichtiges Mittel fĂŒr die Metafiktion. FĂŒr White, so stellt Behler heraus, ist Ironie neben Metapher, Metonymie und Synekdoche Merkmal metahistorischer Strukturen historischer Werke und „bestimmt [
] die historische Sehweise der AufklĂ€rer“[144]. Das Ziel postmoderner Ironie ist, wie Scholz festhĂ€lt, „das Anspielen und gegeneinander Ausspielen zweier widerstreitender Themen oder Prinzipien.“[145]

Bereits der Blick auf den Titel als Paratext[146] der ErzĂ€hlung ist ironisch zu verstehen. LĂ€sst sich zunĂ€chst vermuten, die Vermessung der Welt als letztlich abgeschlossenes Projekt könne thematisiert werden, wird nach der LektĂŒre des Romans deutlich: Sie ist es nicht, und kann womöglich auch nicht abgeschlossen werden. Der Titel vermittelt aber auch, dass es um den Zugang zur Welt geht. Etwas vermessen bedeutet schließlich, sich einem Objekt Zugang zu verschaffen, und in der ErzĂ€hlung geht es um nichts weniger als die Welt. Mit ironischer Distanz und unterliegender Kritik werden aber auch diverse Unterfangen der AufklĂ€rung betrachtet. Grabbe erklĂ€rt die Vermessung der Welt zum „Roman ĂŒber ‚das Deutsche‘“[147], bei dem es um eine Aufwertung des BildungsbĂŒrgertums gehe.[148] Eine genaue Untersuchung zeigt jedoch, wie bereits Kavaloski[149] und Ireton[150] argumentieren, dass sich der Roman der AufklĂ€rung gegenĂŒber skeptisch zeigt. Mittels der GegenĂŒberstellung von Natur- und Geisteswissenschaften sowie der episodischen ErzĂ€hlweise und der MetafiktionalitĂ€t des Textes kritisiert dieser gerade dieses BildungsbĂŒrgertum und seine Auffassungen, und fordert den Leser zum kritisch-reflektierten Denken auf, das zu einer Distanzierung gegenĂŒber des BildungsbĂŒrgertums fĂŒhrt.

Auf Figurenebene wird zunĂ€chst das Bestreben der Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, die Welt empirisch zu beschreiben und zu erklĂ€ren, also auszumessen, thematisiert. Wie sich anhand der beiden Hauptfiguren zeigt, bedarf es einer fundierten Ausbildung, um dieses Bestreben zu realisieren. Diese Ausbildung in Kinderjahren trĂ€gt maßgeblich zur IdentitĂ€tsbildung der Forscher bei, wodurch die Fragen nach der IdentitĂ€t, nach Alter ein Merkmal metafiktionaler Werke, aufgeworfen werden. „Das Meer“ beginnt mit einem RĂŒckblick auf Humboldt und seine TĂ€tigkeit als Vermesser: „Er […] hatte […] jeden Fluß, Berg und See auf seinem Weg vermessen“ (V 19). Wird er zunĂ€chst in Chemie, Physik und Mathematik unterrichtet, genießt er spĂ€ter eine Ausweitung seiner Bildung zum „deutsche[n] Mann“ (V 21) und gleichzeitig eine „Herzensbildung“ (V 23) bzw. eine Ausbildung in „sentimentalischer Kultur“ (V 21). Parallel zur ausfĂŒhrlichen Beschreibung des Bildungswegs Humboldts findet auf der Ebene der Figuren zugleich metafiktional eine Vermessung, eine Ausmessung der Bildungselite des 19. Jahrhunderts statt: „Das Meer“ sammelt und systematisiert gleichsam die zentralen und als reprĂ€sentativ geltenden gebildeten EuropĂ€er, nennt ihre Namen, erklĂ€rt sie wenig, und vermisst somit den Bildungshorizont der realen Leserschaft außerhalb der Fiktion.[151] Die Begegnung Humboldts mit der sĂŒdamerikanischen Kultur ist als ein Exempel der Kritik am Expansionsbestreben deutscher Bildung im 19. Jahrhundert zu lesen. Dabei wird vor allem Humboldts PassivitĂ€t in den Vordergrund gerĂŒckt, denn seine ForschungstĂ€tigkeit beschrĂ€nkt sich auf die reine TĂ€tigkeit des Vermessens: „Man wolle wissen, sagte Humboldt, weil man wissen wolle.“ (V 70) Seine TĂ€tigkeit verbleibt kritiklos und unbeteiligt. Humboldt zeigt weder ein ernstes Interesse daran, eine Lösung fĂŒr das Problem der Einheimischen mit den LĂ€usen zu finden, noch fĂŒr die Sklaverei. Ausgehend von seiner Bildung und seinem VerstĂ€ndnis von Freiheit, kauft Humboldt zwar drei MĂ€nner auf dem Sklavenmarkt und lĂ€sst sie frei – diese jedoch „begriffen nicht.“ (V 70) Diese Reaktion stĂ¶ĂŸt schließlich auch bei Humboldt selbst auf UnverstĂ€ndnis: „Bei der nĂ€chsten Versteigerung blieben Humboldt und Bonpland zu Hause, arbeiteten bei geschlossenen LĂ€den und gingen erst hinaus, als es vorbei war.“ (V 71)

Selbstironisch reflektiert der Roman auch das VerhĂ€ltnis von Literatur und Naturwissenschaften. Zuerst spiegelt sich das im Gegensatz von Humboldt und seinem Ă€lteren Bruder. WĂ€hrend sich Humboldt den Naturwissenschaften widmet, beschĂ€ftigt sich sein Bruder mit Literatur und den schönen KĂŒnsten:

Sein Bruder, sagte Humboldt, habe erst kĂŒrzlich eine tiefsinnige Studie ĂŒber Schiller verfaßt. Ihm selbst habe Literatur ja nie viel gesagt. BĂŒcher ohne Zahlen beunruhigten ihn. Im Theater habe er sich stets gelangweilt. Ganz richtig, rief Gauß. KĂŒnstler vergĂ€ĂŸen zu leicht ihre Aufgabe: das Vorzeigen dessen, was sei. KĂŒnstler hielten Abweichungen fĂŒr eine StĂ€rke, aber Erfundenes verwirre die Menschen, Sitiliserung verfĂ€lsche die Welt. BĂŒhnenbilder etwa, die nicht verbergen wollten, daß sie aus Pappe seien, englische GemĂ€lde, deren Hintergrund in Ölsauce verschwimmen, Romane, die sich in LĂŒgenmĂ€rchen verlören, weil der Verfasser seine Flausen an die Namen geschichtlicher Personen binde. Abscheulich, sagte Gauß. (V 221)

An dieser Stelle wird das VerhĂ€ltnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ausgelotet. Vermessen werden hier die Möglichkeiten der beiden Wissenschaften, und ausgemessen wird der Handlungsraum von Literatur. Die MetafiktionalitĂ€t dieser Stelle betont die Ironie, denn der Roman macht genau das, was kritisiert wird. In diesem Sinne wird die Fiktion jedoch ĂŒber die Empirie erhoben, bzw. aufgezeigt, dass die Empirie alleine nicht fĂŒr ein möglichst umfassendes VerstĂ€ndnis von Geschichte oder RealitĂ€t ausreichend ist. Vor allem aber fehlt den Hauptfiguren ein VerstĂ€ndnis dafĂŒr, in welchem Sinne KĂŒnstler doch aufzeigen, was ist. Denn das, so zeigt der Text, ist eine der herausragenden QualitĂ€ten von Literatur: Die Fiktion schafft Welten, die mittels eigener Gesetze und auf symbolische Weise zeigen, was ist. Auch an anderer Stelle wird die Figur Gauß zum Mittler metafiktionaler Kommentare:

Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel fĂŒr die erbĂ€rmliche ZufĂ€lligkeit der Existenz, daß man in einer bestimmten Zeit geboren und in ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einen zum Clown der Zukunft. Eugen nickte schlĂ€frig. Sogar ein Verstand wie der seine, sagte Gauß, hĂ€tte in frĂŒhen Menschheitsalter oder an den Ufern des Orinoko nichts zu leisten vermocht, wohingegen jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich ĂŒber ihn lustig machen und absurden Unsinn ĂŒber seine Person erfinden könne. Er ĂŒberlegte, nannte Eugen noch einmal einen Versager und widmete sich dem Buch. (V 9)

Der Schriftsteller wird bei Gauß zum Dummkopf. Aber gerade Literatur vermag, was Naturwissenschaften nicht können: Ihre eigene Welten schaffen und imaginieren, wie es war oder hĂ€tte sein können. Welche Wirkkraft und Notwendigkeit Literatur und ErzĂ€hlen haben, wird spĂ€ter noch einmal deutlich: „Erfundene Geschichten aufzuschreiben sei in allen Kolonien verboten. Aber die Leute seien hartnĂ€ckig, und auch die heilige Macht der Kirche kenne Grenzen. Es liege am Land.“ (V 114) Hier, im Ausland, wird die Abneigung gegen Literatur im Verbot radikalisiert und die ‚Macht‘ der Religion, der Kirche infrage gestellt. Den Figuren scheint nicht nahezuliegen, dass die Wirkkraft des ErzĂ€hlens ein universelles PhĂ€nomen ist. Stattdessen wird das Heimatland als das ‚Überlegene‘ dargestellt – was durch den Roman selbst ironisiert wird. An anderer Stelle wird Humboldt wiederum als Medium fĂŒr einen metafiktionalen Kommentar genutzt:

Das Werk heiße Über Gunkel, handle von nichts und komme ĂŒberhaupt nicht voran. Das Romanschreiben, sagte Humboldt, erscheine ihm als Königsweg, um das FlĂŒchtigste der Gegenwart fĂŒr die Zukunft festzuhalten. […] Somit sei es ein albernes Unterfangen, wenn ein Autor, wie es jetzt Mode werde, eine schon entrĂŒckte Vergangenheit zum Schauplatz wĂ€hle. (V 27)

An dieser Stelle verweist der Text auf sein eigenes Verfahren, die Biografien historischer Persönlichkeiten fiktional zu bearbeiten, und darĂŒber hinaus einen Schauplatz zu wĂ€hlen, der in der Vergangenheit liegt. Das Verfahren ist, wie der Text andeutet, durchaus nicht neu. Der Roman nutzt dieses jedoch, um die beiden Wissenschaften gegenĂŒberzustellen und so Kritik am Abbild der Bildung zu ĂŒben. Geistes- und Naturwissenschaften, Denken und Vermessen, sind hier exemplarisch nicht mehr getrennt, sondern werden im Roman zusammengefĂŒhrt, zusammengedacht, und als neuer Weg zum umfassenden VerstĂ€ndnis von Geschichte und der Welt prĂ€sentiert.

Explizit um Geschichte und Literatur geht es im Kapitel „Der Lehrer“, in dem Gauß zu Herzog von Braunschweig geschickt wird. Es heißt dort:

Er wußte, daß es bald keine Herzöge mehr geben wĂŒrde. Dann wĂŒrde man von absoluten Herrschern nur in BĂŒchern lesen, und der Gedanke, vor einem zu stehen, sich zu verneigen und auf sein Machtwort zu warten, kĂ€me jedem Menschen fremd und mĂ€rchenhaft vor. (V 61)

Die fehlenden verba dicendi, auf die bereits hingewiesen worden ist, sowie die indirekte Rede lassen erneut nicht erkennen, ob es sich hierbei um die Gedanken oder Worte von Gauß oder um die des ErzĂ€hlers handelt. Aus faktualen Gegebenheiten werden also im ersten Schritt, in der Geschichtsschreibung, nicht-fiktionale literarische Erzeugnisse, im zweiten Schritt jedoch, so zeigt der Roman, werden sie zum Teil einer Imagination. Das kollektive kulturelle GedĂ€chtnis wird aufgebaut innerhalb der Geschichtsschreibung, aber vor allem in Romanen verarbeitet.

Solche textuellen Unsicherheiten sowie die kurzen KapitelĂŒberschriften durchbrechen wiederholt die literarische Fiktion. Sie spiegeln und dokumentieren gleichsam den Drang, Dinge zu bezeichnen, zu systematisieren, zu ordnen. Dieser Drang zum Bezeichnen erweist sich als Ironisierung des Abmessens als Notwendigkeit, um Geschichte verstehen zu können. Mit der alleinigen Bezeichnung ist jedoch noch kein VerstĂ€ndnis gewonnen. „Die Sterne“ als KapitelĂŒberschrift beispielsweise bezeichnet zwar alles Folgende. FĂŒr ein umfassendes und detaillierteres VerstĂ€ndnis der erzĂ€hlten Geschichte erweist sich diese Sammlung von Bezeichnungen als lĂ€ngst nicht ausreichend. In diesem Sinne ist auch die einmalige Nennung einer konkret-nachvollziehbaren Jahreszahl zu verstehen: Indem der Text im Konkreten beginnt und sich von hier aus ins Vage, Unkonkrete, Abstrakte und Fiktive entfaltet, zeigt der Text auf, dass nicht nur eine Art der Geschichtsschreibung existiert. Stattdessen findet sie auf verschiedenen Graden, Wegen und mit diversen Mitteln statt. Es wird hier ein alternatives GeschichtsverstĂ€ndnis verhandelt: Messen als reines Ver-Messen wird als nicht (mehr) aktuell kritisiert, als nicht mehr ausreichend. Messen, oder auch ganz einfach Geschichte schreiben, wie sie historischen Dokumenten zufolge ist bzw. gewesen sei, ist nur ein kleiner Teil der Geschichtsschreibung. Insofern als der andere Teil Fiktion sein muss, muss auch das GeschichtsverstĂ€ndnis erweitert werden. Der Text stellt auf metafiktionaler Ebene die Arbeitsweisen verschiedener Jahrhunderte gegenĂŒber.

Wer den Professor nach frĂŒhen Erinnerungen fragte, bekam zur Antwort, daß es so etwas nicht gebe. Erinnerungen seien, anders als Kupferstiche oder Postsendungen, undatiert. Man finde Dinge in seinem GedĂ€chtnis vor, welche man manchmal durch Überlegung in die richtige Reihenfolge bringen könne. (V 53)

Geschichte besteht also aus zwei Komponenten. Zu einem Teil aus nicht-fiktionalen Texten, die durch das datierte Festhalten von ‚Fakten‘ an die Wahrheit annĂ€hern wollen. Den anderen Teil machen die undatierten, mehr oder minder vagen fiktionalen Erinnerungen und Imaginationen aus, die einen anderen Zugang zur Wahrheit eröffnen.

„Das Meer“ erzĂ€hlt von Humboldts Werdegang und Erziehung, bevor er „in ganz Europa berĂŒhmt“ (V 19) geworden war. Seine Erziehung und die seines Bruders werden nach dem unverstĂ€ndlichen Ratschlag Goethes von Kunth entschieden:

Er meinte zu begreifen, sagte Kunth schließlich, es handle sich um ein Experiment. Der eine solle zum Mann der Kultur ausgebildet werden, der andere zum Mann der Wissenschaft. Und welcher wozu? Kunth ĂŒberlegte. Dann zuckte er die Schultern und schlug vor, eine MĂŒnze zu werfen. (V 20)

Der Bildungsweg der BrĂŒder wird also nicht aufgrund der FĂ€higkeiten entschieden, sondern erweist sich als völlig willkĂŒrlich ausgesucht. Anstatt die BrĂŒder umfassend auszubilden, entscheidet der Zufall, ausgedrĂŒckt im MĂŒnzwerfen. Die „Vielfalt der menschlichen Bestrebungen“ (V 19), die Goethe zufolge in ihnen angelegt ist, wird und kann nicht vollstĂ€ndig ausgebildet werden, stattdessen werden feste Bildungswege festgelegt. Der Text lĂ€sst es dabei jedoch offen, ob sich die Neigungen, die die BrĂŒder zeigen – „Alexander […] strich […] durch die WĂ€lder, sammelte KĂ€fer und ordnete sie nach selbsterdachten Systemen“, „[d]er Ă€ltere Bruder […] konnte reden wie ein Dichter“ (V 20) – aus einem inneren BedĂŒrfnis entstanden oder ob ihre Ausbildung sie bedingt. Erziehung ist also kein ‚Vermessen‘ der Neigungen und FĂ€higkeiten der Kinder, sondern ein potenzieller Irrtum. Das Bildungsexperiment an Humboldt wird schnell zur Ausbildung zum „deutsche[n] Mann“ (V 21), und letztlich zum Projekt, seinem Bruder zu beweisen, er wĂŒrde in bisher unerforschte Gegenden der Welt reisen können. Es zeigt sich, dass Humboldt vor allem in der „Herzensbildung“ bzw. der Ausbildung in „sentimentalischer Kultur“ (V 21), die Kunth als Notwendigkeit einer vollstĂ€ndigen Ausbildung ansieht, scheitert. Nicht nur waren „

[w]

ie erwartet […] die Briefe des Ă€lteren Bruders die besseren“ (V 23), Humboldt begeht einen weiteren Faux pas, indem er der jungen Frau Henriette Herz das Buch L’homme machine von La Mettrie schenkt, denn: „Dieses Werk sei verboten, ein verabscheuungswĂŒrdiges Pamphlet.“ (V 23) Welche Wichtigkeit das Buch fĂŒr ihn hat, zeigt sich im Folgenden, wenn Humboldt seinem Bruder erklĂ€rt, das Buch sei bemerkenswert.

[D]er Mensch sei eine Maschine, ein automatisch agierendes Gestell von höchster Kunstfertigkeit. […] Mit Seele. Mit Ahnungen und poetischem GespĂŒr fĂŒr Weite und Schönheit. Doch sei diese Seele selbst nur ein Teil, wenn auch der komplizierteste der Maschinerie. Und er frage sich, ob das nicht der Wahrheit entspreche. (V 23f.)

Diese Passage verweist auf seine eigene EntscheidungsfĂ€higkeit und (partiellen) Entscheidungsfreiheit, zu der er erst spĂ€ter gelangt: „Er wolle das Leben erforschen, die seltsame HartnĂ€ckigkeit verstehen, mit der es den Globus umspanne.“ (V 26) Humboldt ist von Ehrgeiz getrieben, seine EntscheidungsfĂ€higkeit wird jedoch noch immer von Kunth unterbunden. Humboldt verfasst zwar schon schnell seine erste Schrift, sie sei jedoch „noch nicht gut genug, um unter dem Namen Humboldt gedruckt zu werden.“ (V 27) Dabei ist es die spezifische ErzĂ€hlweise des ErzĂ€hlers, durch die bereits auf den ersten Seiten Kritik an dieser Art der Ausbildung deutlich wird. Humboldt setzt sich zwar gegen Kunth durch, indem er in Frankfurt nicht wie geplant Kameralistik studiert, aber die Beschreibung von Humboldts Ungeschicklichkeit in der Gesellschaft gibt eine gewisse LĂ€cherlichkeit des Bildungsprojekts preis. Schließlich erlangt Humboldt zwar Ruhm, findet aber weder Freunde, noch hat er Interesse an der Ehe (vgl. V 30). Bis zum Ende widmet sich Humboldt ausschließlich seiner Arbeit – sein soziales Funktionieren in der Gesellschaft wird infrage gestellt. Im Gegensatz zur ausfĂŒhrlichen Schilderung von Humboldts Bildungsgang, geht es im Kapitel „Der Lehrer“ hauptsĂ€chlich um die Beziehung Gauß’ zu seinen Eltern. Die Definition eines Deutschen beschrĂ€nkt sich den Worten seines Vaters zufolge darauf, nie krumm zu sitzen (vgl. V 54). Daneben wurde Gauß von seinem sadistischen Lehrer weder gefördert noch in irgendeiner Weise ausgebildet. Das Genie von Gauß wird als ein NatĂŒrliches dargestellt, das keiner so umfassenden Bildung gebrauchte wie die Humboldts, und sogar von der öffentlichen Bildungsanstalt zunĂ€chst infrage gestellt wird. Hier wird jedoch wieder auf den Gedanken der menschlichen Maschine referiert, denn Gauß versteht die TrĂ€gheit anderer Leute nicht: „Als wĂŒrden Gedanken von einer Maschine hervorgebracht, die man zuvor anwerfen und in Gang kurbeln mußte, als wĂ€ren sie nicht lebendig und bewegten sich von selbst.“ (V 54) Hier treffen zwei verschiedene Bilder von Bildung und dem Menschen aufeinander: WĂ€hrend Humboldt den Gedanken vom Menschen als Maschine als fortschrittlich gepriesen hatte, erkennt Gauß ihn als trĂ€ge, als rĂŒckstĂ€ndig an. In der negativ gefĂ€rbten Darstellung Gauß’ wird jedoch auch die Kritik am Menschen, nicht denken zu wollen (vgl. V 55) ironisiert. WĂ€hrend der geschulte und gut ausgebildete Humboldt die Welt bereist und vermisst, widmet sich Gauß dem Denken, wofĂŒr die breite Masse zu trĂ€ge sei. Humboldts Bildungsgang wird dem von Gauß gegenĂŒbergestellt. Gauß’ Sohn Eugen hingegen steht fĂŒr eine neue Generation, die noch am Anfang steht. In Bezug auf den Roman steht sie chronologisch allerdings am Ende, nĂ€mlich im letzten Kapitel der Vermessung. Eugen ist im Gegensatz zu seinem Vater körperlich gesund, trĂ€gt langes Haar, liebt Friedrich Jahns Deutsche Turnkunst (vgl. V 8), verlĂ€sst aber letztlich Deutschland in Richtung England, Teneriffa und schließlich Amerika. Auf der FĂ€hre prophezeit der Ausspruch des KapitĂ€ns eine neue Ära: „Also sei, fragte Eugen, die Zeit der großen Navigatoren vorĂŒber? Kein Blight mehr, kein Humboldt? […] Sie sei vorbei, antwortete der KapitĂ€n schließlich, und werde nie wiederkehren.“ (V 299)

Der ErzÀhler spielt wiederholt mit den Lesererwartungen. Zwar ist der Text gekennzeichnet als Roman; was er jedoch fordert, ist das EingestÀndnis des Irrtums derjenigen, die den Text als historischen Roman lesen wollen. Der Roman orientiert sich an historischen Persönlichkeiten und Gegebenheiten, er erhebt jedoch durchaus nicht den Anspruch, historisch korrekt zu sein oder einen objektiven Wahrheitsgehalt zu besitzen. Kritisiert und herausgefordert wird hier ein veraltetes VerstÀndnis von Literatur und Geschichte. Dem Text nach erweisen sich Geschichte und ihr bisheriges VerstÀndnis als Illusion (vgl. V 59).

Auf metafiktionaler Ebene kann der ErzĂ€hler als gleichsam vermessen bezeichnet werden. Konsequent stellt er die beiden Hauptfiguren gegenĂŒber, und gibt Gauß an wenigstens einer Passage die vorrangige Stellung. WĂ€hrend Humboldt von La Mettries Idee des Menschen als Maschine begeistert ist, betont der ErzĂ€hler eine gewisse LĂ€cherlichkeit dieses Glaubens auf zwei Arten. „Der Autor behaupte ernstlich, der Mensch sei eine Maschine“ (V 23): Zum einen markiert das Wort ‚ernstlich‘ hier eine NaivitĂ€t, zum anderen referiert spĂ€ter auch Gauß darauf, als er den Gedanken des Menschen als Maschine aufgreift und ihn als rĂŒckstĂ€ndig, trĂ€ge, nachteilig erkennt.

Der ErzĂ€hler vermisst auch, wie anfĂ€nglich beschrieben, den Bildungshorizont des Lesers. Er fordert diesen zugleich heraus, indem er stereotype Bilder der großen Bildungselite des 19. Jahrhunderts aufruft. Der ErzĂ€hler setzt also selbst einerseits fĂŒr ein umfassendes VerstĂ€ndnis des Textes eine entsprechend umfassende Bildung des Lesers voraus. Andererseits zeigt sich, dass der Text auch mit gewissen WissenslĂŒcken verstĂ€ndlich ist. Die episodische ErzĂ€hlweise ist als weiteres Zeichen fĂŒr ein neues VerstĂ€ndnis von Geschichte zu verstehen. Abwechselnd und lediglich episodisch handelt der Text vom Leben Humboldts und Gauß’, spart große Teile aus, widmet sich hingegen BruchstĂŒcken der Leben der MĂ€nner in grĂ¶ĂŸerem Umfang. Durch diese Episoden wird vorgefĂŒhrt, dass es sich beim Roman nicht um ein historisches Dokument handelt. Vor allem das fast vollstĂ€ndige Fehlen von eindeutigen Dialogmarkern und das Reden im Konjunktiv sind wichtige Anzeichen dafĂŒr, nicht alles unbesehen als wahr anzunehmen. Gleichzeitig wird dadurch auch metafiktional das ‚deutsche‘ VerstĂ€ndnis von Bildung herausgefordert und gleichsam einer Kritik unterzogen.

Die Welt soll von mir erfahren. Ich mĂŒĂŸte mich sehr irren, wenn ich ihr gleichgĂŒltig bin. (V 51)

Die Reflexion von Bildung ist stets verbunden mit der Frage nach dem epochenspezifischen GeschichtsverstĂ€ndnis. Die Vermessung der Welt zeigt, dass Schriftsteller und ErzĂ€hler zwangslĂ€ufig in den Prozess der Geschichtsschreibung eingebunden sind. Dabei haben fiktionale Texte jedoch einen anderen Status als nicht-fiktionale Texte und sind somit in einem anderen Maße und mit einem anderen Anspruch an Wahrheit in den Prozess einge-bunden. Es sind imaginierte, mögliche, menschliche Aspekte der Geschichte, die die SubjektivitĂ€t der Geschichte(n) betonen, sowie lediglich eine AnnĂ€herung an Wahrheit. Vor allem vor dem Hintergrund der metafiktionalen Aussagen und Gauß’ Literaturkritik sowie Humboldts Reflexionen ĂŒber Literatur wird das BildungsbĂŒrgertum kritisiert, da ein einseitiges empirisches Ver-Messen von Geschichte und der Welt nicht genĂŒgt. Die Struktur des Textes und der Konjunktiv weisen auf die Unendlichkeit des Möglichen beim ErzĂ€hlen hin, indem mit der Begegnung von Gauß und Humboldt begonnen wird und der Weg dorthin erst danach entfaltet wird. Zugleich werden aber auch die Inhalte der Geschichte bzw. ihre ObjektivitĂ€t infrage gestellt und ironisch vorgefĂŒhrt. Insofern ist der Text eine intellektuelle Herausforderung an den Leser, und das unabhĂ€ngig davon, ob die zahlreichen intertextuellen BezĂŒge erkannt werden.

„Zum GlĂŒck, schrieb er in sein Tagebuch, sei er niemals seekrank. Dann mußte er sich ĂŒbergeben.“ (V 44) Als Medium der Darstellung kann Literatur die Wahrheit, wie das Zitat beweist, komplett verfĂ€lschen, aber auch Legenden produzieren: „jetzt war er eine Legende, sein Buch war weltbekannt“ (V 28). Der Text stellt heraus, dass denjenigen Gebildeten, die in heimatlichen Gefilden bleiben (etwa Gauß oder Goethe und Zeitgenossen), genauso wie den Forschern, die in die weite, in die „Neue Welt“ (V 36) reisen, ein umfassenderes VerstĂ€ndnis von Geschichte und Literatur abgeht. Die Vermessung der Welt zeigt LĂŒcken des BildungsbĂŒrgertums bezĂŒglich einer Weltoffenheit auf und macht sich metafiktional darĂŒber gleichsam lustig, denn es heißt: „Von uns kommen Sie, sagte Goethe, von hier. Unser Botschafter bleiben Sie auch ĂŒberm Meer.“ (V 37) Hierin zeigt sich die Idee, das deutsche Bildungsprojekt zu Beginn einer sich bildenden deutschen Nation in andere LĂ€nder zu tragen. Bezeichnend ist dabei die Reaktion der Salzburger: „Die Einheimischen hielten ihn fĂŒr verrĂŒckt.“ (V 38)

Gleichzeitig wird so auch ‚das Deutsche‘ einer Kritik unterzogen. Als Beispiel hierfĂŒr gelten Humboldts TĂ€tigkeiten im Ausland, wobei er einerseits passiv verbleibt, andererseits kritiklos die deutsche Kultur in die LĂ€nder bringt. Aber auch die vielen intertextuellen BezĂŒge verweisen auf eine literarische Verbundenheit verschiedener LĂ€nder und zerstören so die Fiktion eines genuin Deutschen. Was ironisiert und somit auch kritisiert wird, ist ein Bestreben, ‚ein Deutsches‘ zu schaffen. Dabei symbolisiert das Altern Gauß’ das Altern der Gesellschaft, das Veraltete der Kultur und des Bestrebens, ‚das Deutsche‘ des 19. Jahrhunderts aufrechtzuerhalten. Stattdessen muss die Sicht auf das, was ‚deutsch‘ sein soll, aktualisiert werden. Auch existiert eine objektive Wahrheit nicht. Auf die Spitze getrieben und ironisiert wird diese Erkenntnis im Zusammenhang mit einem neuen GeschichtsverstĂ€ndnis in Abgrenzung zum 19. Jahrhundert mittels der fiktiven Biografien.

Neben der ironischen und kritischen Betrachtung der Erziehung ‚zum Deutschen‘ wird, wie bereits dargelegt, mit den Konventionen des historischen und biografischen Romans gespielt. DarĂŒber hinaus finden sich im Text immer wieder ironische Wendungen, die zu humoristischen Momenten werden. Bittet Humboldt wĂ€hrend des Prozesses der Fotografie zunĂ€chst um „[n]ur einen Augenblick“ (V 15), beweist der Text Humor, wenn er Humboldts VerstĂ€ndnis von der Zeitspanne eines Augenblicks darstellt: „fĂŒnfzehn Minuten etwa, man sei schon recht weit fortgeschritten. Vor kurzem habe es noch viel lĂ€nger gedauert“ (V 15). Analog zu Humboldt wird auch Gauß in ironisch gezeichneten Szenen gezeigt. Wie u. a. Rickes aufzeigt, kann im Grafen von der Ohe zur Ohe eine Gottfigur gesehen werden: Im Kapitel „Der Garten“ kann der Garten selbst als Paradies, und das GesprĂ€ch als „das ironisch verkleinerte JĂŒngste Gericht“[152] gelesen werden, „[d]ie Ironie der Szene liegt darin, dass der atheistische Naturwissenschaftler nicht erkennt, mit wem er spricht.“[153] Letztlich können sicherlich auch die metafiktionalen Kommentaren der Figuren Gauß und Humboldt ironisch gelesen werden, indem sie ein Kommentar zum Verfahren des ErzĂ€hlers selbst sind, und letztlich konsequenterweise auf die mögliche Rezeption des Romans verweisen.

 

5.     Der Leser: „ich bin, was Du nicht sein kannst“

 

We tend to read fiction as if it were history. (M 33)

 

Die dritte Konstituente des literarischen Kommunikationsaktes ist der Leser. Unter ‚dem Leser‘ wird im Folgenden nach Martinez und Scheffel eine neutrale Bezeichnung „fĂŒr eine Rolle“ verstanden, „die auf ganz verschiedene Weise ausgefĂŒllt werden kann“ (EE 85). Leser meint also einen neutralen narrativen Adressat. Der Einbezug des Lesers ist fĂŒr die Betrachtung metafiktionaler Aspekte eines Textes unter anderem deswegen von Bedeutung, da das Lesen „als eine vom Text gelenkte AktivitĂ€t [
] den Verarbeitungsprozeß des Textes als Wirkung auf den Leser zurĂŒck[koppelt].“[154] Das VerstĂ€ndnis von der Rolle des Lesers ist epochenspezifisch, wie Iser herausstellt:

Wurde dem Leser im Roman des 18. Jahrhunderts durch das GesprĂ€ch, das der Autor mit ihm fĂŒhrte, eine explizite Rolle zugewiesen, damit er – bald durch sie, bald gegen sie – je nach der im Text wirksamen Steuerung die menschliche Natur und den Zugang zur Wirklichkeit zu konstituieren vermochte, so schwindet im Roman des 19. Jahrhunderts vielfach eine solche, dem Text eingezeichnete Rollenzuweisung. Statt dessen soll der Leser selbst seine Rolle entdecken, die er stĂ€ndig von den sozialen Normen zugewiesen erhĂ€lt, um dadurch in ein kritisches VerhĂ€ltnis zu den gesellschaftlichen ZwĂ€ngen zu gelangen. Damit aber der Leser diese Rolle entdeckt, darf ihm der Roman selbst keine zuweisen. Folglich komplizieren sich die Textstrategien, da sie nun den Leser ungleich indirekter und verhohlener auf die ihm zugedachte Entdeckung lenken mĂŒssen. Dieser Vorgang kompliziert sich noch einmal im Roman des 20. Jahrhunderts, wo sich die Entdeckung auf das Funktionieren unserer FĂ€higkeiten bezieht. Der Leser soll sich der Art seines Wahrnehmens, der Form seiner passiven Synthesen zum Herstellen von Konsistenz, ja des Funktionierens seiner Reflexion bewußt werden.[155]

In der Vermessung der Welt wird ein impliziter Leser an der „Konkretisierung des Werks“ (MR 57) beteiligt. Wie sich bereits gezeigt hat, verzichtet der ErzĂ€hler nicht von vornherein auf eine Strukturierung des Textes, wodurch die Beziehung von RealitĂ€t und Fiktion als gegeben vorausgesetzt wird und der Text somit bereits potenziell metafiktional sein kann. Im Sinne Zimmermanns handelt es sich bei dem Einsatz von Lesertypen, die direkt angesprochen werden oder die Rolle des Lesers oder Zuhörers einnehmen, um explizite Metafiktion, um implizite Metafiktion handelt es sich, wenn ein implizit in den Text inkorporierter Leser vorliegt. In der Vermessung wird der Leser nicht direkt adressiert, sondern durch den Bruch mit Konventionen oder das Ausmachen der den Text konstituierenden Elemente gefordert, oder seine Erwartungen werden durch verschiedene Strukturen enttĂ€uscht. In der Vermessung wird der Leser auf verschiedene Weise gefordert: Zum einen wird punktuell von der fast durchgĂ€ngig verwendeten indirekten Rede, also vom Konjunktiv, in den Indikativ gewechselt, und durch die fehlenden Markierungen durch Satzzeichen können einige Aussagen im Indikativ so doppelt gelesen werden. Zum anderen werden neben unerwarteten Wendungen auch Lesesituationen und Zukunftsprognosen in die Handlung eingebettet, die mehrfach metafiktional sind. Da die vorliegende Arbeit nicht zum Ziel hat, ‚den‘ Leser zu modellieren und nicht ĂŒberprĂŒfbar ist, ob jeder Leser an denselben Stellen ĂŒber MetafiktionalitĂ€t nachdenkt, wird im Folgenden untersucht, welche Verfahren der Text nutzt, um den Leser einzubinden und um ihn zu fordern, ĂŒber FiktionalitĂ€t und Geschichte zu reflektieren. Dabei stehen also nicht die Wirkungen bei dem einzelnen Leser im Vordergrund, sondern die Verfahren des Textes.

 

5.1    Doppelte Kommunikation

Die ErzĂ€hlung zeichnet sich durch einen fast sachlich-neutralen Ton aus, es finden sich immer wieder aber auch verschiedenste ErzĂ€hlerkommentare, die deutlich wertend sind. Dem Leser wird dabei zunĂ€chst keine explizite Rolle zugewiesen, er wird weder explizit angesprochen noch als Leser oder Zuhörer benannt. Die Vermessung zeichnet sich allerdings auch nicht durch neue und außergewöhnliche Strukturen aus, was eine implizite metafiktionale Strategie wĂ€re. Nichtsdestoweniger wird der Leser einbezogen und gefordert. Ein besonderes stilistisches Merkmal der ErzĂ€hlung ist der seltene Wechsel vom Konjunktiv der indirekten Rede zum Indikativ PrĂ€sens, der es vor allem aufgrund der fehlenden verba dicendi punktuell darauf anlegt, den Leser gleichsam persönlich anzusprechen. Der Wechsel in den Indikativ tritt vermehrt in den Briefen zwischen Humboldt und seinem Bruder auf, aber auch in der GedankenĂŒbertragung von Gauß und Humboldt. Legt der Kontext zwar gewöhnlich nahe, welche Figur spricht, können einige Aussagen jedoch als gleichsam direkte Kommunikation mit dem Leser verstanden werden. Letztlich dienen eben jene Passagen dazu, den Leser kurzzeitig zu irritieren, durchbrechen sicherlich auch bisherige Erwartungen an den Text, die Kommunikation in indirekter Rede stattfinden zu lassen, aber sie regen auch in expliziter Weise dazu an, bestimmte Themen zu reflektieren.

Zum ersten Mal wechselt die indirekte in direkte Rede bereits im zweiten Kapitel, „Das Meer“. Es liegt innerhalb des Rahmens und des RĂŒckblicks auf die Vorgeschichte von Humboldt und Gauß. WĂ€hrend das Kapitel einleitend mit der Kindheit von Humboldt beginnt und die Beziehung zwischen ihm und seinem Bruder thematisiert, erfĂ€hrt der Leser im Laufe des Kapitels von Humboldts Entschluss zu reisen: „Er wisse nun, sagte er zu Kunth, womit er sich befassen wolle. [
] Er wolle das Leben erforschen, die seltsame HartnĂ€ckigkeit verstehen, mit der es den Globus umspanne. Er wolle ihm auf die Schliche kommen!“ (V 26) WĂ€hrend Humboldt bei Wildenow an der UniversitĂ€t in Frankfurt an der Oder studiert, wechselt sein Ă€lterer Bruder an die UniversitĂ€t Göttingen. Nach dem Studium als Assessor beim Berg- und HĂŒttendepartement (vgl. V 31) angestellt, fĂŒhrt er zunĂ€chst nebenbei Versuche an seinem eigenen Körper durch, deren Ergebnis „die Abhandlung ĂŒber die lebendige Muskelfaser als leitenden Substanz“ ist, die „Humboldts wissenschaftlichen Ruf [begrĂŒndete].“ (V 33) Als Reaktion darauf erhĂ€lt Humboldt einen Brief von seinem Bruder aus Jena – warum und wie er nach Jena gekommen ist, lĂ€sst der ErzĂ€hler an dieser Stelle offen:

Er scheine verwirrt zu sein, schrieb sein Bruder aus Jena. Doch möge er bedenken, daß man moralische Verpflichtungen auch dem eigenen Körper gegenĂŒber habe, der doch kein Ding unter Dingen sei; ich bitte Dich, komm! Schiller möchte dich kennenlernen.

Du verkennst mich, antwortete Humboldt. Ich habe herausgefunden, daß der Mensch bereit ist, Unbill zu erfahren, aber viel Erkenntnis entgeht ihm, weil er den Schmerz fĂŒrchtet. Wer sich jedoch zum Schmerz entschließt, begreift Dinge, die er nicht
 Er legte die Feder weg, rieb sich die Schulter und zerknĂŒllte das Blatt. Unsere BrĂŒderlichkeit, begann er von neuem, wieso erscheint sie mir als das eigentliche RĂ€tsel? Daß wir allein sind und verdoppelt, daß Du bist, was ich nicht werden soll, und ich bin, was Du nicht sein kannst, daß wir zu zweit durchs Dasein mĂŒssen, einander, ob wir wollen oder nicht, fĂŒr immer nĂ€her als jedem anderen. Und wieso vermute ich, daß unsere GrĂ¶ĂŸe folgenlos bleiben und, was wir auch vollbringen, dahinschwinden wird, als wĂ€re es nichts, bis unsere gegeneinander gewachsenen Namen, wieder zu einem verschmolzen, verblassen werden? Er stockte, dann zerriß er das Blatt in winzige Fetzen. (V 33f.)

Der Wechsel in den Indikativ PrĂ€sens bewirkt nicht nur eine PrĂ€senz von SubjektivitĂ€t sowie unvermittelte Unmittelbarkeit, die der Text sonst nur durch Zeit- und Lokaladverbien aufweist. Aufgrund der fehlenden AnfĂŒhrungszeichen liegt hierin ein Moment der Verunsicherung des Lesers, da mit „du“ eine direkte Ansprache vorliegt. Somit wird der Leser gleichsam in die Rolle des Adressaten versetzt – obgleich dieser zunĂ€chst der Bruder sein sollte, ist er es doch nicht, da Humboldt „das Blatt [zerknĂŒllte]“, „dann zerriß er das Blatt in winzige Fetzen.“ (V 34) Erst viel spĂ€ter, im fĂŒnfzehnten und somit vorletzen Kapitel, „Die Steppe“, wird dieselbe Thematik in einer lĂ€ngeren Passage vom Bruder selbst erneut aufgegriffen:

Niemand, sagte Humboldt, habe eine Bestimmung. Man entschließe sich nur, eine vorzutĂ€uschen, bis man es irgendwann selbst glaube. Doch so vieles passe nicht dazu, man mĂŒsse sich entsetzliche Gewalt antun.

Der Ältere lehnte sich zurĂŒck und sah ihn lange an. Immer noch die Knaben?

Das hast du gewußt?

Immer.

Lange sprach keiner von ihnen, dann stand Humboldt auf, und sie umarmten einander so förmlich wie stets.

Sehen wir uns wieder?

Sicher. Im Fleische oder im Licht. (V 264)

Daheim lagen zwei Briefe. Einer des Ă€lteren Bruders, der sich fĂŒr Besuch und Beistand bedankte. Ob wir uns wiedersehen oder nicht, jetzt sind es wieder, wie im Grunde immer schon, nur wir beide. Man hat uns frĂŒh eingeschĂ€rft, daß ein Leben Publikum benötigt. Beide meinten wir, das unsere sei die ganze Welt. Nach und nach wurden die Kreise kleiner, und wir mußten begreifen, daß das eigentliche Ziel unserer BemĂŒhungen nicht der Kosmos, sondern bloß der andere war. Deinetwegen wollte ich Minister werden, meinetwegen mußtest Du auf den höchsten Berg und in die Höhlen, fĂŒr Dich habe ich die beste UniversitĂ€t erfunden, fĂŒr mich hast Du SĂŒdamerika entdeckt, und nur Dummköpfen, die nicht verstehen, was ein Leben in Verdoppelung bedeutet, wĂŒrde dafĂŒr das Wort RivalitĂ€t einfallen: Weil es Dich gab, mußte ich Lehrer eines Staates, weil ich existierte, hattest Du der Erforscher eines Weltteils zu werden, alles andere wĂ€re nicht angemessen gewesen. Und fĂŒr diese Angemessenheit hatten wir immer das sicherste GespĂŒr. Ich ersuche Dich, diesen Brief nicht mit dem Rest unserer Korrespondenz auf die Zukunft kommen zu lassen, auch wenn Du, wie Du mir gesagt hast, von der Zukunft nichts mehr hĂ€ltst. (V 265)

Diesmal ist Humboldt der intendierte Adressat, und diesmal wird der Leser in seine Rolle versetzt. In den drei miteinander verknĂŒpften Passagen werden verschiedene Themen aufgegriffen. ZunĂ€chst einmal geht es um die BrĂŒder und ihre Beziehung selbst. Obgleich Humboldt seinen Brief nie abschickt, greift sein Bruder dasselbe Thema der Verdoppelung in Ă€hnlichen Worten auf. Diese Verdoppelung wird jedoch nicht nur benannt, sondern tritt auch strukturell auf, indem das Thema doppelt, von beiden BrĂŒdern, aufgegriffen wird. Mit der Betrachtung der BrĂŒderlichkeit hĂ€ngen auch Überlegungen zur Bildung zusammen, denn die Leben, die sie fĂŒhren, sind stark beeinflusst von einem Streben nach Ruhm. WĂ€hrend Humboldt befĂŒrchtet, seine individuellen Leistungen wĂŒrden stets mit denen seines Bruders verknĂŒpft sein, erkennt der Bruder diese Bedingtheit an. Gleichzeitig jedoch versteckt sich in des Bruders Brief eine Aussage, die als metafiktional gelesen werden kann: „nur Dummköpfen [
] wĂŒrde dafĂŒr das Wort RivalitĂ€t einfallen“ (V 265), heißt es. Damit wird möglichen Interpretationen der Beziehung der BrĂŒder vorgegriffen, die sich vor allem aufgrund der versuchten Vergiftung (vgl. V 21), des Einsperrens im Schrank (vgl. V 21) oder der zunĂ€chst unterlassenen Hilfe (vgl. V 25) aufdrĂ€ngt. In Bezug zu Humboldts geschildertem Vermessungs- und Wissensdrang („[m]an wolle wissen, sagte Humboldt, weil man wissen wolle“, V 70) kann hierin eine Kritik nicht nur am Wissenschaftsbetrieb, aber auch an der Ausbildung der BrĂŒder gelesen werden, denn sie „mußten begreifen, daß das eigentliche Ziel unserer BemĂŒhungen nicht der Kosmos, sondern bloß der andere war“ (V 265).

Durch das GesprĂ€ch der BrĂŒder ergibt jedoch auch erst Humboldts Schreiben ĂŒber Schmerz einen Sinn. Er schreibt: „Wer sich jedoch zum Schmerz entschließt, begreift Dinge, die er nicht
“ (V 33) Der Satz wird nicht beendet, scheint sich jedoch auf die Anspielung des Bruders auf eine mögliche homosexuelle Neigung Humboldts zu beziehen: „Doch so vieles passe nicht dazu, man mĂŒsse sich entsetzliche Gewalt antun. Der Ältere lehnte sich zurĂŒck und sah ihn lange an. Immer noch die Knaben? Das hast du gewußt? Immer.“ (V 264) Wird bei Humboldt eine homosexuelle Neigung angenommen, werden andere Passagen erst verstĂ€ndlich. Nicht nur droht Humboldt Bonpland mehrfach, die Zusammenarbeit zu beenden, wenn sich Bonpland der VergnĂŒgung mit Frauen hingibt (vgl. V 48), auch in Neuandalusien wird eine Begegnung mit InĂ©s geschildert, einem jungen MĂ€dchen, das vom Gouverneur geschickt wurde. WĂ€hrend sie „geschickt seine Hose [öffnete]“ (V 76), „fragte [er] sich, wieso sie nicht begriff, daß er in der Hölle war.“ (V 76) Kurz darauf findet eine Ă€hnliche Begegnung statt:

Ein GerĂ€usch weckte ihn. Jemand war hereingekrochen und hatte sich neben ihn gelegt. Nicht schon wieder, murmelte er, entzĂŒndete mit unsicherer Hand den Kerzendocht und sah, daß es ein kleiner Junge war. Was willst denn du, fragte er, was ist denn, was soll das?

Was denn, fragte Humboldt, was? [
]

Aber was denn, flĂŒsterte Humboldt. Was, Kind? (V 125f.)

Humboldts ohnehin schon offensichtliche NervositĂ€t steigert sich so sehr, dass sein Körper zu zittern beginnt: „Humboldts Hand zitterte so stark, daß er die Kerze fallen ließ.“ (V 126) Anschließend tritt er den Jungen, bis er sich nicht mehr bewegt, „packte ihn an den Schultern und zerrte ihn hinaus.“ (V 126) Wie diese Textstelle verdeutlicht, scheint sich Humboldt nicht mit seiner Neigung auseinanderzusetzen.

Abgesehen von der Aufdeckung von Humboldts latenter HomosexualitĂ€t und den damit zusammenhĂ€ngenden rĂŒckblickenden ErklĂ€rungen fĂŒr sein Verhalten zu anderen Gelegenheiten, lassen sich AuszĂŒge aus den Briefen fast wie vom ErzĂ€hler an den Leser gerichtet lesen; sie können also doppelt gelesen werden. Wenn es heißt, „meinetwegen mußtest Du auf den höchsten Berg und in die Höhlen“, oder „fĂŒr mich hast Du SĂŒdamerika entdeckt“ (V 265), so kann dies gleichsam als direkte Kommunikation des ErzĂ€hlers mit dem Leser gedeutet werden. Schließlich fehlen nicht nur markierende Satzzeichen, letztlich werden alle Begebenheiten in der Vermessung durch den ErzĂ€hler vermittelt und mit seinen Worten erzĂ€hlt; so ist der Leser den Figuren auf den Berg und in die Höhlen durch SĂŒdamerika gefolgt und hat die Handlung mit den Figuren nachvollzogen.

Doppelt gelesen werden kann so auch eine andere Passage des Texts. Vor der KĂŒste Trinidads – es ist vermeintlich Trinidad, denn auch hier löst der ErzĂ€hler nicht auf, ob Humboldt mit seiner Vermutung, es sei Trinidad, tatsĂ€chlich Recht behĂ€lt –, befindet sich Humboldt wieder in einer Schreibsituation:

Noch im Boot, das sie in Richtung des trĂ€ge vor ihnen schaukelnden Festlands trug, begann er seinem Bruder von der hellen Luft, dem warmen Wind, den KokosbĂ€umen und Flamingos zu schreiben. Ich weiß nicht, wann dies eintreffen wird, doch sieh zu, daß Du es in die Zeitung bekommst. Die Welt soll von mir erfahren. Ich mĂŒĂŸte mich sehr irren, wenn ich ihr gleichgĂŒltig bin. (V 51)

Die letzten drei SÀtze lassen sich nicht nur als Wunsch eines Entdeckers, zu Ruhm zu gelangen, lesen, sondern könnten ebenso von einem ErzÀhler, oder aber Schriftsteller stammen. Viel spÀter wird ein verwandtes Thema aufgegriffen, das immer wieder nebenbei aufkommt: der Tod.

Was, meine Damen und Herren, ist der Tod? Im Grunde nicht erst das Verlöschen und die Sekunden des Übergangs, sondern schon das lange Nachlassen davor, jene sich ĂŒber Jahre dehnende Erschlaffung; die Zeit, in der ein Mensch noch da ist und zugleich nicht mehr und in der er, ist auch seine GrĂ¶ĂŸe lange dahin, noch vorgeben kann, es gĂ€be ihn. So umsichtig, meine Damen und Herren, hat die Natur unser Sterben eingerichtet! (V 263)

Das Kapitel „Die Steppe“ beginnt unvermittelt mit dieser Frage und der direkten Anrede. Hierbei wird der Leser nicht nur erneut dazu angeregt, ĂŒber den Tod zu reflektieren, sondern wird gleichsam in die Situation des Zuhörers eines Vortrags versetzt. Durch die persönliche Anrede, die Ă€ußerst selten in der Vermessung genutzt wird, wird auf besondere Weise auf eines der Themen der ErzĂ€hlung hingewiesen, denn derartige Passagen irritieren den Leser kurzzeitig wegen ihres Wechsels in den Indikativ. Gleichzeitig verdeutlicht der Indikativ die AktualitĂ€t und Zeitlosigkeit der angesprochenen Thematik, und durch das „unser“ wird eine Verbindung zwischen Leser und den Figuren hergestellt.

Zuletzt werden die direkten Anreden und die Verwendung des Indikativs eindeutig mit metafiktionalen Aussagen und Überlegungen zur Wissenschaft verknĂŒpft:

Gerede und GeschwĂ€tz, flĂŒsterte Humboldt in Ehrenbergs Ohr, keine Wissenschaft. Er mĂŒsse Gauß unbedingt sagen, daß er jetzt besser verstehe.

Ich weiß, daß Sie verstehen, antwortete Gauß. Sie haben immer verstanden, armer Freund, mehr, als Sie wußten. [
] Also hat er mich doch nach all den Jahren ĂŒberflĂŒgelt, sagte er, und ihm war, als antwortete nicht Minna, sondern der bereits in einer Schnellkutsche nach Sankt Petersburg rasende Humboldt: Die Dinge sind, wie sie sind, und wenn wir sie erkennen, sind sie genauso, wie wenn es andere tun oder keiner. [
] Hastig versicherte Humboldt, er habe nur gesagt, man dĂŒrfe die Leistungen des Wissenschaftlers nicht ĂŒberschĂ€tzen, der Forscher sei kein Schöpfer, er erfinde nichts, er gewinne kein Land, er ziehe keine Frucht, weder sĂ€e noch ernte er, und ihm folgten andere, die mehr, und wieder andere, die noch mehr wĂŒĂŸten, bis schließlich alles wieder versinke. (V 290f.)

WĂ€hrend Humboldt in Moskau kurz davor steht, eine Rede ĂŒber den Erdmagnetismus zu halten, befindet sich Gauß zuhause mit seiner Frau Minna. Trotzdem scheinen die Figuren miteinander ĂŒber große Distanz zu kommunizieren. Im Zuge dessen wird die Wissenschaft einer kritischen Betrachtung unterzogen und letztlich vom Schriftsteller abgegrenzt. Denn es heißt, „der Forscher sei kein Schöpfer, er erfinde nichts“ (V 291), und schließlich:

Dieser Bonpland, hĂ€tte ihm der Professor wohl geantwortet, hatte allerdings Pech, aber können wir beide uns beklagen? Kein Kannibale hat Sie gegessen, kein Ignorant mich totgeschlagen. Hat es nicht etwas BeschĂ€mendes, wie leicht uns alles fiel? Und was jetzt geschieht, ist nur, was einmal geschehen mußte: Unser Erfinder hat genug von uns. (V 292)

Somit wird der Schöpfer mit dem Erfinder gleichgesetzt: Durch die metafiktionale QualitĂ€t der letzten Aussage und der Referenz auf den ErzĂ€hler, kann in vorangegangenem Zitat eine Abgrenzung des Forschers vom Schriftsteller gelesen werden – zugunsten des Schriftstellers.

 

5.2    Unerwartete Wendungen

Neben diversen direkten Anreden, die zwar nicht explizit an den Leser adressiert sind, ihn aber in die Situation des Zuhörers versetzen, finden sich in der Vermessung diverse unerwartete Wendungen. Diese verleihen der ErzÀhlung zumeist Komik, beinhalten aber auch vermehrt Kritik; vor allem werden durch diese Passagen implizit behandelte Themen aufgedeckt.

Im Kapitel „Das Meer“ wird vom Tod von Humboldts Mutter erzĂ€hlt. Der Tod wird als unschöne Angelegenheit geschildert: „Die Auszehrung hatte sie innerlich verbrannt, ihre Wangen waren eingefallen, ihr Kinn war lang und ihre Nase plötzlich krumm“ (V 35). FĂŒr Humboldt scheint der Tod keine gute BegrĂŒndung dafĂŒr zu sein, sein gutes Benehmen zu vergessen, denn es kam ihm „unbegreiflich vor, daß sie sich so ungesittet benehmen konnte.“ (V 35) Nach zwei Stunden voller Schreie schließlich richtet sie ihre letzten Worte an ihren Sohn. Erwartet der Leser nun an dieser Stelle rĂŒhrende letzte Worte an den Sohn, wird er enttĂ€uscht: „Als es hell wurde, murmelte sie UnverstĂ€ndliches, als die Sonne in den Vormittagshimmel stieg, sah sie ihren Sohn an und sagte, er solle sich gerade halten, so zu lĂŒmmeln sei doch keine Art.“ (V 35) Nicht genug, auch Kunths Bedenken, die durch den ErzĂ€hler geĂ€ußert werden, erscheinen als unangebracht, aber komisch, da sie unerwartet sind:

Dann wandte sie den Kopf ab, ihre Augen schienen zu Glas zu werden, und er sah die erste Tote seines Lebens.

Kunth legte ihm die Hand auf die Schulter. Niemand könne ermessen, was ihm diese Familie gewesen sei.

Doch, sagte Humboldt, als soufflierte ihm jemand, er könne es, und er werde es nie vergessen.

Kunth seufzte gerĂŒhrt. Er wußte jetzt, er wĂŒrde er weiterhin sein Gehalt bekommen. (V 35f.)

Humboldt und seine Mutter setzen sich nicht emotional mit dem Tod auseinander, vielmehr vergessen sie selbst unter diesen UmstĂ€nden nicht ihre (deutsche) Erziehung und ihre Sitten. Denn die letzten Worte der Mutter erinnern an eine Unterredung Gauß’ mit dem Vater: „Ein Deutscher, sagte er immer wieder, [
] sei jemand, der nie krumm sitze. Einmal fragte Gauß: Nur das? Reiche das denn schon, um ein Deutscher zu sein? Sein Vater ĂŒberlegte so lange, daß man es kaum mehr glauben konnte. Dann nickte er.“ (V 54)

An anderer Stelle wird von Gauß’ Reise nach Königsberg zu Kant erzĂ€hlt. Gauß, der gerade sein Lebenswerk, die Disquisitiones Arithmeticae (vgl. V 92) beendet hat, reist zu Kant wegen eines dringlichen Anliegens: „Er habe Ideen, die er noch keinem habe mitteilen können.“ (V 95) WĂ€hrend Gauß detailliert seine Ideen schildert, kommt es zu folgender Reaktion Kants:

Dies sei kein Gedankenspiel! Er behaupte etwa
 [
] Er behaupte etwa, daß ein Dreieck von genĂŒgender GrĂ¶ĂŸe, aufgespannt zwischen drei Sternen dort draußen, bei genauer Messung eine andere Winkelsumme habe als die erwarteten hundertachtzig Grad, sich als sphĂ€rischer Körper erweisen werde. [
] Eines Tages wĂŒrden solche Messungen durchfĂŒhrbar sein! Doch sei das noch lange hin, einstweilen benötige er die Meinung des einzigen, der ihn nicht fĂŒr verrĂŒckt halten könne, der ihn verstehen mĂŒsse. Die Meinung des Mannes, welcher die Welt mehr ĂŒber Raum und Zeit gelehrt habe als irgendein anderer. [
] Er wartete. Die kleinen Augen richteten sich auf ihn.

Wurst, sagte Kant.

Bitte?

Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen. [
]

Ganz hat mich die ZivilitĂ€t nicht verlassen, sagte Kant. Meine Herren! Ein Tropfen Speichel rann ĂŒber sein Kinn. (V 96f.)

Scheint es zunĂ€chst, als wolle Kant mit dem Ausspruch „Wurst“ Gauß’ Ideen in schroff-komischer Art ablehnen, wendet sich die Situation gleich darauf in tragischer Weise. Hier wird erneut, wie auch in anderen Passagen des Texts, der unaufhaltsame Verfall des Körpers thematisiert, dem auch bekannte Persönlichkeiten nicht entfliehen können. Denn, wie es in einem anderen Kontext heißt: „Auch der Ruhm sei nicht immer ein Schutz.“ (V 252)

Im Kapitel „Die Geister“ versuchen Humboldt und Gauß, Eugen davor zu bewahren, von der Geheimpolizei vernommen zu werden. So machen sie sich auf den Weg zum Gendarmeriekommandanten Vogt, um Eugen rechtzeitig aus der Obhut der Gendarmen zu befreien. Humboldt, der sich in SĂŒdamerika noch mehrfach ĂŒber andere Zivilisationen gewundert hatte, fehlt im GesprĂ€ch mit Vogt das VerstĂ€ndnis fĂŒr die Situation. Nach einem lĂ€ngeren GesprĂ€ch „blickten sie einander [ratlos] an“ (V 258), bis Gauß Humboldt aufklĂ€rt: „Ob er denn wirklich nicht verstehe? Der Kerl wolle bestochen werden.“ (V 258)

Ein schrecklicher Irrtum, sagte Humboldt, als er ihn auf der Treppe eingeholt hatte. Der Mann habe doch kein Geld gewollt!

Ha, sagte Gauß.

Ein hoher Beamter des preußischen Staates sei nicht bestechlich. So etwas habe es nie gegeben.

Ha!

DafĂŒr lege er seine Hand ins Feuer!

Gauß lachte. (V 259)

Humboldts Reaktion ist fĂŒr den Leser vor allem deshalb so amĂŒsant, da sie seine NaivitĂ€t unter Beweis stellt, aber auch seinen kritiklosen Glauben an die deutsche Gesellschaft bzw. an sein Bild von deutscher Tugend.

Andere unerwartete Wendungen stellen die Traumsequenzen Gauß’ da, die zugleich metafiktional sind. Hatten Gauß und Humboldt bisher nur metafiktionale Kommentare geĂ€ußert, findet sich Gauß nun in einer Traumsituation. Bis dahin sind TrĂ€ume geschildert worden, die nicht als metafiktional betrachtet werden können (vgl. V 167f.), nun aber erhĂ€lt Gauß einen unerwarteten Einblick in Bezug auf die RealitĂ€t. Im Kapitel „Der Garten“ befindet sich Gauß „wegen der Landvermessung“ auf dem Anwesen des Grafen Hinrich von der Ohe zur Ohe, denn „der Staat mĂŒsse [
] dem Herrn Grafen einige BĂ€ume und einen wertlosen Schuppen abkaufen“ (V 181). Da Gauß erst am Abend am Herrenhaus des Grafen eintrifft und er vom Grafen nicht mehr empfangen wird, wird Gauß in ein Zimmer gefĂŒhrt, in dem er die Nacht verbringen kann.

Am frĂŒhen Morgen weckte ihn ein quĂ€lender Traum. Er sah sich selbst auf der Pritsche liegen und davon trĂ€umen, daß er auf der Pritsche lag und davon trĂ€umte, auf der Pritsche zu liegen und zu trĂ€umen. Beklommen setzte er sich auf und wußte sofort, daß das Erwachen noch vor ihm lag. Dann wechselte von einer Wirklichkeit in die nĂ€chste und wieder nĂ€chste, und keine hatte etwas Besseres zu bieten als dasselbe verdreckte Zimmer mit Heu auf dem Boden und einem Wassereimer in der Ecke. [
] Als er schließlich erschöpft auf dem Bettrand saß und in den sonnigen Morgenhimmel sah, konnte er das GefĂŒhl nicht loswerden, daß er jene Wirklichkeit, in die er gehörte, um einen Schritt verfehlt hatte. (V 184f.)

Gauß wird in die Situation des Lesers versetzt und sieht sich selbst trĂ€umen und aufwachen. Im Traum erhĂ€lt Gauß eine Ahnung davon, dass die Möglichkeit parallel existierender Wirklichkeiten besteht, die einander durchaus Ă€hneln. Dabei wird aber auch auf das Verfahren des Textes selbst verwiesen, durch die ErzĂ€hlung eine parallele Welt zu schaffen, die der unsrigen Welt, die wir RealitĂ€t nennen, durchaus Ă€hnelt. An anderer Stelle erhĂ€lt Gauß in einer weiteren Traumsequenz eine Ahnung davon. WĂ€hrend eines Spaziergangs beschĂ€ftigt sich Gauß erneut mit Gedanken an den Tod:

Gauß blinzelte: Etwas mit seinen Augen stimmte nicht, das Firmament schien ihm von Rissen zerfurcht. Er spĂŒrte den ersten Regentropfen. Vielleicht sprachen die Toten ja nicht mehr, weil sie in einer stĂ€rkeren Wirklichkeit waren, weil ihnen diese hier schon wie ein Traum und eine Halbheit, wie ein lĂ€ngst gelöstes RĂ€tsel erschien, auf dessen Verstrickungen sie sich noch einmal wĂŒrden einlassen mĂŒssen, wollten sie sich darin bewegen und Ă€ußern. Manche versuchten es. Die KlĂŒgeren verzichteten. [
] Der Tod wĂŒrde kommen als eine Erkenntnis von Unwirklichkeit. Dann wĂŒrde er begreifen, was Raum und Zeit waren, was die Natur einer Linie, was das Wesen der Zahl. Vielleicht auch, warum er sich immer wieder wie eine nicht ganz gelungene Erfindung vorkam, wie eine Kopie eines ungleich wirklicheren Menschen, von einem schwachen Erfinder in ein seltsam zweitklassiges Universum gestellt. Er blickte sich um. Etwas Blinkendes zog ĂŒber den Himmel, auf gerader Linie, sehr hoch oben. Die Straße vor ihm kam ihm breiter vor, die Stadtmauer war nicht mehr zu sehen, und zwischen den HĂ€usern erhoben sich spiegelnde TĂŒrme aus Glas. Metallene Kapseln schoben sich in Ameisenkolonnen die Straßen entlang, ein tiefes Brummen erfĂŒllte die Luft, hing unter dem Himmel, schien sogar von der schwach vibrierenden Erde aufzusteigen. Der Wind schmeckte sĂ€uerlich. Es roch verbrannt. Da war auch etwas Unsichtbares, ĂŒber das er sich keine Rechenschaft geben konnte: ein elektrisches Schwingen, zu erkennen nur an einem schwachen Unwohlsein, einem Schwanken in der RealitĂ€t selbst. Gauß beugte sich vor, und seine Bewegung hob alles auf; mit einem Schreckenslaut erwachte er. (V 282f.)

Der ErzĂ€hler lĂ€sst Gauß, diesmal deutlicher, seinen Status als Figur erahnen. Wieder suggeriert der Text die Möglichkeit paralleler RealitĂ€ten, was besonders deutlich wird, wenn Gauß einen Blick in die Zukunft werfen darf. Gauß blickt in seinem Traum auf HochhĂ€user („sich spiegelnde TĂŒrme aus Glas“, V 283) und Autos („Metallene Kapseln“, V 283), und es wird deutlich, dass Gauß mit seinen Zukunftsprognosen so falsch nicht liegt.

Wie beispielhaft an einigen Textstellen verdeutlicht, fĂŒhren unerwartete Wendungen in der Vermessung nicht nur zu Komik und einer amĂŒsanten LektĂŒre, sie können auch als Kritik gelesen werden, reflektieren dabei unter anderem den Umgang mit dem Tod, das VerstĂ€ndnis vom Deutschsein, aber auch das VerstĂ€ndnis von RealitĂ€t und Fiktion.

 

5.3    Leserfiguren und Zukunftsvisionen

In der Vermessung werden nicht nur Prozesse des Schreibens gezeigt, Gauß tritt auch an einigen Stellen als Leserfigur auf, wobei damit entweder eine explizit metafiktionale Aussage verbunden ist oder wenigstens ein intratextueller Verweis vorliegt. Gleich zu Beginn von Gauß’ Reise nach Berlin wird er als Leser gezeigt:

Gauß versuchte zu lesen, sah jedoch schon Sekunden spĂ€ter auf und beklagte sich ĂŒber die neumodische Lederfederung der Kutsche; da werde einem ja noch ĂŒbler, als man es gewohnt sei. Bald, erklĂ€rte er, wĂŒrden Maschinen die Menschen mit der Geschwindigkeit eines abgeschossenen Projektils von Stadt zu Stadt tragen. Dann komme man von Göttingen in einer halben Stunde nach Berlin. (V 8f.)

Dadurch, dass eine Figur des erzĂ€hlten Geschehens als Leser gezeigt wird, wird gleich auf die Situation des Lesers Bezug genommen und bereitet gleichsam auf die metafiktionale Bezugnahme des Professors auf die Gegenwart des Lesers vor. An insgesamt drei anderen Textstellen liest Gauß Humboldts Berichte:

Er aß ein StĂŒck trockenen Kuchen und las in den Göttinger Gelehrten Anzeigen den Bericht eines preußischen Diplomaten ĂŒber dessen Bruders Aufenthalt in Neuandalusien. [
] Der Brief des Mannes war eineinhalb Jahre unterwegs gewesen, nur Gott mochte wissen, ob er noch lebte. (V 87)

TatsĂ€chlich hatte [Gauß] seit Wochen keine Zeitung gelesen. Bei Bartels, der alles aufhob, setzte er sich vor einen Stapel alter Journale. Grimmig ĂŒberblĂ€tterte er einen Bericht Alexander von Humboldts ĂŒber das Hochland von Caxamarca. Wo zum Teufel war dieser Kerl nicht gewesen? (V 151f.)

Seine Nase juckte, eine MĂŒcke hatte mitten hineingestochen. Er wischte sich den Schweiß ab. Er dachte an Humboldts Bericht ĂŒber die Moskitos am Orinoko: Menschen und Insekten konnten nicht auf Dauer zusammenleben, nicht fĂŒr immer, nicht in alle Zukunft. (V 192)

Durch die intratextuellen Verweise wird nicht nur AuthentizitĂ€t vermittelt. Durch die Vermutung, „nur Gott mochte wissen, ob er noch lebte“ (V 87), werden gleichsam ErzĂ€hler wie Schriftsteller mit dem Schöpfer gleichgesetzt; denn schließlich ist es der ErzĂ€hler, der die Geschichte erzĂ€hlt. In diesem Sinne wird dem ErzĂ€hler nicht nur schöpferische Kraft zugesprochen, es wird auch auf seine Macht ĂŒber die ErzĂ€hlung verwiesen. Durch die Visionen bzw. Zukunftsprognosen Gauß’ wird aber auch eine explizite Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hergestellt. Wie sich gezeigt hat, werden die Geschehnisse in der Vermessung von einem ErzĂ€hler erzĂ€hlt, der eine grĂ¶ĂŸere zeitliche Distanz zum Geschehen haben muss. Indem Gauß aus dem Jahr 1828 seine Zukunftsprognosen anstellt, wird direkt auf die Lebenswelt des Lesers Bezug genommen, und der Leser erhĂ€lt die Möglichkeit, den vorausgesagten Fortschritt zu ĂŒberprĂŒfen. Gleichzeitig wird an den Visionen deutlich, wie sehr Vergangenheit und Zukunft bzw. Gegenwart einander bedingen. Die erste von vielen Prognosen Gauß’ bezieht sich auf Gesellschaft und Politik:

Gauß machte eine Verbeugung, die man ihm beigebracht hatte. Er wußte, daß es bald keine Herzöge mehr geben wĂŒrde. Dann wĂŒrde man von absoluten Herrschern nur mehr in BĂŒchern lesen, und der Gedanke, vor einem zu stehen, sich zu verneigen und auf sein Machtwort zu warten, kĂ€me jedem Menschen fremd und mĂ€rchenhaft vor. (V 61)

Somit wird auf das Ende des Absolutismus hingewiesen. Zwar existiert der Absolutismus in Deutschland nicht mehr, die Prognose, dass „man von absoluten Herrschern nur mehr in BĂŒchern lesen

[wĂŒrde]

“ (V 61), erweist sich jedoch mit Blick auf vereinzelte LĂ€nder als nicht gĂ€nzlich eingetreten. Somit wird gleichzeitig auf den globalen Fortschritt hingewiesen, aber auch eine kritische Hinterfragung gefordert. Eine andere Prognose handelt von ZahnĂ€rzten:

Schon in ein paar Jahren wĂŒrde es Ärzte fĂŒr das Gebiß geben, dann wĂŒrde man diese Schmerzen heilen können und brĂ€uchte nicht jeden entzĂŒndeten Zahn herauszureißen. Bald wĂŒrde die Welt nicht mehr voll Zahnloser sein. Auch wĂŒrde nicht mehr jedermann Pockennarben haben, und keiner wĂŒrde mehr seine Haare verlieren. Es wunderte ihn, daß außer ihm niemand an diese Dinge dachte. FĂŒr die Leute war alles so, wie es gerade war, selbstverstĂ€ndlich. (V 82)

Auch diese Voraussage erweist sich als hoffnungsvoll-optimistisch und entspringt sicherlich seinem akuten Leiden, aber auch diese ist nicht komplett eingetreten, denn dass niemand „mehr seine Haare verlieren

[wĂŒrde]

“ (V 82), ist auch weiterhin ein sicherlich hĂ€ufig geĂ€ußerter Wunsch. Trotzdem beinhaltet diese Prognose auch Kritik seitens Gauß’ an einer Gesellschaft, die sich zufrieden gibt. Dabei zeigt sich wiederum seine Überheblichkeit, die auch an anderen Passagen zutage kommt. Die Zukunftsprognosen werden allerdings zunehmend metafiktional:

Bald wĂŒrde all das eine Kleinigkeit sein. Man wĂŒrde in Ballons schweben und die Entfernungen auf magnetischen Skalen ablesen. Man wĂŒrde galvanische Signale von einem Meßpunkt zum nĂ€chsten schicken und die Distanz am Abfallen der elektrischen IntensitĂ€t erkennen. Aber ihm half das nicht, er mußte es jetzt tun, mit Maßband, Sextant und Theodolit, in lehmigen Stiefeln, mußte dazu noch Methoden finden, auf dem Weg reiner Mathematik die Ungenauigkeiten der Messung auszugleichen [
] (V 191)

Dass Gauß „es jetzt tun [mußte]“ (V 191) liegt nun vor allem darin begrĂŒndet, dass er, der ja seinen Status als Figur in einer anderen RealitĂ€t bzw. „in einer zweitklassigen Zeit“ (V 260) erahnt, vom ErzĂ€hler in diese Welt gesetzt wurde und sie ohne fortschrittliche Technik vermessen muss. Doch gerade dadurch, dass Gauß noch Lösungen und Methoden der Vermessung finden muss, kommt er zu dieser Einsicht:

Manchmal war ihm, als hĂ€tte er den Landstrich nicht bloß vermessen, sondern erfunden, als wĂ€re er erst durch ihn Wirklichkeit geworden. Wo nur BĂ€ume, Moos, Steine und Graskuppen gewesen waren, spannte sich jetzt ein Netz aus Gerade, Winkeln und Zahlen. Nichts, was einmal jemand vermessen hatte, war noch oder konnte je sein wie zuvor. Gauß fragte sich, ob Humboldt das begreifen wĂŒrde. (V 268)

An anderer Stelle gelangt auch Humboldt zu Àhnlicher Einsicht:

Humboldt fixierte die untergehende Sonne mit dem Sextanten und maß den Winkel zwischen der Jupiterbahn und jener des vorbeiwandernden Mondes.

Jetzt erst, sagte er, existiere der Kanal wirklich. (V 135f.)

Beide, Humboldt und Gauß, vermessen nicht nur, sie gehen von der Annahme aus, die jeweiligen geografischen Gebiete existierten erst, weil sie sie erfunden haben. Gegebenheiten erhalten also erst dadurch einen Sinn, indem ihnen dieser zugewiesen wird. Übertragen lĂ€sst sich das auch auf Geschichte, RealitĂ€t und Literatur selbst: Was relevant ist und was als wahr angesehen wird, ist dies nur, weil ihnen vorher dieser Status zugewiesen wurde. FĂŒr die Vermessung ist schließlich die einzige Prognose Humboldts von besonderem Interesse, vor allem, da sie titelgebend ist:

Das Ende des Wegs sei fast in Sicht, die Vermessung der Welt fast abgeschlossen. Der Kosmos werde ein begriffener sein, alle Schwierigkeiten menschlichen Anfangs, wie Angst, Krieg und Ausbeutung, wĂŒrden in die Vergangenheit sinken, wozu gerade Deutschland und nicht zuletzt die Forscher dieser Versammlung den vordringlichsten Beitrag leisten mußten. Die Wissenschaft werde ein Zeitalter der Wohlfahrt herbeifĂŒhren, und wer könne wissen, ob sie nicht eines Tages sogar das Problem des Todes lösen werde. Einige Sekunden stand Humboldt unbewegt. Dann verbeugte er sich. (V 238f.)

Mit der Vermessung der Welt ist fĂŒr Humboldt also die Lösung großer menschlicher „Schwierigkeiten“ verbunden, von „Angst, Krieg und Ausbeutung“ (V 238). In seinem Glauben an die (deutsche) Wissenschaft, scheint Humboldt davon fest ĂŒberzeugt, der Lösung nahe zu sein. Vor dem Hintergrund des Wissens des Lesers und der dargestellten Ereignisse in der ErzĂ€hlung zeigt sich jedoch, dass die Vermessung keineswegs als abgeschlossenes Projekt betrachtet werden kann. Ebenso ungelöst ist das Problem des Todes – die einzige Lösung, die der Roman anbietet, ist die Literatur selbst. Als Humboldt im GesprĂ€ch mit dem Lama darum gebeten wird, dessen toten Hund wieder zum Leben zu erwecken, erwidert Humboldt nur: „Er könne nichts und niemanden auf dem Tod wecken!“ (V 286). Im Gegensatz zu Humboldt, der in der Vermessung als Forscher gezeigt wird, der nicht zu erzĂ€hlen weiß, kann der Schriftsteller allein dem Tod trotzen, und das in doppelter Weise: Durch die schriftstellerische TĂ€tigkeit kann nicht nur der eigene Name – wenigstens temporĂ€r – vor dem Vergessen bewahrt werden, auch können in Literatur historische Persönlichkeiten zu Figuren werden und somit zum Leben erweckt werden. Erneut steht somit der Forscher dem Schriftsteller gegenĂŒber, und der Schriftsteller, wie der ErzĂ€hler, besitzen eine Macht, die weder die Figuren noch Wissenschaftler mit ihrem rationalen Denken haben.

Analog zur Vermessung der Gegenwart, die mittels der Zukunftsprognosen des Professors vorgenommen wird, wird das Wissen des Lesers an anderer Stelle herausgefordert. Es wird nicht nur auf die Fotografie verwiesen, die tatsÀchlich erst spÀter ausgereift war. In der Begegnung Humboldts mit Goethe wird auf eine spÀtere Textstelle verwiesen:

Goethe nahm ihn beiseite und fĂŒhrte ihn durch eine Flucht in unterschiedlichen Farben gestrichener Zimmer zu einem hohen Fenster. Ein großes Unterfangen, sagte er. [
]

Goethe verschrĂ€nkte die Arme auf dem RĂŒcken. Und nie solle er vergessen, von wem er komme.

Humboldt verstand nicht.

Er solle bedenken, wer ihn geschickt habe. Goethe machte eine Handbewegung in Richtung der bunten Zimmer, der GipsabgĂŒsse römischer Statuen, der MĂ€nner, die sich im Salon mit gedĂ€mpften Stimmen unterhielten. Humboldts Ă€lterer Bruder sprach ĂŒber die Vorteile des Blankverses, Wieland nickte aufmerksam, auf dem Sofa saß Schiller und gĂ€hnte verstohlen. Von uns kommen Sie, sagte Goethe, von hier. Unser Botschafter bleiben Sie auch ĂŒberm Meer. (V 36f.)

Die Bemerkung von der „Flucht in unterschiedlichen Farben gestrichener Zimmer“ (V 36) verweist auf die Betrachtungen des real-historischen Goethes zum Licht bzw. zu Farben, wie vergleichend die folgende Textstelle untermalt: „Er glaube, flĂŒsterte Bessel, Goethe sei heute in seiner Loge. Gauß fragte, ob das der Esel sei, der sich anmaßte, Newtons Theorie des Lichts zu korrigieren.“ (V 158) Wie Martin herausstellt, treffen in der Diskussion um die Theorie des Lichts zwei verschiedene Konzepte aufeinander:

WĂ€hrend die naturwissenschaftliche Forschungsmethode im Sinne Galileis und Newtons sich ganz auf die Erforschung quantitativer Strukturen beschrĂ€nkt hat, muß Goethes Farbenlehre als Versuch betrachtet werden, die unmittelbare Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft zu retten (Helmholtz).[156]

In seiner Polemik gegen Newton hat er dessen Optik scharf kritisiert [
]. Die Polemik Goethes gegen Newton ist nicht bloß eine historische Episode, sondern Ausdruck einer viel schwerwiegenderen Auseinandersetzung zwischen entgegengesetzten und einseitigen Standpunkten, die Natur zu betrachten und zu erforschen.[157]

Die entsprechenden Textstellen in der Vermessung verleiten den Leser nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Vor diesem Hintergrund wird auch ein anderes Thema aufgemacht, und zwar der kritische Umgang mit dem Konzept des Deutschen, also damit, was es bedeutet, deutsch zu sein, und dem dazugehörigen Bildungshintergrund. Was gefordert wird, ist eine kritische Hinterfragung dessen, was als deutsch gilt, vor allem in Bezug auf Bildung. In Verbindung damit wird auch ein „Bezug auf die deutschen Massenvernichtungen“[158] deutlich, der sich vor allem an zwei Textstellen zeigt:

Zwanzigtausend, sagte ein Arbeiter vergnĂŒgt. Zur Einweihung des Tempels seien zwanzigtausend Menschen geopfert worden. Einer nach dem anderen: Herz raus, Kopf ab. [
]

Guter Mann, sagte Humboldt. Reden Sie keinen Unsinn!

Zwanzigtausend an einem Ort und Tag, das sei undenkbar. Die Opfer wĂŒrden es nicht dulden. Die Zuschauer wĂŒrden es nicht dulden. Ja mehr noch: Die Ordnung der Welt vertrĂŒge derlei nicht. Wenn so etwas wirklich geschĂ€he, wĂŒrde das Universum enden.

Dem Universum, sagte der Arbeiter, sei das scheißegal. (V 202)

Hierin zeigt sich einerseits das UnverstĂ€ndnis ĂŒber derartige Taten, andererseits die ernĂŒchternde Erkenntnis, dem Universum „sei das scheißegal“ (V 202) Ebenso ernĂŒchternd auf Seiten des Lesers ist die Erkenntnis, dass Humboldt mit dieser Aussage Unrecht hat:

So viel Zivilisation und so viel Grausamkeit, sagte Humboldt. Was fĂŒr eine Paarung! Gleichsam der Gegensatz zu allem, wofĂŒr Deutschland stehe. (V 208)

Diese Anspielungen auf deutsche Massenvernichtungen sind zwar zunĂ€chst subtil, fĂŒhren aber dazu, diese Ereignisse der deutschen Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn solange der Leser diese Anspielungen versteht, ist das Wissen um diesen Teil der deutschen Geschichte noch im Bewusstsein. Abgesehen von der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Grausamkeiten der deutschen Geschichte, wird auch das Bestreben Humboldts, die Welt zu vermessen, unter dem Aspekt der Kolonialisierung reflektiert: „Er war in Neuspanien, Neugranada, Neubarcelona, Neuandalusien und den Vereinigten Staaten gewesen“ (V 19). Die Bezeichnung der Orte dient nicht nur der Einordnung in einen historischen Kontext. Da der ErzĂ€hler selbst aus grĂ¶ĂŸerer zeitlicher Distanz zu dem Geschehen erzĂ€hlen muss, wird auf das verwiesen, was die Mönche Bonpland und Humboldt in SĂŒdamerika entgegenbringen:

Die Mönche der Mission begrĂŒĂŸten sie freundlich, obgleich sie nicht verstanden, was die beiden von ihnen wollten. Der Abt schĂŒttelte den Kopf. Dahinter stecke doch anderes! Niemand reise um die halbe Welt, um Land zu vermessen, das ihm nicht gehöre. (V 71)

Angedeutet wird hier, dass man eben nicht nur wissen wolle, „weil man wissen wolle“ (V 70). Durch das Spiel mit dem historischen Roman und der Thematisierung von Geschichte und RealitĂ€t in der ErzĂ€hlung wird ein kritischer Umgang von Seiten der Deutschen mit der eigenen Geschichte gefordert. Denn obgleich die deutsche Kolonialvergangenheit durch das Erscheinen diverser Romane wie etwa Morenga (1978) von Uwe Timm, „kurzzeitig [
] in das Bewusstsein der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit

[rĂŒckte]

“, galt sie lange als „völlig verdrĂ€ngter Teil deutscher Geschichte“[159]. Vor allem vor dem Hintergrund eines weitgehend positiven Bildes, das in Deutschland von den Humboldt-BrĂŒdern besteht, ist besonders die nĂ€chste Passage eine Aufforderung zur kritischen Auseinandersetzung:

In seinem Gasthof erreichte ihn ein Brief Humboldts, der ihm empfahl, eines der neuartigen Dampfschiffe zu nehmen. Er schloß RatschlĂ€ge ĂŒber den Umgang mit wilden Menschen an: Man mĂŒsse freundlich und interessiert wirken und dĂŒrfe weder seine Überlegenheit leugnen, noch es unterlassen, Belehrungen zu Ă€ußern, das Wohlgefallen an der Unwissenheit anderer sei eine Form der Herablassung. (V 298)

Humboldts Überzeugung, ĂŒberlegen zu sein und in der Pflicht zu stehen, aus eben dieser Überlegung Belehrungen Ă€ußern zu mĂŒssen, ist als expliziter Hinweis auf deutsche Kolonialisierung zu lesen, sowie als Forderung der kritischen Auseinandersetzung. Die Vermessung thematisiert so einen Teil deutscher Geschichte, der als vernachlĂ€ssigt, fast schon vergessen galt und trĂ€gt so dazu bei, ihn wieder ins Bewusstsein zu rufen.

 

6.     Schluss

 

After all, we can only “know” [
] the world through our narratives [
]. (HM 9)

Die Fiktion [
] ist eine erfundene RealitÀt.[160]

Der alte Kant war im Recht: Wir sind frei, die „Geschichte“ so zu verstehen, wie es uns gefĂ€llt, so wie wir frei sind, mit ihr zu tun, was wir wollen.[161]

 

Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, die Formen und Funktionen der metafiktionalen Aspekte in dem Roman Die Vermessung der Welt zu untersuchen. Da MetafiktionalitĂ€t als grundlegende ErzĂ€hlstrategie bei Kehlmann gilt, sollte vor dem Hintergrund der theoretischen AusfĂŒhrungen von Gass, Scholes, Alter, Hutcheon, Waugh und Wolf, sowie der Untersuchungen von Sprenger und Zimmermann herausgearbeitet werden, wie sie sich in der Vermessung zeigt, und wie sie mit dem Begriff des gebrochenen Realismus in Zusammenhang gebracht werden kann. Daneben sollten die Problematiken historisierenden ErzĂ€hlens beleuchtet und das VerhĂ€ltnis von RealitĂ€t und Fiktion betrachtet werden. Nach der Betrachtung von Begriff und Theorie der Metafiktion, verstanden als „eine Hybridform aus Tradition und Erneuerung“[162], sowie der Formen und Funktionen nach Sprenger und Zimmermann wurden die metafiktionalen Aspekte der Vermessung anhand der Trias ErzĂ€hler, Text und Leser herausgearbeitet. Dabei war von Interesse, inwiefern die metafiktionalen Aspekte der ErzĂ€hlung das VerstĂ€ndnis des Texts beeinflussen und welche Erkenntnisse diese eröffnen.

Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, ist die MetafiktionalitĂ€t der Vermessung ist tendenziell implizit, wobei der ErzĂ€hler als eine der drei Konstituenten des literarischen Kommunikationsakts im Vordergrund steht. Die Untersuchung des ErzĂ€hlers, als lenkende und leitende Figur in der Vermessung, hat gezeigt, dass der ErzĂ€hler und seine Macht ĂŒber die Fiktion im Vordergrund stehen. Dies zeigt sich in dem metafiktionalen Spiel mit den Figuren und deren Ahnungen ĂŒber ihren fiktionalen Status. Dadurch wird einerseits der Literatur als Medium ein Erkenntnispotential zugesprochen, andererseits der Konstruktcharakter von RealitĂ€t, aber auch Geschichte aufgezeigt. Um es mit Arnold zu sagen, entsteht Geschichte „erst im Schreiben darĂŒber […] und [ist] damit ein aktiver Konstruktionsprozess“[163], was auch in der Vermessung vermittelt wird. Besonders durch die metafiktionalen Kommentare von Gauß, aber auch durch die Begegnung Humboldts mit den Ruderern in SĂŒdamerika, wird ein ErzĂ€hlen jenseits eines konventionellen Realismus gefeiert und gefordert, bei dem der ErzĂ€hler ins Zentrum rĂŒckt. Durch die zahlreich gestreuten impliziten und expliziten intertextuellen Verweise wird nicht nur die Gemachtheit des Textes, sondern auch die Themen des Alterns und des Todes in den Blick genommen. Auch durch den Einbezug und kreativen Umgang mit Aspekten des magischen Realismus wendet sich der Text gegen Rationalismus und konventionellen Realismus. Die Parodie richtet sich auf das Genre des historischen Romans, wodurch die Darstellbarkeit von Geschichte infrage gestellt wird. Die Ironie des Textes fordert vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit dem Deutschsein bzw. mit dem, was als solches betrachtet wird. Die Untersuchung der Konstituente des Lesers hat gezeigt, dass sich viele Aussagen im Indikativ doppelt lesen lassen und somit gleichsam als Kommunikation des ErzĂ€hlers mit dem Leser fungieren. Letztlich wird dadurch auf verdrĂ€ngte und grausame Ereignisse der deutschen Geschichte verwiesen, vor allem auf die deutsche Kolonialisierung und den Holocaust. Somit stehen also einerseits der ErzĂ€hler sowie das ErzĂ€hlen jenseits konventionellen Realismus im Vordergrund, andererseits die „Erkenntnis [
], dass RealitĂ€t das Ergebnis eines Konstruktionsprozesses ist, der subjektiv ist und hochgradig kontingent verlĂ€uft.“[164] Die Vermessung verdeutlicht aber auch die „Tatsache [
], dass es ‚objektive Erinnerung‘ nicht geben kann. [
] Solche Literatur trĂ€gt auch bei zur Revision und Neukonstituierung kollektiver IdentitĂ€t.“[165] Gerade die metafiktionalen Aspekte der Vermessung bringen diese Erkenntnisse in besonderem Maße zutage.

Was die vorliegende Arbeit weder geleistet hat noch leisten wollte, war eine eindeutige Definition des Begriffs der Metafiktion. Ebenso wenig wurde der Grad der Illusion und der Illusionsdurchbrechung im Sinne Wolfs in der Vermessung untersucht oder diskutiert, ob, und falls, inwiefern Kehlmanns Roman, und in Konsequenz auch sein Gesamtwerk, der Postmoderne zuzuordnen sind. FĂŒr die Untersuchung der metafiktionalen Aspekte in der Vermessung war diese Einordnung nicht notwendig.

FĂŒr zukĂŒnftige Untersuchungen wird eine solche Einordnung in Hinblick auf die Vermessung, aber auch auf Kehlmanns Gesamtwerk und im Vergleich zu anderen Werken der deutschsprachigen und europĂ€ischen Gegenwartsliteratur von Interesse sein. Bareis hat bereits einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen, als er danach gefragt hat, ob Kehlmanns „ErzĂ€hlwerk grosso modo der Postmoderne zuzurechnen, und der Autor damit ein ‚Postmoderner‘“[166] sein kann. Es wird zu klĂ€ren sein, ob er der Postmoderne, der Postpostmoderne, oder der ‚Metamoderne‘ zugeordnet werden kann.[167] Damit stellt sich gleichzeitig die Frage, was Kehlmanns Literatur ausmacht, aber auch, wodurch sich andere deutschsprachige Gegenwartsliteratur auszeichnet. Durch die Fragen, welche spezifische Funktion Metafiktion in einzelnen Werken hat und welche Tendenzen sich abzeichnen, kann sich zeigen, welche Formen bevorzugt werden und welche epochenspezifischen Merkmale sich festhalten lassen.

Diverse Untersuchungen haben bereits darauf hingewiesen, dass Kehlmanns Werk voll von intertextuellen Verweisen ist. In seiner BeschĂ€ftigung mit Kehlmanns Beziehung zur lateinamerikanischen Literatur hat Rickes gezeigt, dass besonders ein Einfluss noch zu untersuchen ist: „Bislang ist wenig beachtet worden, wie sehr diese ErzĂ€hlweise an dem kubanischen Schriftsteller Alejo Carpentier (geb. 1904 in Havanna, gest. 1980 in Paris) geschult ist.“ (DK 83f.)

Schließlich steht fĂŒr den Bereich der Metafiktion aus, den Begriff klar zu definieren, theoretisch auszuarbeiten, und eindeutig von anderen, teilweise synonym verwendeten Begriffen abzugrenzen. Dabei kann nicht nur die Beziehung von Metafiktion und Postmoderne im Fokus stehen, sondern eine epochenĂŒbergreifende Betrachtung stattfinden. Weitere Forschungsdesiderate haben Hauthal, Nadj, NĂŒnning und Peters bereits treffend aufgezeigt: Es seien nicht nur die „Forschungs- und Wissenschaftsgeschichte dieser PhĂ€nomene“[168] zu untersuchen, es fehle bisher auch an einer Darstellung der Formen und Funktionen, der „literaturgeschichtlichen Dimension und der historischen Vielfalt“[169] sowie der transkulturellen, -generischen und -medialen Betrachtung metaisierender Verfahren und Funktionen.

 

7.     Literaturverzeichnis

 

7.1       PrimÀrliteratur
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Humboldt, Wilhelm von: Gesammelte Werke. Erster Band. Berlin: G. Reimer 1841.
Kehlmann, Daniel: Die Vermessung der Welt. 12. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005.
Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden. Erster Band. Leipzig: Georg Joachim Göschen 1798.
7.2       SekundÀrliteratur

7.2.1    Monografien

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Behler, Ernst: Ironie und literarische Moderne. Paderborn: Schöningh 1997.
Berndt, Frauke; Tonger-Erk, Lily: IntertextualitĂ€t. Eine EinfĂŒhrung. Berlin: Erich Schmidt 2013.
Broich, Ulrich; Pfister, Manfred: IntertextualitĂ€t. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1985.
Fludernik, Monika: ErzĂ€hltheorie. Eine EinfĂŒhrung. 2., durchgesehene Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008.
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Gasser, Markus: Das Königreich im Meer. Daniel Kehlmanns Geheimnis. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2013.
Genette, Gérard: Die ErzÀhlung. 3., durchgesehene und korrigierte Auflage. Paderborn: Wilhelm Fink 2010.
Genette, GĂ©rard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993.
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Grabbe, Katharina: Deutschland – Image und ImaginĂ€res. Zur Dynamik der nationalen Identifizierung nach 1990. Berlin: De Gruyter 2014.
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Hutcheon, Linda: Narcissistic Narrative. The Metafictional Paradox. New York: Methuen 1984.
Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie Ă€sthetischer Wirkung. 2., durchgesehene und verbesserte Auflage. MĂŒnchen: Wilhelm Fink 1984.
Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. 3. Auflage. MĂŒnchen: Wilhelm Fink 1994.
Kehlmann, Daniel: Diese sehr ernsten Scherze. Poetikvorlesungen. 4. Auflage. Göttingen: Wallstein 2011.
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NĂŒnning, Ansgar: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Band 1. Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans. Trier: WVT 1995.
Rickes, Joachim: Daniel Kehlmann und die lateinamerikanische Literatur. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2012.
Rickes, Joachim: Die Romankunst des jungen Thomas Mann. „Buddenbrooks“ und „Königliche Hoheit“. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2006.
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Sprenger, Mirjam: Modernes ErzÀhlen. Metafiktion im deutschsprachigen Roman der Gegenwart. Stuttgart: J. B. Metzler 1999.
Volkmann, Christian: Geschichte oder Geschichten? Literarische Historiographie am Beispiel von Adam Scharrers Vaterlandslose Gesellen und Uwe Timms Morenga. Hamburg: IGEL Verlag 2013.
Waugh, Patricia: Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction. London: Methuen 1984.
White, Hayden: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt am Main: S. Fischer 1991.
Wolf, Werner: Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der ErzĂ€hlkunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörenden ErzĂ€hlen. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1993.
Zaiser, Rainer: Inszenierte Poetik. MetatextualitĂ€t als Selbstreflexion von Dichtung in der italienischen Literatur der frĂŒhen Neuzeit. Berlin: Lit Verlag 2009.
Zimmermann, Jutta: Metafiktion im anglokanadischen Roman der Gegenwart. Trier: WVT 1996.
7.2.2    AufsÀtze und Artikel
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Arnold, Sonja: Metaisierungstendenzen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart. In: Birnstiel, Klaus; Schilling, Erik (Hgg.): Literatur und Theorie seit der Postmoderne. Stuttgart: S. Hirzel 2012, S. 107-119.
Bareis, J. Alexander: ‚BeschĂ€digte Prosa‘ und ‚autobiographischer Narzißmus‘ – metafiktionales und metaleptisches ErzĂ€hlen in Daniel Kehlmanns Ruhm. In: Bareis, J. Alexander; Grub, Frank Thomas (Hgg.): Metafiktion. Analysen zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 243-268.
Bareis, J. Alexander: Moderne, Postmoderne, Metamoderne? Poetologische Positionen im Werk Daniel Kehlmanns. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzÀhlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 321-344.
Baßler, Moritz: Die Unendlichkeit des realistischen ErzĂ€hlens. Eine kurze Geschichte moderner Textverfahren und die narrativen Optionen der Gegenwart. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzĂ€hlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 27-45.
Berg, Walter Bruno: Cono Sur (Chile, La-Plata-Staaten, Paraguay): die Belebung durch das „populĂ€re Genre“ und die BlĂŒte der phantastischen Literatur. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 347-372.
Berg, Walter Bruno: Cono Sur (Chile, La-Plata-Staaten, Paraguay): Terror und seine Verarbeitung in der Literatur. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 466-481.
BorsĂČ, Vittoria; Wild, Gerhard: Die AndenlĂ€nder 1920-1970: die Erfahrung des „Anderen“. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 329-347.
Braun, Michael: Die Erfindung der Geschichte. FiktionalitÀt und Erinnerung in der Gegenwartsliteratur. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzÀhlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 139-161.
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Sainio, Seppo: Der postmoderne ErzĂ€hler in Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt. In: Skog-Södersved, Mariann; Voßschmidt, Liisa (Hgg.): Transfer von Perspektiven in Literatur und Bildungssystem. Zwischen Literaturen und Kulturen. Berlin: Saxa 2013, S. 65-80.
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Schöll, Julia: EntwĂŒrfe des auktorialen Subjekts im 21. Jahrhundert. Daniel Kehlmann und Thomas Glavinic. In: Schöll, Julia; Bohley, Johanna (Hgg.): Das erste Jahrzehnt. Narrative und Poetiken des 21. Jahrhunderts. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2011, S. 279-292.
Tetzlaff, Stefan: Messen gegen die Angst und Berechnung des Zufalls. Grundgedanken der Poetik Daniel Kehlmanns. In: Textpraxis 4:1 (2012), S. 1-10. Online verfĂŒgbar unter: http://www.uni-muenster.de/textpraxis/stefan-tetzlaff-grundgedanken-der-poetik-daniel-kehlmanns. [Zuletzt abgerufen am 13. Januar 2016 um 10:40 Uhr.]
Tippelskirch, Karina von: Paradigms and Poetics in Daniel Kehlmann’s Measuring the World. In: Symposium: A Quarterly Journal in Modern Literatures 63:3 (2009), S. 194-206.
Werner, Jan C.: Fiktion, Wahrheit, Referenz. In: Klauk, Tobias; Köppe, Tilmann (Hgg.): FiktionalitÀt. Ein interdisziplinÀres Handbuch. Berlin: De Gruyter 2014, S. 125-158.
Wolf, Werner: Formen literarischer Selbstreferenz in der ErzĂ€hlkunst. Versuch einer Typologie und ein Exkurs zur ‚mise en cadre‘ und ‚mise en reflet/sĂ©rie‘. In: Helbig, Jörg (Hg.): ErzĂ€hlen und ErzĂ€hltheorie im 20. Jahrhundert. Festschrift fĂŒr Wilhelm FĂŒger. Heidelberg: UniversitĂ€tsverlag WINTER 2001, S. 49-84.
Wolf, Werner: Metaisierung als transgenerisches und transmediales PhĂ€nomen: Ein Systematisierungsversuch metareferentieller Formen und Begriffe in Literatur und anderen Medien. In: Hauthal, Janine; Nadj, Julijana; NĂŒnning, Ansgar; Peters, Henning (Hgg.): Metaisierung in Literatur und anderen Medien. Theoretische Grundlagen – Historische Perspektiven – Metagattungen – Funktionen. Berlin: De Gruyter 2007, S. 25-64.
7.3       Lexika
Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007.
Herman, David; Jahn, Manfred; Ryan, Marie-Laure (Hgg.): Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London: Routledge 2005.
NĂŒnning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. AnsĂ€tze – Personen – Grundbegriffe. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2013.

 

 

  

 

 

 

 

Fußnoten

 

[1] Kehlmann, Daniel: Die Vermessung der Welt. 12. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005, S. 221. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle V abgekĂŒrzt.

[2] Vgl. Schöll, Julia: EntwĂŒrfe des auktorialen Subjekts im 21. Jahrhundert. Daniel Kehlmann und Thomas Glavinic. In: Schöll, Julia; Bohley, Johanna (Hgg.): Das erste Jahrzehnt. Narrative und Poetiken des 21. Jahrhunderts. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2011, S. 279-292, hier S. 284: „Das Buch stand nach seinem Erscheinen 37 Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, die New York Times fĂŒhrt es an zweiter Stelle auf der Liste der weltweit meistverkauften BĂŒcher des Jahres 2006. Bis Mai 2008, laut Rowohlt Verlag, allein in deutscher Sprache 1,4 Millionen Exemplare verkauft. Die Vermessung der Welt [
] ist [
] einer der grĂ¶ĂŸten Bucherfolge des deutschen Literaturmarkts seit der GrĂŒndung der Bundesrepublik.“

[3] Kehlmann, Daniel: Diese sehr ernsten Scherze. Poetikvorlesungen. 4. Auflage. Göttingen: Wallstein 2011, S. 22. Im Folgenden wird der von Kehlmann selbst geprĂ€gte Begriff ĂŒbernommen und nicht weiterhin in AnfĂŒhrungszeichen gesetzt.

[4] Bareis, J. Alexander: ‚BeschĂ€digte Prosa‘ und ‚autobiographischer Narzißmus‘ – metafiktionales und metaleptisches ErzĂ€hlen in Daniel Kehlmanns Ruhm. In: Bareis, J. Alexander; Grub, Frank Thomas (Hgg.): Metafiktion. Analysen zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Berlin: Kulturverlag Kadmos 2010, S. 243-268, hier S. 245.

[5] Spörl, Uwe: Metafiktion. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3. völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 493-494, hier S. 493.

[6] Fludernik, Monika: ErzĂ€hltheorie. Eine EinfĂŒhrung. 2., durchgesehene Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, S. 75.

[7] Fludernik: ErzĂ€hltheorie. Eine EinfĂŒhrung (2008), S. 77.

[8] Vgl. Fraunhofer, Hedwig: Daniel Kehlmann’s Die Vermessung der Welt: A Satire of the German Enlightenment. In: Boehringer, Michael; Hochreiter, Susanne (Hgg.): Zeitenwende. Österreichische Literatur seit dem Millennium: 2000-2010. Wien: Praesens 2011, S. 141-155, hier S. 142.

[9] Bspw. Malinkowski, Bernadette; Wesche, Jörg: Synchrones Lesen. Mathematik und Dichtung bei Michael WĂŒstefeld und Daniel Kehlmann. In: Horstkotte, Silke; Herrmann, Leonhard (Hgg.): Poetiken der Gegenwart Deutschsprachige Romane nach 2000. Berlin: De Gruyter 2013, S. 139-154.

[10] Bspw. Schilling, Erik: Der historische Roman seit der Postmoderne. Umberto Eco und die deutsche Literatur. Heidelberg: UniversitÀtsverlag WINTER 2012.

[11] Bspw. Sainio, Seppo: Der postmoderne ErzĂ€hler in Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt. In: Skog-Södersved, Mariann; Voßschmidt, Liisa (Hgg.): Transfer von Perspektiven in Literatur und Bildungssystem. Zwischen Literaturen und Kulturen. Berlin: Saxa 2013, S. 65-80.

[12] Bspw. Grabbe, Katharina: Deutschland – Image und ImaginĂ€res. Zur Dynamik der nationalen Identifizierung nach 1990. Berlin: De Gruyter 2014.

[13] Bspw. Pizer, John: Skewering the Enlightenment: Alexander von Humboldt and Immanuel Kant as fictional characters. In: Atlantic Studies: Global Currents 7:2 (2010), S. 127-142.

[14] Vgl. Baßler, Moritz: Die Unendlichkeit des realistischen ErzĂ€hlens. Eine kurze Geschichte moderner Textverfahren und die narrativen Optionen der Gegenwart. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzĂ€hlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 27-45, hier S. 37.

[15] Feldmann, Doris; Jacobmeyer, Hannah: Magischer Realismus. In: NĂŒnning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. AnsĂ€tze – Personen – Grundbegriffe. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2013, S. 479-480, hier S. 479.

[16] Vgl. GerstenbrÀun, Martin: a fiction is a fiction is fiction? MetafiktionalitÀt im Werk von Daniel Kehlmann. Marburg: Tectum 2012.

[17] Vgl. hierzu: Petras, Ole: Tragischer Realismus. Über Daniel Kehlmanns konservative Ästhetik. In: Schmidt, Maike (Hg.): Gegenwart des Konservativismus in Literatur, Literaturwissenschaft und Literaturkritik. Kiel: Ludwig 2013, S. 61-78, hier S. 65: „Dass Kehlmann so hĂ€ufig mit Kehlmann gelesen wird, ist vermutlich [
] vielmehr das Ergebnis eines von Kehlmann selbst installierten Verweisungshorizontes.“

[18] Rohde, Carsten: Unendlichkeit des ErzÀhlens? Zum Roman um die Jahrtausendwende. Vorwort. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzÀhlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 11-24, hier S. 11.

[19] Krauss, Hannes: Aktuelle Tendenzen der deutschen Literatur – Überlegungen am Beispiel ausgewĂ€hlter Neuerscheinungen. In: Das Wort, Germanistisches Jahrbuch Russland (2009), S. 221-231, hier S. 221.

[20] Vgl. Rohde: Unendlichkeit des ErzÀhlens? Zum Roman um die Jahrtausendwende, S. 12ff.

[21] Neuhaus, Stefan: „Die Fremdheit ist ungeheuer“. Zur Rekonzeptualisierung historischen ErzĂ€hlens in der Gegenwarts-literatur. In: Gansel, Carsten; Herrmann, Elisabeth (Hgg.): Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwarts-literatur nach 1989. Göttingen: V&R unipress 2013, S. 23-36, hier S. 23.

[22] Vgl. Gerstenberger, Katharina; Herminghouse, Patricia: Trends, Traditions, Transformations: An Introduction. In: Gerstenberger, Katharina; Herminghouse, Patricia (Hgg.): German Literature In A New Century. Trends, Traditions, Transitions, Transformations. New York: Berghahn Books 2008, S. 1-11, hier S. 4.

[23] Vgl. Marven, Lyn: Introduction: New German-Language Writing since the Turn of the Millennium. In: Marven, Lyn; Taberner, Stuart (Hgg.): Emerging German-Language Novelists of the Twenty-First Century. Rochester: Camden House 2011, S. 1-16, hier S. 5.

[24] Vgl. Neuhaus, Stefan: „Eine Legende, was sonst“. Metafiktion in Romanen seit der Jahrtausendwende (Schrott, Moers, Haas, Hoppe). In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzĂ€hlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 69-88, hier S. 88.

[25] Arnold, Sonja: Metaisierungstendenzen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart. In: Birnstiel, Klaus; Schilling, Erik (Hgg.): Literatur und Theorie seit der Postmoderne. Stuttgart: S. Hirzel 2012, S. 107-119, hier S. 110.

[26] Ebd., S. 109.

[27] Vgl. GerstenbrÀun: a fiction is a fiction is fiction? (2012).

[28] Ebd., S. 46.

[29] Bareis: ‚BeschĂ€digte Prosa‘ und ‚autobiographischer Narzißmus‘ (2010), S. 245.

[30] Bareis: ‚BeschĂ€digte Prosa‘ und ‚autobiographischer Narzißmus‘ (2010), S. 266.

[31] Ebd., S. 49.

[32] Ebd., S. 64.

[33] Ebd., S. 65.

[34] Vgl. Navratil, Michael: Fantastisch modern. Zur Funktion fantastischen ErzĂ€hlens im Werk Daniel Kehlmanns. In: literatur fĂŒr leser 37 1:14 (2014), S. 39-57, hier S. 39.

[35] Ebd., S. 50.

[36] Tetzlaff, Stefan: Messen gegen die Angst und Berechnung des Zufalls. Grundgedanken der Poetik Daniel Kehlmanns. In: Textpraxis 4:1 (2012), S. 1-10, hier S. 7.

[37] Anderson, Mark M.: Der vermessende ErzÀhler. Mathematische Geheimnisse bei Daniel Kehlmann. In: text+kritik 177 (2008), S. 58-67, hier S. 62.

[38] Vgl. Neuhaus: „Eine Legende, was sonst“ (2013), S. 88.

[39] Neuhaus: „Die Fremdheit ist ungeheuer“ (2013), S. 31.

[40] Herrmann, Leonhard: Vom ZĂ€hlen und ErzĂ€hlen, vom Finden und Erfinden. Zum VerhĂ€ltnis von Mathematik und Literatur in Daniel Kehlmanns frĂŒhen Romanen. In: Bomski, Franziska; Suhr, Stefan (Hgg.): Fiktum versus Faktum? Nicht-mathematische Dialoge mit der Mathematik. Berlin: Erich Schmidt 2012, S. 169-184, hier S. 169.

[41] Ruf, Oliver: Transzendenz-‚KanĂ€le‘: Medienphilosophie und Memoria bei Daniel Kehlmann. In: Gansel, Carsten; Elisabeth Herrmann, Elisabeth (Hgg.): Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989. Göttingen: V&R unipress 2013, S. 259-284, hier S. 264.

[42] Braun, Michael: Die Erfindung der Geschichte. FiktionalitÀt und Erinnerung in der Gegenwartsliteratur. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzÀhlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 139-161, hier S. 148.

[43] Gerstenberger; Herminghouse: Trends, Traditions, Transformations: An Introduction (2008), S. 6.

[44] Sandig, Barbara: Spannende Dialoge im Konjunktiv: Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“. In: Literaturstil (2008), S. 275-293, hier S. 276.

[45] NĂŒnning, Ansgar: Von der fiktionalen Biographie zur biographischen Metafiktion. Prolegomena zu einer Theorie, Typologie und Funktionsgeschichte eines hybriden Genres. In: Zimmermann, Christian von (Hg.): Fakten und Fiktionen. Strategien fiktionalbiographischer Dichterdarstellungen in Roman, Drama und Film seit 1970. BeitrĂ€ge des Bad Hom-burger Kolloquiums, 21.-23. Juni 1999. TĂŒbingen: Gunter Narr 2000, S. 15-36, hier S. 25.

[46] Scheffel, Michael: Formen selbstreflexiven ErzĂ€hlens. Eine Typologie und sechs exemplarische Analysen. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1997, S. 46. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle FE abgekĂŒrzt.

[47] Spörl: Metafiktion. In: Burdorf; Fasbender; Moeninghoff (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur (2007), S. 493f.

[48] Ebd.

[49] O’Donnell, Patrick: Metafiction. In: Herman, David; Jahn, Manfred; Ryan, Marie-Laure (Hgg.): Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London: Routledge 2005, S. 301.

[50] Vgl. Wolf, Werner: Metafiktion. In: NĂŒnning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. AnsĂ€tze – Personen – Grundbegriffe. 5., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2013, S. 513f.

[51] NĂŒnning, Ansgar: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Band 1. Theorie, Typologie und Poetik des historischen Romans. Trier: WVT 1995, S. 328.

[52] NĂŒnning, Ansgar: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Band 2. Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen des historischen Romans in England seit 1950. Trier: WVT 1995, S. 225.

[53] Vgl. NĂŒnning: Von historischer Fiktion zu historiographischer Metafiktion. Band 1 (1995), S. 332.

[54] Genette, GĂ©rard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993, S. 13.

[55] Genette, GĂ©rard: Die ErzĂ€hlung. 3., durchgesehene und korrigierte Auflage. Paderborn: Wilhelm Fink 2010, S. 150. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle DE abgekĂŒrzt.

[56] Ebd., S. 153.

[57] Zaiser, Rainer: Inszenierte Poetik. MetatextualitĂ€t als Selbstreflexion von Dichtung in der italienischen Literatur der frĂŒhen Neuzeit. Berlin: Lit Verlag 2009, S. 32f.

[58] Vgl. Scheffel, Michael: Metaisierung in der literarischen Narration: Überlegungen zu ihren systematischen Voraussetzungen, ihren UrsprĂŒngen und ihrem historischen Profil. In: Hauthal, Janine; Nadj, Julijana; NĂŒnning, Ansgar; Peters, Henning (Hgg.): Metaisierung in Literatur und anderen Medien. Theoretische Grundlagen – Historische Perspektiven – Metagattungen – Funktionen. Berlin: De Gruyter 2007, S. 155-171, hier S. 155.

[59] Wolf, Werner: Formen literarischer Selbstreferenz in der ErzĂ€hlkunst. Versuch einer Typologie und ein Exkurs zur ‚mise en cadre‘ und ‚mise en reflet/sĂ©rie‘. In: Helbig, Jörg (Hg.): ErzĂ€hlen und ErzĂ€hltheorie im 20. Jahrhundert. Festschrift fĂŒr Wilhelm FĂŒger. Heidelberg: UniversitĂ€tsverlag WINTER 2001, S. 49-84, hier S. 52. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle FS abgekĂŒrzt.

[60] Vgl. Wolf, Werner: Metaisierung als transgenerisches und transmediales PhĂ€nomen: Ein Systematisierungsversuch metareferentieller Formen und Begriffe in Literatur und anderen Medien. In: Hauthal, Janine; Nadj, Julijana; NĂŒnning, Ansgar; Peters, Henning (Hgg.): Metaisierung in Literatur und anderen Medien. Theoretische Grundlagen – Historische Perspektiven – Metagattungen – Funktionen. Berlin: De Gruyter 2007, S. 25-64.

[61] NĂŒnning, Ansgar: On Metanarrative: Towards a Definition, a Typology and an Outline of the Functions of Metanarrative Commentary. In: Pier, John (Hg.): The Dynamics of Narrative Form. MĂŒnchen: De Gruyter 2011, S. 11-57, hier S. 12.

[62] NĂŒnning, Ansgar: Mimesis des ErzĂ€hlens. Prolegomena zu einer WirkungsĂ€sthetik, Typologie und Funktionsgeschichte des Akts des ErzĂ€hlens und der Metanarration. In: Helbig, Jörg (Hg.): ErzĂ€hlen und ErzĂ€hltheorie im 20. Jahrhundert. Festschrift fĂŒr Wilhelm FĂŒger. Heidelberg: UniversitĂ€tsverlag WINTER 2001, S. 13-47, hier S. 32.

[63] Siehe Fludernik, Monika: Metanarrative and Metafictional Commentary: From Metadiscoursivity to Metanarration and Metafiction. In: Poetica 35 (2003), S. 1-39.

[64] Gass, William Howard: Fictions and the Figures of Life. 2. Auflage. Boston: Godine 1980, S. 25. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle FFL abgekĂŒrzt.

[65] Dazu gehören beispielsweise John Barth (Lost in the Funhouse), Donald Barthelme (City Life), Robert Coover (Pricksongs and Descants) und W. H. Gass (In the Heart of the Heart of the Country).

[66] Scholes, Robert: Fabulation and Metafiction. Urbana: University of Illinois Press 1979, S. 8. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle FM abgekĂŒrzt.

[67] Das Ziel seiner Untersuchung ist es, die Hauptstrategien selbstreflexiver Romane herauszuarbeiten, und sie in einem (literatur-)historischen Kontext zu betrachten. SelbstreflexivitÀt und Selbstbewusstsein seien keine Besonderheit von Literatur, sondern auch in anderen Kunstformen zu finden.

[68] Alter, Robert: Partial Magic. The Novel as a Self-Conscious Genre. Berkeley: University of California Press 1975, S. 218. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle PM abgekĂŒrzt.

[69] Hutcheon, Linda: Narcissistic Narrative. The Metafictional Paradox. New York: Methuen 1984, S. 1. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle NN abgekĂŒrzt.

[70] Hier tritt zumeist ein Schriftsteller als Figur auf und es bestehen starke literarische Konventionen, durch die der Leser gelenkt wird. Der Leser nimmt durch die Struktur der Geschichte eine aktive Rolle als Ermittler ein.

[71] Als ‚andere Seite des Realismus‘ zwingt sie den Leser in höchstem Maße dazu, fiktive imaginative Welten zu erschaffen, die nichts mit seiner empirischen Welt gemein haben.

[72] Leser und Schriftsteller teilen hier die gleichen kreativen Prozesse, denn der Leser kann die Strukturen des Spiels im Text nachvollziehen und sich somit Bedeutung erschließen.

[73] Das Erotische der Beziehung zwischen Schriftsteller und Leser besteht u.a. in dem Akt des Lesens selbst, denn dabei muss der Leser alle PolaritÀten miteinander vereinen.

[74] Vgl. NN 23: „In its most overt form the self-consciousness of a text often takes the shape of an explicit thematization – through plot allegory, narrative metaphor, or even narratorial commentary.“

[75] Hutcheon, Linda: Historiographic Metafiction. Parody and Intertextuality of History. In: O’Donnell, Patrick; Davis, Robert Con (Hgg.): Intertextuality and Contemporary American Fiction. Baltimore: Johns Hopkins University Press 1989, S. 3-32, hier S. 3. Dazu zĂ€hlt Hutcheon u.a. One Hundred Years of Solitude (Gabriel GarcĂ­a MĂĄrquez, 1967), Ragtime (E. L. Doctorow. 1975), The French Lieutenant’s Woman (John Fowles, 1969) sowie The Name of the Rose (Umberto Eco, 1980). Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle HM abgekĂŒrzt.

[76] Wolf: Metafiktion. In: NĂŒnning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013), S. 306f.

[77] Waugh, Patricia: Metafiction. The Theory and Practice of Self-Conscious Fiction. London: Methuen 1984, S. 18. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle M abgekĂŒrzt.

[78] Der Begriff entstammt der Geschichte The Question Party (in: Great Days, 1979) von Donald Barthelme. Siehe M 143: „This functions as a reminder of the impossibility of defining a stable ‘norm’ of literary discourse when the incorporation of any discourse into the literary frame assimilates it to the alternative world of fiction and detaches it from normal referential functions in the everyday context.“

[79] Wolf, Werner: Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der ErzĂ€hlkunst. Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörenden ErzĂ€hlen. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1993, S. 2. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle Ä abgekĂŒrzt. Vgl. Ä 3: Illusionsstörungen seien bereits bei Aristophanes, Pseudo-Homer und Apuleius zu finden, seit Don Quijote entwickelt sich daraus eine Tradition, die „ihren höchsten Gipfel [
] in der Postmoderne erreichte.“

[80] Zimmermann, Jutta: Metafiktion im anglokanadischen Roman der Gegenwart. Trier: WVT 1996, S. 26. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle MR abgekĂŒrzt.

[81] Dupuy, Jean-Pierre: Self-reference in Literature. In: Poetics 18 (1989), S. 491-515, hier S. 493.

[82] Neumann, Birgit; NĂŒnning, Ansgar: Metanarration and Metafiction. In: HĂŒhn, Peter; Pier, John; Schmid, Wolf; Schönert, Jörg (Hgg.): The Living Handbook of Narratology. Hamburg: Hamburg University Press.

[83] Werner, Jan C.: Fiktion, Wahrheit, Referenz. In: Klauk, Tobias; Köppe, Tilmann (Hgg.): FiktionalitÀt. Ein interdisziplinÀres Handbuch. Berlin: De Gruyter 2014, S. 125-158, hier S. 129.

[84] Ebd., S. 61.

[85] Wolf: Metafiktion. In: NĂŒnning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013), S. 513f.

[86] Sprenger, Mirjam: Modernes ErzĂ€hlen. Metafiktion im deutschsprachigen Roman der Gegenwart. Stuttgart: J. B. Metzler 1999, S. 13. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle ME abgekĂŒrzt.

[87] Die folgenden drei Unterkapitel zu eben diesen Konstituenten sind der Untersuchung von Zimmermann entnommen, vgl. dazu: MR 36-61.

[88] Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam 1982, S. 29.

[89] Humboldt, Wilhelm von: Gesammelte Werke. Erster Band. Berlin: G. Reimer 1841, S. 1.

[90] Vgl. Martinez, Matias; Scheffel, Michael: EinfĂŒhrung in die ErzĂ€hltheorie. MĂŒnchen: C. H. Beck 1999, S. 33. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle EE abgekĂŒrzt.

[91] Vgl. Weidhase, Helmut; Kauffmann, Kai: Realismus. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007 S. 628-630.

[92] Vgl. DE 124: „Hier liegt ein typisches Beispiel fĂŒr eine externe Fokalisierung vor, da der ErzĂ€hler deutlich zu erkennen gibt, dass er sich ĂŒber die wirklichen Gedanken des Helden im Unklaren ist.“

[93] Rösch, Gertrud Maria: Clavis Scientiae: Studien zum VerhĂ€ltnis von FaktizitĂ€t und FiktionalitĂ€t am Fall der SchlĂŒsselliteratur. TĂŒbingen: Max Niemeyer 2004, S. 158: „Leseranreden sind ein Element der SelbstreflexivitĂ€t und damit wiederum fĂŒr die Poetik der Romantik grundlegend“.

[94] Direkt im Anschluss heißt es: „Als der Applaus zu Ende war, hatte Humboldt das Podium schon verlassen. Vor der Singakademie wartete eine Kutsche, die ihn ans Krankenbett seiner SchwĂ€gerin brachte. [
] Sekunden spĂ€ter war sie tot.“ (V 263)

[95] Herrmann: Vom ZÀhlen und ErzÀhlen, vom Finden und Erfinden (2012), S. 169.

[96] Gerigk, Anja: Humoristisches ErzÀhlen im 21. Jahrhundert. GegenwÀrtige Tradition in Kehlmanns Vermessung der Welt und Krachts Imperium. In: Wirkendes Wort 64:3 (2014), S. 427-439, hier S. 439.

[97] Schilling: Der historische Roman seit der Postmoderne (2012), S. 250.

[98] Ebd.

[99] Gasser, Markus: Das Königreich im Meer. Daniel Kehlmanns Geheimnis. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2013, S. 117.

[100] Herrmann: Vom ZÀhlen und ErzÀhlen, vom Finden und Erfinden (2012), S. 171.

[101] Broich, Ulrich: IntertextualitĂ€t. In: Fricke, Werner u.a. (Hgg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2. Berlin: De Gruyter 2000, S. 175-179, hier S. 175. Zitiert nach Berndt, Frauke; Tonger-Erk, Lily: IntertextualitĂ€t. Eine EinfĂŒhrung. Berlin: Erich Schmidt 2013, S. 7.(

[102] Vgl. ­­­Berndt; Tonger-Erk: IntertextualitÀt (2013), S. 8.

[103] Broich, Ulrich; Pfister, Manfred: IntertextualitĂ€t. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. TĂŒbingen: Max Niemeyer 1985, S. 15.

[104] Tippelskirch, Karina von: Paradigms and Poetics in Daniel Kehlmann’s Measuring the World. In: Symposium: A Quarterly Journal in Modern Literatures 63:3 (2009), S. 194-206, hier S. 199.

[105] Petras: Tragischer Realismus (2013), S. 73.

[106] Ireton, Sean: Lines and Crimes of Demarcation: Mathematizing Nature in Heidegger, Pynchon, and Kehlmann. In: Comparative Literature 63:2 (2011), S. 142-160, hier S. 142.

[107] Tippelskirch: Paradigms and Poetics in Daniel Kehlmann’s Measuring the World (2009), S. 201.

[108] Anderson: Der vermessende ErzÀhler (2008), S. 65.

[109] Anderson: Der vermessende ErzÀhler, S. 65.

[110] Eichinger, Ludwig M.: Das rechte Maß. Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“ als ein Beispiel zeitgemĂ€ĂŸer Schriftlichkeit. In: Studi Linguistici e Filologici Online 4:2 (2006), S. 245-298, insbesondere S. 253-255.

[111] Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden. Erster Band. Leipzig: Georg Joachim Göschen 1798, S. 209f.

[112] Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke. Zweiter Band: Gedichte und Epen 1. 10.,Â ĂŒberarbeitete Auflage. Hg. von Erich Trunz. MĂŒnchen: C. H. Beck, S. 142.

[113] Gasser, Markus: Daniel Kehlmanns unheimliche Kunst. In: text+kritik 177 (2008), S. 12-29, hier S. 25.

[114] Rickes, Joachim: Die Romankunst des jungen Thomas Mann. „Buddenbrooks“ und „Königliche Hoheit“. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 17.

[115] GerstenbrÀun: a fiction is a fiction is fiction? (2012), S. 52.

[116] Vgl. Rickes, Joachim: Daniel Kehlmann und die lateinamerikanische Literatur. WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2012, S. 19ff. Wird im Folgenden im Fließtext mit der Sigle DK abgekĂŒrzt.

[117] Rössner, Michael: Mexiko 1910-1968: der Mythos der Revolution. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 263-283, hier S. 283.

[118] Ebd., S. 282.

[119] BorsĂČ, Vittoria; Wild, Gerhard: Die AndenlĂ€nder 1920-1970: die Erfahrung des „Anderen“. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 329-347, hier S. 346.

[120] Ebd., S. 458.

[121] Ingenschay, Dieter: Die Literaturen Kolumbiens und Venezuelas 1920-1970: periphere Regionen gegen das Zentrum. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 309-329, hier S. 324.

[122] Berg, Walter Bruno: Cono Sur (Chile, La-Plata-Staaten, Paraguay): die Belebung durch das „populĂ€re Genre“ und die BlĂŒte der phantastischen Literatur. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 347-372, hier S. 365.

[123] Berg, Walter Bruno: Cono Sur (Chile, La-Plata-Staaten, Paraguay): Terror und seine Verarbeitung in der Literatur. In: Rössner, Michael (Hg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 466-481, hier S. 466.

[124] Vgl. V 120: „Als sie oben waren, brachte Humboldt mit einer Konzentration, die bloß nachließ, wenn er wieder nach Moskitos schlagen mußte, ein StĂŒck perfekter Prosa ĂŒber den Anblick der Stromschnellen, der sich ĂŒber dem Fluß tĂŒrmenden Regenbogen und des feuchten Silberglanzes der Weite zu Papier.“

[125] Vgl. GerstenbrÀun: a fiction is a fiction is fiction? (2012), S. 53.

[126] Hutcheon, Linda: A Theory of Parody. The Teachings of Twentieth-Century Art Forms. New York: Methuen 1985, S. 2.

[127] Freund, Winfried: Die Literarische Parodie. Stuttgart: Metzler 1981, S. 14.

[128] Hutcheon: A Theory of Parody (1985), S. 20.

[129] Fulda, Daniel: Historischer Roman. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): –Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 318-319, hier S. 318.

[130] Fulda: Historischer Roman. In: Burdorf; Fasbender; Moeninghoff (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur (2007), S. 318.

[131] Aust, Hugo: Der historische Roman. Stuttgart: Metzler 1994, S. 17. Zitiert nach Neuhaus: „Die Fremdheit ist ungeheuer“ (2013), S. 28.

[132] Scholz, Gerhard: ZeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen. Zur Wahrnehmung von Gegenwart, Vergangenheit und Geschichte in Felicitas Hoppes Johanna und Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt. Innsbruck: StudienVerlag 2008, S. 12.

[133] Bspw. Scholz: ZeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen (2008), oder Costagli, Simone: Ein postmoderner historischer Roman: Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt. In: Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch / A German Studies Yearbook 11 (2012), S. 261-279.

[134] Bspw. Neuhaus: „Die Fremdheit ist ungeheuer“ (2013), Schilling: Der historische Roman seit der Postmoderne (2012), oder GerstenbrĂ€un: a fiction is a fiction is fiction? (2012).

[135] Kaiser, Gerhard: ErzĂ€hlen im Zeitalter der Naturwissenschaft. Zu Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“. In: Sinn und Form 62:1 (2010), S. 122-134, hier S. 123f.

[136] GerstenbrÀun: a fiction is a fiction is fiction? (2012), S. 36.

[137] Schwalm, Helga: Tagebuch. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 750-751.

[138] Schuster, Jörg: Reisebericht. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 640-641, hier S. 640.

[139] Vgl. ebd.

[140] Fulda, Daniel: Die Texte der Geschichte. Zur Poetik modernen historischen Denkens. In: Poetica 31 (1999), H. 1/2, S. 27-60, hier S. 31.

[141] Scholz: ZeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen (2008), S. 16.

[142] Ebd., S. 18f.

[143] Schwalm, Helga: Biographischer Roman. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Christoph; Moeninghoff, Burkhard (Hgg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: J. B. Metzler 2007, S. 91.

[144] Behler, Ernst: Ironie und literarische Moderne. Paderborn: Schöningh 1997, S. 323.

[145] Scholz: ZeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen (2008), S. 54.

[146] Vgl. Genette: Palimpseste (1993), S. 11: „Der zweite Typus betrifft die im allgemeinen weniger explizite und weniger enge Beziehung, die der eigentliche Text im Rahmen des von einem literarischen Werk gebildeten Ganzen mit dem unterhĂ€lt, was man wohl seinen Paratext nennen muß: Titel, Untertitel, Zwischentitel; Vorworte, Nachworte, Hinweise an den Leser, Einleitungen usw.; Marginalien, Fußnoten, Anmerkungen; Motti; Illustrationen; Waschzettel, Schleifen, Umschlag und viele andere Arten zusĂ€tzlicher, auto- und allographer Signale, die den Text mit einer (variablen) Umgebung ausstatten [
].“

[147] Grabbe: Deutschland – Image und ImaginĂ€res (2014), S. 191.

[148] Ebd., S. 200.

[149] Vgl. Kavaloski, Joshua: Periodicity and National Identity in Daniel Kehlmann’s Die Vermessung der Welt. In: Gegenwartsliteratur 9 (2010), S. 263-287, hier S. 264: „Kehlmann’s novel demonstrates skepticism toward the Enlightenment and its universal ideas of tolerance and equality.“

[150] Vgl. Ireton: Lines and Crimes of Demarcation (2011), S. 158: „Heidegger, Pynchon, and Kehlmann all critique, in remarkably similar fashion, the mathematizing tendencies of modern scientific inquiry.“

[151] Es treten hier unter anderem die Eheleute Herz auf sowie Goethe, Kunth, La Mettrie, Wildenow, Zimmermann, KĂ€stner, Lichtenberg, Forster, Cook, Abraham Werner, Galvani oder auch Schiller.

[152] Rickes, Joachim: Wer ist Graf von der Ohe zur Ohe? Überlegungen zum Kapitel „Der Garten“ in Daniel Kehlmanns ‚Die Vermessung der Welt‘. In: Sprachkunst (1. Halbband 2007), S. 89-96, hier S. 94.

[153] Ebd., S. 95.

[154] Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie Ă€sthetischer Wirkung. 2., durchgesehene und verbesserte Auflage. MĂŒnchen: Wilhelm Fink 1984, S. 257.

[155] Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. 3. Auflage. MĂŒnchen: Wilhelm Fink 1994, S. 10.

[156] Martin, Maurice: Die Kontroverse um die Farbenlehre. Anschauliche Darstellung der Forschungswege von Newton und Goethe. Schaffhausen: Novalis 1979, S. 8.

[157] Ebd., S. 13.

[158] Scholz: ZeitgemĂ€ĂŸe Betrachtungen (2008), S. 50.

[159] Volkmann, Christian: Geschichte oder Geschichten? Literarische Historiographie am Beispiel von Adam Scharrers Vaterlandslose Gesellen und Uwe Timms Morenga. Hamburg: IGEL Verlag 2013, S. 76

[160] Braun: Die Erfindung der Geschichte (2013), S. 146.

[161] White, Hayden: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt am Main: S. Fischer 1991, S. 563.

[162] Frank, Dirk: Narrative Gedankenspiele. Der metafiktionale Roman zwischen Modernismus und Postmodernismus. Wiesbaden: Deutscher UniversitÀts-Verlag 2001, S. 73.

[163] Arnold: Metaisierungstendenzen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart, S. 119.

[164] Neuhaus: „Eine Legende, was sonst“ (2013), S. 74.

[165] Krauss: Aktuelle Tendenzen der deutschen Literatur (2009), S. 229.

[166] Bareis, J. Alexander: Moderne, Postmoderne, Metamoderne? Poetologische Positionen im Werk Daniel Kehlmanns. In: Rohde, Carsten; Schmidt-Bergmann, Hansgeorg (Hgg.): Die Unendlichkeit des ErzÀhlens. Der Roman in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seit 1989. Bielefeld: AISTHESIS 2013, S. 321-344, hier S. 321.

[167] Vgl. ebd., S. 340.

[168] Hauthal, Janine; Nadj, Juijana; NĂŒnning, Ansgar; Peters, Henning: Metaisierung in Literatur und anderen Medien: BegriffsklĂ€rungen, Typologien, Funktionspotentiale und Forschungsdesiderate. In: Dies. (Hgg.): Metaisierung in Literatur und anderen Medien. Theoretische Grundlagen – Historische Perspektiven – Metagattungen – Funktionen. Berlin: De Gruyter 2007, S. 1-21, hier S. 16.

[169] Ebd., S. 17.